20.4 Ausreisegewahrsam

Unabhängig von den Voraussetzungen für Abschiebungshaft[1] kann ein Gericht Ausreisegewahrsam anordnen, um „die Durchführbarkeit der Abschiebung zu sichern“.[2]

Steht der Termin der Abschiebung fest, können Sie für die Dauer von längstens zehn Tagen in Ausreisegewahrsam genommen werden, wenn

  • die Ausreisefrist abgelaufen ist
  • erwartet wird, dass Sie die Abschiebung erschweren oder verhindern werden.[3]

Es wird vermutet, dass Sie die Abschiebung erschweren oder verhindern werden, wenn Sie

  • die Frist zur Ausreise um mehr als 30 Tage überschritten haben oder
  • gesetzliche Mitwirkungspflichten verletzt haben oder
  • über Ihre Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht haben oder
  • Sie wegen einer hier begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurden, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen außer Betracht bleiben.[4]

Sie können nicht in Ausreisegewahrsam genommen werden, wenn

  • Sie unverschuldet nicht ausreisen können[5]
  • die Überschreitung der Ausreisefrist gering ist[6]
  • Sie glaubhaft machen oder wenn es offensichtlich ist, dass Sie sich der Abschiebung nicht entziehen wollen[7]
  • feststeht, dass[8] die Abschiebung nicht innerhalb der Anordnungsfrist von längstens zehn Tagen durchgeführt werden kann.[9]

Auch für den Ausreisegewahrsam gilt:

Die Inhaftierung ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes, ebenfalls ausreichendes anderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Haft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist. Nach der Gesetzesbegründung zur Überstellungshaft dürfte eine Inhaftierung Minderjähriger in der Regel unverhältnismäßig sein.[10]

Der Ausreisegewahrsam wird im Transitbereich eines Flughafens oder in einer Unterkunft vollzogen, von wo aus die Ausreise möglich ist.[11] Der Ausreisegewahrsam findet unter den gleichen Bedingungen statt wie die Abschiebehaft[12] (siehe Kapitel 20.2).

Ist die Abschiebung gescheitert, bleiben Sie in Haft, wenn die Zeit, für die der Ausreisegewahrsam angeordnet wurde (längstens zehn Tage), noch nicht abgelaufen ist und die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen.[13]

Die Ausländerbehörde kann Sie ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

  • der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Ausreisegewahrsam bestehen und
  • die richterliche Entscheidung über die Anordnung des Ausreisegewahrsams nicht vorher eingeholt werden kann und
  • der begründete Verdacht vorliegt, dass Sie sich der Anordnung des Ausreisegewahrsams entziehen wollen.[14]

Die Ausländerbehörde ist verpflichtet, Sie unverzüglich einem Richter zur Entscheidung über die Anordnung des Ausreisegewahrsams vorzuführen.[15]

 

[1] § 62 Abs. 3 AufenthG.

[2] § 62b AufenthG.

[3] § 62b Abs. 1 S. 1 AufenthG.

[4] § 62b Abs. 1 S. 1 AufenthG.

[5] § 62b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG.

[6] § 62b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG.

[7] § 62b Abs. 1 S. 2 AufenthG.

[8] §§ 62b Abs. 3; 62 Abs. 1 AufenthG.

[9] § 62b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG

[10] Gesetzesbegründung, BR-Drs. Vom 18.04.2019, 179/19, S. 26.

[11] § 62b Abs. 2 AufenthG.

[12] §§ 62b Abs. 3; 62a AufenthG.

[13] §§ 62b Abs. 3; 62 Abs. 4a AufenthG.

[14] § 62b Abs. 4 S. 1 AufenthG.

[15] § 62b Abs. 4 S. 2 AufenthG.

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