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Dagmar Beer-Kern

Potentiale von Flüchtlingen bleiben ungenutzt

Vor rund drei Jahren wurde die EU-Gemeinschaftsinitiative EQUAL gestartet. Die damals 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union beschlossen mit EQUAL als eine Art Laboratorium für neue Ideen, bestehende Ungleichheiten und Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Arbeitsmarktförderung abzubauen.

Erstmals ist in einem europaweiten arbeitsmarktpolitischen Programm die Gruppe der Asylbewerber und Flüchtlinge explizit einbezogen, was auch in Deutschland zur erheblichen Problemen sowohl in der Planungsphase als auch in der konkreten Praxis führte und immer noch führt, denn die Förderung der Integration in den Arbeitsmarkt, der Abbau der Erschwernisse beim Arbeitsmarktzugang und die Entwicklung aller Humanressourcen in einem europäischen wissensbasierten Wirtschaftsraum, war in den Mitgliedsstaaten und vor allem auch in Deutschland für die Zielgruppe der Asylbewerber und Flüchtlinge nicht vorgesehen. Deutschland hatte kein Interesse an der erstmaligen Einbeziehung dieser Zielgruppe in ein arbeitsmarktpolitisches Programm, weshalb auch Probleme arbeitsrechtlicher Art oder auch die notwendige nationale Kofinanzierung, die EU-geförderten Asylprojekte immer wieder vor schwer zu bewältigenden Probleme stellten.

Das es trotzdem gelungen ist in der ersten Förderwelle insgesamt acht „Asyl-Entwicklungspartnerschaften“ mit großem Erfolg durchzuführen und auch in der zweiten Förderwelle wiederum acht Projekte dieses Jahr starten werden, das es gelungen ist, die nationale Kofinanzierung zu sichern und Arbeitsgenehmigungen auch für eine duale Ausbildung wenn auch nur nach Einzelfallprüfung zu erreichen, grenzt an ein Wunder, denn Die auf geduldete Flüchtlinge und Asylbewerber bezogene Bildungs-, Sozial- und Beschäftigungspolitik in Deutschland ist besonders restriktiv. Flüchtlinge und Asylbewerber sind in nahezu allen Lebensbereichen ausgegrenzt, so z.B.: - noch immer sind ihre Kinder nicht in allen Bundesländern selbstverständlich in die Schulpflicht einbezogen - Jugendliche können nach Abschluss der allgemeinbildenden Schule nicht selbstverständlich eine Berufsausbildung bzw. ein Studium aufnehmen - Erwachsene Asylbewerber oder geduldete Flüchtlinge haben keinen Anspruch auf einen Deutschkurs - Eine Arbeitserlaubnis wird den meisten Flüchtlingen nicht erteilt - Ein Bleiberecht bis zum Abschluss einer Schulausbildung bzw. Qualifizierungsmaßnahme wird ihnen nicht zugestanden. - Die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge ist mangelhaft. Vor diesem Hintergrund sind Projekte wie SPuk hier in Niedersachen, aber auch in den anderen sieben Entwicklungspartnerschaften besonders ambitioniert, denn es geht nicht nur um die Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung der Asylbewerber und geduldeten Flüchtlinge, es geht vor allem auch um eine tatsächliche aktive Qualifizierungs- und Beschäftigungspolitik für eine Zielgruppe. Das Ziel der Entwicklungspartnerschaften eine Brücke zu Ausbildung, Weiterbildung und Umschulung zu schaffen, um darüber den Zugang auch zu Beschäftigung im Gastland zu ermöglichen und damit Asylbewerbern und Flüchtlinge neue Perspektiven zu eröffnen gerät immer wieder in Konflikt eines grundlegenden in der Gemeinschaftsinitiative EQUAL angelegten Widerspruchs, denn: Mit EQUAL sollen laut EU-Programm Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt abgebaut werden, aber Die entscheidende Diskriminierung der Asylbewerber und geduldeten Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt – das restriktive Arbeitsgenehmigungsrecht – darf dabei allerdings nicht angetastet werden.

In diesem Spagat bewegen sich die Entwicklungspartnerschaften. Die eingeschränkte Sichtweise in der Programmbeschreibung von EQUAL und die Stellungsnahmen der politisch Verantwortlichen betonen immer wieder die Priorität der Rückkehrförderung bei allen Qualifizierungs- und Sprachfördermaßnahmen. Das heißt Herstellung, Wiederherstellung und Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit hat unter dem Diktat der Rückkehrförderung zu erfolgen. Diese Sichtweise der Förderung der Beschäftigungsfähigkeit für den Arbeitsmarkt des Herkunftslandes kollidiert allerdings mit der nationalen Arbeitsmarktförderung, die für die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt gedacht ist. Dies erschwert nicht nur die konkrete Ausgestaltung von Qualifizierungsangeboten, sondern gleichzeitig die Beantragung und Sicherung der nationalen Kofinanzierung.

Dem zugrunde liegt vor allem ein eingeschränktes Verständnis von Migration. Nach dieser Sichtweise bewegen sich die Flüchtlinge nur zwischen einer Herkunfts- und einer Ankunftsgesellschaft, somit zwischen zwei nationalstaatlich definierten Arbeitsmärkten. Entweder sie sind nur vorübergehend hier und müssen auf ihre Rückkehr in die Herkunftskultur vorbereitet werden (Erhalt der Rückkehrfähigkeit), oder aber sie bleiben hier und müssen sich an die so genannte deutsche Kultur anpassen (Förderung der Integration).

Bildungs- und Qualifizierungsangebote werden deshalb ausschließlich mit Bezug auf hier und dort diskutiert. Für die Zielgruppe der Asylbewerber und geduldeten Flüchtlinge ist dabei nur das dort vorgesehen. Neuere Untersuchungen und Erkenntnisse der transnationalen Migration werden dabei nicht berücksichtigt. Dabei wird seit einigen Jahren deutlich, dass gerade Flüchtlinge als Transmigranten gesehen werden müssen, d.h. ihnen stellen sich die Alternativen nicht unbedingt als Verbleib im Aufnahmeland oder Rückkehr ins Herkunftsland, sondern gerade für sie besteht die Option der Weiterwanderung in ein Dritt- oder auch Viertland, d.h. sie leben global.

Vor diesem Hintergrund ist die konkrete Praxis in den Entwicklungspartnerschaften im Themenbereich „Asyl“ zu begrüßen, das sie sich nicht nur auf die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit für den Herkunftsarbeitsmarkt beschränkt. Vor dem Hintergrund dieser Transmigration, muss die Ausgangsbasis für Bildung und Qualifizierung in den Bedingungen des Arbeitsmarktes in Deutschland liegen, denn im Rahmen globaler Migration sind einzelne nationale Arbeitsmärkte, auf die vorbereitet werden kann, kaum zu identifizieren. Es gilt unter den in Deutschland gegebenen Bedingungen einer zunehmenden Wissensgesellschaft, auch Asylbewerbern und Flüchtlingen das Recht auf höchstmögliche Bildung und Qualifizierung und somit auf Selbstentfaltung zuzugestehen. Das bedeutet auch den gleichberechtigten Zugang zum hiesigen Arbeitsmarkt, denn Bildung, Beruf und Arbeit stabilisiert und eröffnet individuelle Entwicklungschancen.

Das heißt, aus meiner Sicht gilt es Asylbewerbern und Flüchtlingen, deren vorübergehender Aufenthalt sich häufig über viele Jahre erstreckt und oftmals sogar dauerhaft ist, den gleichberechtigten Zugang zu beruflichen Ausbildungsgängen und zu qualifizierter Beschäftigung zu ermöglichen. Das derzeitige so genannte Vorrangprinzip bedeutet, dass die Möglichkeiten zur Arbeits- und Ausbildungsaufnahme regional sehr unterschiedlich und angesichts der derzeitigen Arbeitslosigkeit nahezu ausgeschlossen ist. Nur ein Beispiel:
Welchen Sinn macht es, wenn ein Jugendlicher aus dem Libanon, der nun seit zwölf Jahren hier lebt, der seinen Realschulabschluss gemacht und einen Ausbildungsplatz gefunden hat, dann gesagt bekommt, dass er diese Ausbildung nicht antreten kann, weil er keine Arbeitserlaubnis bekommt. Dies ist eine Verschwendung von Lebenszeit für den Einzelnen und eine Verschwendung von Ressourcen für die Gesellschaft.

Betroffen sind von dieser Situation etwa 200,000 geduldete Flüchtlinge und rund 35.000 Asylbewerber, deren Zahlen insgesamt seit Jahren kontinuierlich zurückgehen.

Auch die Süssmuth Kommission plädierte aus integrationspolitischen und wirtschaftlichen Gründen für einen gleichrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt, um Ressourcen nicht ungenutzt zu lassen und zukünftige Problemfälle zu vermeiden.

Deutschland erlaubt sich seit Jahren konsequent den Luxus, Potentiale ungenutzt zu lassen und Ressourcen zu vergeuden. Es ist noch nicht einmal flächendeckend bekannt, mit welchen Potentialen und Qualifikationen Asylbewerber und Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Einzelne qualitative Untersuchungen belegen einen hohen Anteil von Akademikern unter den Flüchtlingen sowie ein hohes Maß an mehrsprachiger Kompetenz und Weiterbildungsmotivation. Statt dies zu nutzen, wird es gesellschaftlich ignoriert und damit wird dem Klischee, dass Asylbewerber und Flüchtlinge meist ohne fundierte Ausbildung bzw. als Analphabeten nach Deutschland kommen, Vorschub geleistet. Diesem Ressourcenverlust durch langjährige Wartezeiten muss entgegengesteuert werden.

Ein Beispiel, das diese Absurdität verdeutlicht:
Der dringende Bedarf der Wirtschaft an hoch qualifizierten IT-Kräften, führte zur so genannten Green Card. In einigen Regionen gab es hoch qualifizierte IT-Kräfte unter den geduldeten Flüchtlingen, denen zunächst die Arbeitsgenehmigung verweigert wurde. Der Hinweis, sie können in ihr Herkunftsland zurückkehren und von dort aus einen Green Card-Antrag stellen ist vor dem Hintergrund des Flüchtlingsstatus dieser Menschen nur als absurd zu bezeichnen. Erst durch den Einsatz einer Vielzahl von Akteuren, gelang es, diesen Menschen eine qualifizierte Beschäftigung zu ermöglichen, was allerdings teilweise bis zu neun Monaten gedauert hat. Dies ist nicht nur menschenverachtend, es entspricht auch nicht den Interessen der Bundesrepublik Deutschland.

Voraussetzung für die Humanisierung der Lebenssituation geduldeter Zuwanderer ist die Anerkennung der Tatsache, dass es sich bei den langfristig Geduldeten letztendlich um Einwanderer handelt. Sie werden es um so mehr, je häufiger und länger ihre Duldung erneuert wird.
2003 lebten 28 % der geduldeten Ausländer seit 5 bis 10 Jahren, 32 % zwischen 10 und 20 Jahren und sogar 2 % seit 20 bis 30 Jahren in Deutschland.

Es ist schlechthin unmenschlich, dass Geduldete, die sich seit Jahren in Deutschland aufhalten, hier geboren und zur Schule gegangen sind, ein gesicherter Aufenthalt und der ungehinderte Zugang zum Arbeits- und Ausbildungsstellenmarkt versagt bleiben. Die Diskriminierung von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt verhindert wie wenig anderes ihre Integration. Der Zwang zum Nichtstun und die damit verbundene dauerhaft frustrierende Lebenssituation machen viele Flüchtlinge krank, zerbrechen ihre Persönlichkeit und ihren Selbsterhaltungswillen. Andererseits ist es aus der Perspektive des Steuerzahlers nahezu unverständlich, dass Geduldeten die Möglichkeit ihrer Selbstfinanzierung durch eigene Arbeit verwehrt wird.

Weitverbreitete Vorurteile, Flüchtlinge seien aufgrund mangelhafter Grundbildung, fehlender beruflicher Qualifikationen, Sprachproblemen, psychischer Instabilität, unzureichender Motivation und fehlendem Durchhaltevermögen nicht geeignet für eine qualifizierte Aus- und Weiterbildung sowie Beschäftigung wurde in den Entwicklungspartnerschaften „Asyl“ widerlegt.
Zuwanderer, auch Asylsuchende und Flüchtlinge, sind in aller Regel nicht die Desorientierten, Ängstlichen und Schwachen – sie werden allenfalls durch jahrelanges erzwungenes Nichtstun dazu gemacht. Es sind gerade die Hochmotivierten, Leistungsstarken und Risikobereiten. Sie wollen sich nicht in der viel zitierten sozialen Hängematte ausruhen, sondern sie suchen und wünschen eine Chance.

Entscheidend dafür ist, ihre vorhandenen Qualifikationen zu identifizieren, anzuerkennen und zu nutzen. Zumindest für als minderjährig eingereiste geduldete Jugendliche und junge Erwachsene wird sich voraussichtlich diese Situation entschärfen, denn das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit hat im November 2004 zugesagt, die Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen der Härtefallregelung anzuweisen, eine Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung oder Berufsausbildung zu erteilen. Auch die Tatsache, dass Praktika bis zu einem halben Jahr mittlerweile genehmigungsfrei sind, erleichtert den Einstieg in Qualifizierung und Arbeit und bietet eine erste Orientierung in der Arbeitswelt.

Darüber hinaus hat die Konferenz der Ausländer- und Integrationsbeauftragten des Bundes, der Länder und Kommunen in diesem Monat den ungehinderten Zugang von geduldeten Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu einer beruflichen Ausbildung gefordert und erklärt:

Die Bundeskonferenz hält Ergänzungen beim Recht des Ausbildungszuganges von geduldeten jungen Menschen noch in diesem Jahr für unumgänglich, wenn die Vorgaben des Gesetzgebers zur Abschaffung der Kettenduldung und zum Ausbildungszugang für diese Personen in der Praxis nicht greifen. Sie hält es nicht mehr für hinnehmbar, dass jungen Menschen, die in Deutschland aufwachsen, durch die Verweigerung einer Beschäftigungserlaubnis der Zugang zu einer Ausbildung und insgesamt die Chance zur persönlichen Entwicklung dauerhaft genommen wird. Das Entwicklungslaboratorium EQUAL wurde und wird auch weiterhin genutzt, transnationale Bildungs- und Qualifizierungsangebote für Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge zu entwickeln und zu etablieren, unabhängig von der Frage für welchen nationalen Arbeitsmarkt, denn berufliche Qualifizierung schadet nie, egal in welchem Land die Betreffenden letztendlich leben werden.

Dr. Dagmar Beer-Kern ist bildungspolitische Referentin bei der Bundesbeauftragten für Migration und Integration in Berlin, in ihrem Beitrag setzt Sie sich u.a. mit dem Thema Verschwendung von Lebenszeit und Potentialen auseinander

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