19.7 Leben in der Illegalität

Um der Abschiebung zu entgehen, tauchen vermehrt Flüchtlinge unter und halten sich vor den Behörden versteckt. Wenn Sie darüber nachdenken, sollten Sie bedenken, dass ein Überleben in der Illegalität in Deutschland sehr schwer zu organisieren ist und nur wenig Aussicht auf Legalisierung besteht. Im Unterschied zu anderen europäischen Staaten hat es in Deutschland bislang noch nie eine Amnestieregelung für Illegalisierte gegeben. Wenn Sie ohne Aufenthaltsrecht und ohne Duldung in Deutschland bleiben, machen Sie sich auch strafbar.[1]

Mit dem Begriff “Illegalisierte” sind hier nicht Geduldete gemeint, sondern Menschen, die sich ohne behördliche Registrierung in Deutschland aufhalten und/oder sich vor dem Zugriff der Polizei durch “Untertauchen” entzogen haben. Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz stehen Ihnen zwar theoretisch zu, da Sie vollziehbar ausreisepflichtig sind.[2] In der Praxis können Sie diese Leistungen regelmäßig nicht in Anspruch nehmen, da ein Behördenkontakt mit einer Festnahme und Inhaftierung verbunden wäre oder – wenn Sie als Bürger/in Ihres Herkunftslandes visumsfrei einreisen durften – eine behördliche Registrierung und Überwachung zur Folge hätte. Die Behörden (Sozialamt, Arbeitsagentur, Ausländerbehörde) tauschen Ihre Daten untereinander aus.[3] Wenn Sie Sozialleistungen beim Sozialamt beantragen, benachrichtigt das Amt die Ausländerbehörde oder die Polizei.

In einem medizinischen Notfall ist jeder Arzt und jedes Krankenhaus verpflichtet, Ihnen zu helfen. In manchen Städten gibt es Initiativen, die Sie an Ärzte oder Ärztinnen vermitteln können, die Illegalisierte kostenlos behandeln.

  • Erkundigen Sie sich bei einer Beratungsstelle oder dem Flüchtlingsrat Niedersachsen nach solchen Initiativen.

Im Krankenhaus brauchen Sie eine Abschiebung in der Regel nicht zu befürchten, solange Sie aufgrund Ihrer Erkrankung nicht reisefähig sind. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass die Ausländerbehörde Sie unter Umständen schon im Krankenhaus festzunehmen versucht, wenn die Ärzte Sie wieder für “transportfähig” halten. In Ausnahmefällen ist es auch schon vorgekommen, dass die Ausländerbehörde Menschen aus öffentlichen Krankenhäusern hat abholen lassen, um sie in einem Haftkrankenhaus unterzubringen und von dort aus später abzuschieben. In solchen Fällen ist es entscheidend, ob der behandelnde Arzt im Krankenhaus einer solchen “Überführung” zustimmt.

  • Es kann deshalb für Sie hilfreich sein, Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt im Krankenhaus frühzeitig von Ihrer Situation zu berichten und ihr/sein Verständnis zu wecken für Ihre Angst vor Haft oder Abschiebung.

Ein Besuch einer staatlichen Schule oder eines staatlichen Kindergartens ist ebenfalls riskant. In der Praxis kommt es dennoch zuweilen vor, dass Kinder ohne behördliche Registrierung in Schule oder Kindergarten betreut und unterrichtet werden. Staatliche Schulen und Kindertagesstätten sind nicht verpflichtet Ihrer Daten an die Ausländerbehörde weiterzugeben;[4] nichtstaatliche Organisationen und Privatpersonen (zum Beispiel Deutschlehrer/innen an Volkshochschulen) sind dies ohnehin nicht. Dennoch haben Sie nicht die Sicherheit, dass in der Praxis die Ausländerbehörde nicht doch informiert wird.

Eine Legalisierung Ihres Aufenthalts ist sehr schwierig. Generell gibt es keine Bleiberechts- oder Legalisierungsregelungen für Personen ohne Status. Ein Aufenthaltsrecht können Sie zum Beispiel bekommen, wenn Sie einen/eine Deutsche/n heiraten oder Vater/Mutter eines deutschen Kindes sind, um dessen Erziehung Sie sich kümmern. Auch eine Heirat mit einer Person mit Aufenthaltsrecht und/oder eine Vaterschaft/Mutterschaft zu einem ausländischen Kind kann in bestimmten Fällen ein Aufenthaltsrecht für Sie nach sich ziehen. Allerdings müssen Sie in der Regel zunächst ausreisen und bei der deutschen Botschaft im Ausland ein Visum zum Zweck der Familienzusammenführung beantragen.

Im Falle einer Schwangerschaft können Sie erst dann eine Duldung erhalten, wenn Sie sich bereits in der Mutterschutzzeit befinden (ab sechs Wochen vor der Geburt) oder wenn eine ärztlich attestierte Risikoschwangerschaft vorliegt, aufgrund derer Sie reiseunfähig sind. Welche Voraussetzungen genau zu erfüllen sind und welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, wird Ihnen im jeweiligen Einzelfall am besten ein Anwalt, eine Anwältin oder eine Beratungsstelle erläutern können. Dort erfahren Sie auch, was Sie tun müssen, um in Deutschland standesamtlich zu heiraten, obwohl kein Aufenthaltsrecht (mehr) besteht.

  • Besprechen Sie sich auf jeden Fall mit einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin, bevor Sie sich bei den Behörden (wieder) melden.

Wenn Sie glauben, in Ihrem Herkunftsland verfolgt oder gefährdet zu sein, können Sie einen Asylantrag stellen, um eine Aufenthaltsgestattung zu bekommen. Wenn Sie allerdings festgenommen wurden und einen Asylantrag erst aus der Haft heraus stellen, führt der Asylantrag nicht automatisch zu einer Haftentlassung.[5]

  • Lesen Sie zum Asylverfahren Kapitel 1 bis 3 dieses Leitfadens.

 

[1] § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.

[2] § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG.

[3] § 87 AufenthG.

[4] § 87 Abs. 1 AufenthG.

[5] § 14 Abs. 3 AsylG.

Inhalt dieses Kapitels:

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