3.1 Voraussetzungen für die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung

Grundlage für die Anerkennung nach Art. 16a GG und § 3 Abs. 1 AsylG ist die Flüchtlingsdefinition der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Flüchtling eine Person, die sich

 „aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe” außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie hat oder in dem sie als Staatenloser gelebt hat und dessen Schutz vor dieser Verfolgung sie nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen der Furcht vor Verfolgung nicht in Anspruch nehmen will.“

Diese Formulierung klingt so, als ob viele Flüchtlinge als Asylberechtigte oder Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt werden könnten. Die Unterscheidung zwischen denjenigen, die als Flüchtlinge anerkannt werden, und denjenigen, denen dieser Status verweigert wird, ist in der Praxis jedoch komplizierter als man denkt: Ist jede Menschenrechtsverletzung zugleich ein Asylgrund? Wann ist die Furcht eines Flüchtlings vor Verfolgung nach Auffassung der Behörden begründet? Welche Gewalt muss ein Mensch sich von seinem Staat “üblicherweise” gefallen lassen? Muss die Verfolgung überall im Herkunftsland bestehen? Wie weit darf ein Staat die Religionsausübung einschränken? Ist auch die Bedrohung durch eine kriminelle Mafia ein Akt der Verfolgung? Diese und andere Fragen entscheiden darüber, ob ein Flüchtling Asyl erhält oder nicht. Wir können hier nur einige Hinweise auf die Probleme in diesem Zusammenhang geben. Besprechen Sie daher Ihren Fall möglichst mit einer Rechtsanwältin, einem Rechtsanwalt oder einer Beratungsstelle für Flüchtlinge.

In der Praxis wird vielen Flüchtlingen, die sich persönlich verfolgt fühlen und schweren Bedrohungen und Gewalterfahrungen ausgesetzt waren, eine Anerkennung als Flüchtling dennoch verweigert:

  • Nur wenn eine Verfolgung aufgrund der persönlichen Merkmale erfolgt, die in der Flüchtlingsdefinition genannt sind, kann eine Anerkennung erfolgen. Zielgerichtet ist eine politische Verfolgung, wenn eine Person aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt wird. Häufig wird die Anerkennung von Flüchtlingen abgelehnt, weil nach Auffassung des Bundesamtes eine Verfolgung zwar stattfand, aber nicht “zielgerichtet” war.
  • Zwischen den Gründen, auf die sich ein Asylsuchender beruft, und der Flucht muss ein innerer Zusammenhang bestehen: Drohende oder erlittene Verfolgung muss die Flucht ausgelöst haben. Ist zwischen der Verfolgung und der Flucht zu viel Zeit vergangen, wird die Verfolgung nicht mehr als Begründung für die Flucht akzeptiert.
  • Eine Flüchtlingsanerkennung kommt nur dann in Frage, wenn es auch in keinem anderen Teil des Herkunftslandes Schutz vor Verfolgung gibt. Besteht in einem anderen Landesteil keine Verfolgungsgefahr, so nennt man dies “inländische Fluchtalternative” oder „internen Schutz“. Dies führt dazu, dass ein Asylantrag abgelehnt wird. Allerdings muss die Person legal und sicher in diesen Landesteil reisen können und dort aufgenommen werden und man muss vernünftigerweise von ihr erwartet werden können, dass sie sich in diesem Landesteil niederlässt. Das ist nicht der Fall, wenn in dem Gebiet anderen Gefahren drohen (zum Beispiel fehlende Existenzmöglichkeiten).
    Bei der Prüfung, ob eine inländische Fluchtalternative besteht, sind die allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände zum Zeitpunkt der Asylentscheidung zu berücksichtigen. Das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte sind verpflichtet, sich hierzu genaue und aktuelle Informationen z.B. von UNHCR einzuholen.[1]
  • Bis 2005 war eine Verfolgung nur dann relevant, wenn sie vom Staat mit seinen Institutionen und Kräften (Polizei, Justiz, Militär) ausging. Inzwischen kann auch die Verfolgung durch andere (zum Beispiel militante Gruppen) als Verfolgung gelten, wenn die Person nicht durch den Staat oder durch andere Akteure geschützt wird, weil diese entweder keinen Schutz gewähren wollen oder dies nicht können.[2] Außer dem Staat können andere schützende Akteure aber nur Parteien oder nationale bzw. internationale Organisationen sein, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen.[3]

Im Folgenden wollen wir einige Fluchtursachen näher erläutern, die Flüchtlinge häufig als Asylbegründung angeben:
Eine Übersicht über die aktuelle Rechtsprechung zu den einzelnen Herkunftsländern bietet der Informationsverbund Asyl unter https://www.asyl.net/laender/.

Asylgrund: drohende Verfolgung?

Eine Verfolgung muss konkret, nachvollziehbar und wahrscheinlich sein. Oft wird Flüchtlingen, denen noch nichts passiert ist, die aber große Angst vor einer Verfolgung haben, vorgehalten, sie seien (noch) nicht wirklich bedroht gewesen oder hätten den Schutz der Behörden ihres Staates in Anspruch nehmen können. Dies wird oft Flüchtlingen entgegengehalten, die sich auf eine Verfolgung durch Dritte – z.B. eine andere ethnische Gruppe oder eine Mafiaorganisation – berufen. Aber auch Flüchtlinge, die eine drohende Verfolgung durch staatliche Kräfte geltend machen, müssen unter Umständen mit einer Ablehnung rechnen: Der Asylantrag wird dann zum Beispiel mit der Begründung abgelehnt, dass die Regierung sich um die Einhaltung der Menschenrechte bemühe und dazu grundsätzlich auch in der Lage sei.

Asylgrund: erlittene Verfolgung?

Wer vor der Flucht bereits verfolgt wurde, hat größere Chancen, als Flüchtling anerkannt zu werden. Hier geht das BAMF normalerweise davon aus, dass der Flüchtling bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erneut verfolgt würde und er deshalb Schutz benötigt. Nur wenn besondere Umstände dafür sprechen, dass der Flüchtling vor erneuter Verfolgung sicher ist, verliert eine bereits erlittene Verfolgung diese Indizwirkung.

Ähnlich wie bereits erlittene Verfolgung wirkt sich eine drohende Verfolgung aus, wenn Sie zum Zeitpunkt der Flucht unmittelbar bevor stand. Auch eine unmittelbar drohende Verfolgung deutet in der Regel darauf hin, dass der Flüchtling bei Rückkehr verfolgt würde.

Nicht jede frühere Verfolgung wird jedoch als Asylgrund anerkannt: Wenn jemand zum Beispiel wegen eines unberechtigten Vorwurfs eine Gefängnisstrafe abgesessen hat, jetzt aber entlassen ist, wird unter Umständen argumentiert, dass die Verfolgung ja vorbei sei und eine erneute Verfolgung nicht akut drohe.

Ein weiteres wichtiges Kriterium ist, ob die Verfolgung oder Bedrohung schwerwiegend genug ist. Vorladungen, Verhöre, mehrtägige Inhaftierungen und Schläge gelten oft als nicht gravierend genug und damit nicht als “asylrelevant”.

Asylgrund: Gefahr für Leben und Freiheit?

Eine drohende Gefahr für Leben und Freiheit kann eine Begründung für die Flüchtlingsanerkennung sein. Diese besteht aber nur dann, wenn das Leben der Betroffenen aus politischen Gründen regelmäßig oder sehr stark beeinträchtigt ist und ihr Leben und Freiheit bedroht sind. Aber auch das führt nicht in jedem Fall zur Anerkennung. Eine drohende Gefängnisstrafe kann beispielsweise mit der Begründung abgelehnt werden, dass der Herkunftsstaat ein legitimes Staatsschutzinteresse verfolgt, wenn er den Flüchtling einsperrt.

Asylgrund: (Bürger-) Krieg?

Grundsätzlich sind Kriege und Bürgerkriege kein ausreichender Grund, um Asyl oder einen anderen Flüchtlingsschutz in Deutschland zu erhalten. Eine Chance auf Anerkennung besteht nur, wenn über die allgemeine Gefahr für das Leben in einem Krieg hinaus eine konkrete persönliche Verfolgung oder Gefährdung belegt werden kann. Unter bestimmten Voraussetzungen wird  allerdings subsidiärer Schutz gewährt (siehe Kapitel 3.2).

Asylgrund: Kriegsdienstverweigerung?

Bisher haben, soweit ersichtlich, alle deutschen Gerichte entschieden, dass Kriegsdienstverweigerung und Desertion allein nicht als Asylgrund gelten. Nur dann, wenn jemand, der sich dem Kriegsdienst entzieht, eine besonders hohe Bestrafung zu erwarten hat, weil er einer diskriminierten Gruppe angehört, konnte dies auch als Asylgrund anerkannt werden.
Die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt kann aber dann politische Verfolgung sein, wenn der Asylsuchende im Kriegsdienst etwa zur Teilnahme an Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verpflichtet gewesen wäre.[4] Wenn also beispielsweise der Flüchtling während seines Kriegsdienstes an einem Krieg hätte teilnehmen müssen, in dem die Streitkräfte seines Landes Kriegsverbrechen begehen (z.B. Angriffe gegen die Zivilbevölkerung), kann er unter Umständen als Flüchtling anerkannt werden.

Asylgrund: materielle Not?

So genannte “allgemeine” Notsituationen wie zum Beispiel eine Hungersnot oder eine Umweltkatastrophe werden nicht als Asylgründe anerkannt. Wer sich ausschließlich auf fehlende Existenzgrundlagen in seinem Herkunftsland beruft, läuft Gefahr, dass sein Asylantrag im Schnellverfahren als “offensichtlich unbegründet” abgelehnt wird. Unter bestimmten Voraussetzungen  kann allerdings ein Abschiebungsverbot bestehen (siehe Kapitel 3.3).

Asylgrund: Verfolgung von Frauen?

Nach dem Gesetz kann auch eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu einer Anerkennung als Flüchtling führen. Die allgemeine Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen im Herkunftsland reicht jedoch nicht aus, um Asyl zu erhalten. Den betroffenen Flüchtlingen wird in der Regel zugemutet, die untergeordnete Stellung der Frau im Rechtssystem des Herkunftslandes hinzunehmen und sich zum Beispiel den Kleidervorschriften oder sonstigen Normen der Gesellschaft zu unterwerfen.

Frauen und Mädchen, die sexuelle Gewalt erlitten haben oder befürchten müssen, können als Flüchtlinge anerkannt werden. Das gilt zum Beispiel für drohende Genitalverstümmelung (weibliche Beschneidung). Es kommt jedoch auch vor, dass entsprechende Asylanträge mit der Begründung abgelehnt werden, dass nicht jede Frau im Herkunftsland davon betroffen sei und es Möglichkeiten gäbe, sich dieser Gefahr zu entziehen. Auch eine Vergewaltigung wird nur in Ausnahmefällen als Asylgrund akzeptiert.

Asylgrund: religiöse Unterdrückung?

Bislang wurden Flüchtlinge, die eine Verfolgung ihrer Religionsgemeinschaft im Herkunftsland als Asylgrund angeben, oft mit der Begründung abgelehnt, sie könnten ihre religiösen Überzeugungen in ihrem privaten Bereich unbemerkt von der Öffentlichkeit ausleben (nur Schutz des forum internum). Eine europäische Richtlinie[5] legt nun aber fest, dass Menschen auch das Recht haben müssen, ihre Religion öffentlich zu praktizieren (sog. forum externum). Es wird dem Asylsuchenden also nicht zugemutet, seine Religion im Herkunftsland zu verheimlichen oder zu leugnen. Droht wegen der öffentlichen Religionsausübung oder wegen des öffentlichen Bekenntnisses zur Religion Verfolgung, kann dies zur Anerkennung führen.

Asylgrund: Homosexualität?

Die Verfolgung homosexuellen Männern oder Frauen kann einen Asylgrund darstellen. Allein die Diskriminierung oder gesellschaftliche Ächtung von Homosexualität reicht aber nicht aus. Die Verweigerung von Asyl kann zum Beispiel damit begründet werden, dass die sexuelle Orientierung im Herkunftsland keine Verfolgung nach sich zöge, solange die Öffentlichkeit davon nichts mitbekäme.

Asylgrund: Entziehung der Wehrpflicht (Syrien)?

Bei Asylsuchenden aus Syrien gehen einige Verwaltungsgericht leider nicht mehr davon aus, dass jedem potentiell Wehrdienstpflichtigen, der Syrien verlassen hat, bei Rückkehr die Gefahr droht, aufgrund einer ihm unterstellten regimefeindlichen Gesinnung verfolgt zu werden und daher eine Flüchtlingsanerkennung und nicht (nur) die Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter erfolgen muss (zu den Folgen u.a. beim Familiennachzug vgl. Kapitel 8.1; 9.1).

Zur aktuellen Rechtsprechung zu Syrien siehe: http://www.asyl.net/laender/select/syrien.html?no_cache=1&tx_ttnews[limit]=25&cHash=2bc73c66f16ad42d7185def84d75aed9.

Ausschluss der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung

Jemand, der wegen eines Verbrechens zu mindestens drei Jahren Haft verurteilt wurde und deshalb als “Gefahr für die Sicherheit Deutschlands” oder “Gefahr für die Allgemeinheit” eingestuft wird, darf keine Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung erhalten.[6] Das gleiche gilt für jemanden, der im begründeten Verdacht steht, ein Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ein schweres nichtpolitisches Verbrechen begangen zu haben etc..[7]

Seit 17.03.2016[8] kann eine Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung unterbleiben, wenn jemand „eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet“, weil

  • er/sie wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte
  • rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, und
  • die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder die Straftat ein sexueller Übergriff, eine sexuelle Nötigung oder eine Vergewaltigung[9][10]

Es muss also eine Ermessensentscheidung[11] getroffen werden, ob die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung deswegen nicht erfolgt.

Unter Umständen ist der betreffende Flüchtling aber trotzdem wegen §§ 60 Abs. 2, 5 oder 7 AufenthG vor einer Abschiebung geschützt. Das ist etwa der Fall, wenn ihm im Herkunftsland Todesstrafe, Folter oder andere Menschenrechtsverletzungen drohen.

 

[1] § 3e AsylG.

[2] § 3c AsylG.

[3] § 3d AsylG.

[4] Vgl. Art. 9 Abs. 2 Nr. e der EU-Qualifikationsrichtlinie, Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011.

[5] Art. 10 Abs. 1 Nr. 2 der EU-Qualifikationsrichtlinie, Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011.

[6] § 3 Abs. 4 AsylG; § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG.

[7] § 3 Abs. 2 AsylG.

[8] Gesetz zur erleichterten Ausweisung straffälliger Ausländer und Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11.März 2016, BGBl. I vom 16.März 2016, S. 394 f (sog. Köln-Gesetz).

[9] § 177 StGB.

[10] § 3 Abs. 4 AsylG, § 60 Abs. 8 S. 3 AufenthG.

[11] Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/7537 vom 16.02.2016, S. 9.

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