Texte und Materialien des Niedersächsichen Flüchtlingsrats

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Besuch bei Gazale Salame in Izmir am 23.3.06
Gisela Penteker besucht erneut die aus dem Landkreis Hildesheim abgeschobene Gazale Salame in der Türkei

Ich habe Frau Salame am 23.3.zum zweiten Mal in Izmir besucht.
Als ich mich telefonisch anmelde, ist sie wieder gerade im Krankenhaus. Wir verabreden uns für den frühen Nachmittag. Mit einem Fährschiff fahre ich aus dem modernen, schönen Izmir nach Norden über die Bucht zum Anleger Karsiyaka, dann mit dem Taxi auf den Hügel nach Gümüspala. In der steilen Strasse 7053 finde ich die Hausnummer 9 nicht gleich. Eine junge Frau, die ein paar Brocken Deutsch kann, bittet mich herein. Sie sagt, Frau Salame sei nicht zu Hause, sie sei einkaufen gegangen. Sie fragt mich aus, fragt, warum ihr Mann Frau Salame nicht zurück hole, möchte gerne, dass ich ihre Mutter mit nach Deutschland nehme. Endlich bringen sie mich zu Frau Salame.
Sie hat inzwischen eine kleine Wohnung für sich und die Kinder in einem rosafarbenen Häuschen mit morschen Dachbalken und Schimmel in den Wänden. In der Stube steht ein Ofen, ein Sofa und ein Sitzkissen auf dem Teppich. Der Kinderwagen ist zu klein für Söhnchen Gazi. Auch aus der Wippe ist er schon gefallen.
Beide Kinder sehen gut aus, sie hat sie für mich herausgeputzt. Frau Salame ist sehr verzweifelt. Sie kann das Leben alleine mit den Kindern nicht ertragen, kann keine Nacht schlafen. Immer wieder wird nachts an ihr Fenster geklopft. Sie traut sich kaum auf die Strasse. Als Frau allein kann man hier nicht leben. Im Winter wollte sie Holz und Kohle für den Ofen kaufen, immer in kleinen Säcken. Wenn nicht ein männlicher Nachbar mit ging, verkaufte ihr der Händler nichts. Sie hat keine Verwandten hier, bekommt keine finanzielle Unterstützung. Miete, Strom, Wasser, Windeln, alles zahlt sie mit dem Geld, das sie von ihrem Mann und einer Unterstützerin aus Deutschland bekommt. Es gibt keine Möglichkeit für sie, hier Geld zu verdienen. Frauen in vergleichbar aussichtsloser Situation müssen sich prostituieren, um ihre Kinder zu ernähren. Jemand hat ihr geholfen, eine Yesil Kart, die Krankenversichertenkarte für Bedürftige, zu bekommen. Seit der Gesundheitsreform geht das jetzt leichter. Die Karten für die Kinder sind beantragt aber noch nicht gekommen. Heute war Frau Salame zum erstenmal seit der Entbindung in der gynäkologischen Ambulanz des Regierungskrankenhauses. Sie ist noch ganz geschockt. 20 Frauen waren vor ihr. Als sie dran kam, sollte sie sich auf den blutigen und verdreckten Untersuchungsstuhl setzen. Sie bat den Arzt, den Stuhl abzuwischen. Er schnauzte sie an, dass er schon selbst wisse, was er zu tun hätte.
Dann sagte er, dass sie eine Verletzung hätte und weiter untersucht werden müsse. Das könne sie aber nicht im Krankenhaus und auch nicht auf ihre Yesil Kart. Sie müsse sich ein Labor suchen und ihr Blut untersuchen und einen Ultraschall machen lassen.
Ich habe ein Paket von ihrem Mann mitgebracht. Sie weint, als sie die Fotos ihrer beiden großen Töchter sieht. Mit ihrer kleinen Tochter Schams spricht sie türkisch, damit die sich in der Nachbarschaft verständigen kann.
Die Fotos, die ich bei meinem ersten Besuch von ihr gemacht hätte, seien furchtbar gewesen. Diesmal solle ihr Mann sie nicht so elend sehen. Sie holt eine Plastiktüte mit Schminkutensilien, die sie hier noch nie benutzt hat. Geschickt schminkt sie sich, die schwarzen Ränder unter den Augen verschwinden. Sie setzt ihr schönstes Tuch auf. Ich fotografiere sie und die Kinder. Nein, das andere Tuch ist doch besser. Schön will sie sein für ihren Mann und die Töchter in Deutschland.
Wie lange noch müssen sie die Trennung aushalten?
"Du mußt alles tun, hörst Du. Versprich mir das bitte. Ich halte das nicht mehr aus".
Sie hat einen kleinen Wunschzettel für mich. Hoffentlich kommt die Post an. Manchmal sind die Briefe geöffnet und zerrissen.
Wenn ich weg bin, werden die Nachbarn wieder über sie herfallen, wie beim letzten mal.
Ich möchte sie nicht noch einmal in Izmir besuchen müssen. Gisela Penteker