Im Januar 2023 trat das Gesetz zum Chancenaufenthaltsrecht in Kraft und eröffnete vielen Menschen mit Duldung, die bereits mehr als 5 Jahre in Deutschland leben, eine neue Bleibeperspektive. Neben der Einführung der Aufenthaltserlaubnis auf Probe (nach dem neuen § 104c AufenthG), werden für die schon bestehenden Bleiberechtsregelungen nach § 25a und § 25b Aufenthaltsgesetz die Voraussetzungen erleichtert.
Wer bekommt das Chancen-Aufenthaltsrecht (Ch-AR) nach § 104c AufenthG?
a) Personen, die geduldet sind
Auch Geduldete aus sog. sicheren Herkunftsstaaten können das Ch-AR erhalten. Geduldete mit einem Arbeitsverbot können das Ch-AR erhalten und solche mit ungeklärter Identität und einer Duldung „light“ nach § 60b AufenthG. Die Beantragung ist auch nach einem zuvor als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnten Asylantrag möglich. Ausreichend ist, dass Duldungsgründe vorliegen; einer schriftlichen Bescheinigung in Papierform bedarf es nicht. Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis können nicht ins Ch-AR wechseln.
b) und sich mindestens seit dem 31.10.2017 in Deutschland aufhalten
Zeiten mit Duldung „light“ nach § 60b AufenthG werden ebenso wie Zeiten mit Grenzübertrittsbescheinigung (GÜB) Niedersachsen angerechnet. Eine Unterbrechung des Aufenthalts von bis zu 3 Monaten ist unschädlich. Beim Vorwurf des Untertauchens ist darzulegen, dass die Person sich trotzdem in Deutschland aufgehalten hat.
c) und sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (FDGO) bekennen
Nach erfolgter Belehrung ist eine entsprechende schriftliche Erklärung bei der Ausländerbehörde abzugeben.
d) und einen Antrag bei der Ausländerbehörde stellen.
Dieser Antrag kann noch bis zum 31.12.2025 bei der jeweils zuständigen Ausländerbehörde förmlich gestellt werden. Es kann sinnvoll sein, mit der Antragstellung abzuwarten, wenn nicht alle Voraussetzungen für ein anderes Bleiberecht vorliegen, um mehr als 18 Monate Zeit zu haben, diese noch zu erfüllen.
Die Sicherung des Lebensunterhalts, die Identitätsklärung und die Erfüllung der Passpflicht sind nicht erforderlich.
Wann ist die Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts ausgeschlossen?
Ausgeschlossen vom Ch-AR sind Personen, die wegen einer vorsätzlichen Straftat
zu einer Geldstrafen von mehr als 50 Tagessätzen oder von mehr als 90 Tagessätzen für Straftaten, die nach dem AufenthG oder dem AsylG nur von Ausländer:innen begangen werden können oder zu einer Jugendstrafe (d.h. Gefängnis mit oder ohne Bewährung) verurteilt worden sind sowie
ebenfalls ausgeschlossen vom Ch-AR sind Personen, die
wiederholt vorsätzlich falsche Angaben gegenüber den Behörden gemacht oder über ihre Identität oder Nationalität getäuscht haben, wenn diese Täuschung die einzige Ursache für die Unmöglichkeit der Abschiebung war.
Welche Folgen hat die Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts?
Bei Vorliegen der Voraussetzungen soll grundsätzlich eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen kann die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis verweigert werden. Die Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis nach § 104c AufenthG erfolgt für 18 Monate. Solange der Lebensunterhalt nicht überwiegend durch eigene Erwerbstätigkeit der Begünstigten gesichert ist, wird die Aufenthaltserlaubnis mit einer Wohnsitzauflage nach § 12 a AufenthG erteilt. Die Aufhebung der Wohnsitzauflage kann bei der
Ausländerbehörde beantragt werden. Es besteht Anspruch auf Bürgergeld statt auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Im Anschluss an die 18 Monate soll – idealerweise – der Übergang in ein Aufenthaltsrecht nach § 25a oder § 25b AufenthG erfolgen, deren Voraussetzungen die Begünstigten in dem Zeitraum herbeiführen sollen, insbesondere Lebensunterhaltssicherung und Passbeschaffung. Diese können auch vor Ablauf der 18 Monate erteilt werden, wenn die Voraussetzungen vorliegen.
Der Wechsel in eine andere Aufenthaltserlaubnis als § 25a oder § 25b AufenthG während der 18 Monate ist nicht möglich. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist ausgeschlossen. Liegen nach 18 Monaten die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 25a oder 25b nicht vor, fallen Betroffene wieder in die Duldung, wenn Duldungsgründe (weiterhin oder neu) vorliegen. Wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 25a oder 25b rechtzeitig vor Ablauf der Chancenaufenthaltserlaubnis gestellt wird, erhalten Antragstellende eine Fiktionsbescheinigung.
Erhalten auch Familienangehörige ein Aufenthaltsrecht?
Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zum Familiennachzug.Die Erteilung der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis nach § 104c AufenthG erfolgt auch an die Ehegatt:in oder Lebenspartner:in und die minderjährigen, ledigen Kinder und die volljährigen, ledigen Kinder, wenn sie bei Einreise nach Deutschland noch minderjährig waren, selbst wenn diese später eingereist sind und die Voraussetzungen für das Ch-AR nicht erfüllen, sofern sie mit der Person, die das Ch-AR erhält, in häuslicher Gemeinschaft leben, kein Ausschlussgrund vorliegt und sie sich zur FDGO bekennen.
Grundsätzlich sollen die Ausländerbehörden über den Antrag auf Erteilung des Ch-AR entscheiden, bevor eine Aufenthaltsbeendigung durch Abschiebung erfolgt. Dies macht eine Abschiebung im Einzelfall jedoch nicht per se unzulässig, sodass es im Einzelfall sinnvoll sein
kann, parallel zur Beantragung des Ch-AR einen Eilrechtsschutzantrag vor dem Verwaltungsgericht zu stellen.
[Stand November 2023]