Im Asylbewerberleistungsgesetz ist auch die Krankenversorgung geregelt:[1]
- Medizinische Versorgung, (zahn-)ärztliche Hilfe und sonstige erforderlichen Leistungen müssen bei allen akuten oder akut behandlungsbedürftigen Erkrankungen gewährt werden.
- Medizinische Versorgung, (zahn-)ärztliche Hilfe und sonstige erforderlichen Leistungen müssen bei allen mit Schmerzen verbundenen Erkrankungen gewährt werden.
- Zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten werden Schutzimpfungen[2] und die medizinisch gebotenen Vorsorgeuntersuchungen erbracht
- Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, wenn dies “unaufschiebbar” (das heißt jetzt unmittelbar notwendig) ist.
- Bei Schwangerschaft und Geburt erhalten Frauen alle auch für Deutsche üblichen medizinischen Leistungen bei Arzt und Krankenhaus, sämtliche Vorsorgeuntersuchungen für Mutter und Kind, Hebammenhilfe, Medikamente und Heilmittel.[3]
- „Sonstige“ medizinische Leistungen müssen gewährt werden, wenn dies “zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich” ist.[4]
Das Sozialamt muss die Versorgung von Flüchtlingen mit einer Duldung mit den Leistungen nach § 4 AsylbLG sicherstellen. Es muss auch dafür sorgen, dass frühzeitig eine Vervollständigung ihres Impfschutzes angeboten wird.[5]
Die Regelungen zur medizinischen Versorgung machen in der Praxis oft Schwierigkeiten. Manche Ärzte
tun nicht alles, was nötig wäre. Damit der Arzt Sie behandelt, müssen Sie in der Regel einen Krankenschein vorlegen. Manche Sozialämter lehnen Anträge ab oder schicken Flüchtlinge, die um einen Krankenschein bitten, wieder weg, weil sie meinen, dass die Krankheit nicht akut, sondern chronisch sei. Probleme gibt es vor allem mit Heil- und Hilfsmitteln wie Brillen, Hörgeräten, Prothesen, Rollstühlen, aber auch Medikamenten und Operationen.
Die folgenden Argumente sprechen für eine Gewährung der Behandlung:
- Die meisten chronischen Krankheiten sind auch gleichzeitig schmerzhaft, viele können sich akut verschlechtern, wenn keine Behandlung erfolgt (z.B. Diabetes oder eine Gehbehinderung). Deshalb sind solche dauerhaften Krankheiten auch vom Arzt zu behandeln.
- Ein Zahnersatz ist “unaufschiebbar”, wenn Folgeschäden drohen. Das heißt, wenn ohne Behandlung weitere Zähne verloren gehen können oder eine Magenerkrankung droht, weil Sie nicht mehr richtig kauen können.
- Die Verweigerung von Krankenscheinen durch das Sozialamt ist rechtswidrig, weil der/die Sozialamtsmitarbeiter/in nicht beurteilen kann, ob eine akute Erkrankung vorliegt und was zur Sicherung der Gesundheit “unerlässlich” ist. Die Diagnose durch einen Arzt muss in jedem Fall möglich sein.
- Viele “sonstige” Leistungen können für die Gesundheit unerlässlich sein: Zum Beispiel Mehrkosten für besondere Ernährung bei Schwangerschaft oder bestimmten Krankheiten, Versorgung und Pflege von Behinderten und Pflegebedürftigen, Psychotherapie (zum Beispiel nach Kriegserfahrungen, Folter oder Vergewaltigung), Reha-Maßnahmen nach Schlaganfall oder Unfall; Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen,[6] Fahrtkosten, wenn sonst keine Möglichkeit besteht, zum Arzt oder Krankenhaus zu gelangen und anderes.
- Um bestimmte Leistungen zu erhalten, tragen Sie beim Sozialamt gute Gründe vor (dass Sie Schmerzen haben, dass die Krankheit jetzt akut ist, dass Ihre Erkrankung sich verschlimmert, wenn nicht behandelt wird, warum eine bestimmte Leistung für die Gesundheit unerlässlich ist).
- In bestimmten Fällen kann ein Attest oder Gutachten helfen, einen Anspruch beim Sozialamt durchzusetzen: Zum Beispiel wenn die Schule oder eine Logopädin bescheinigt, dass ein Kind ein Hörgerät braucht, um in seiner sprachlichen und geistigen Entwicklung nicht geschädigt zu werden. Oder wenn ein Arzt bescheinigt, dass eine Brille notwendig ist, weil jemand sonst im Straßenverkehr erheblich gefährdet ist.
Rechtlich kann eine Gewährung der Behandlung zum einen auch auf den Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) gestützt werden, nach dessen Art. 12 Abs. 1 die Vertragsstaaten das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit anerkennen.[7]
Wenn Ihnen ärztliche Hilfe, Heil- oder Hilfsmittel verweigert werden, können Sie beim Sozialamt dagegen Widerspruch einlegen.[8] Dann muss die Entscheidung noch einmal überprüft werden. Sie haben einen Monat, bei nur mündlicher Ablehnung ein Jahr Zeit, um einen Widerspruch einzulegen.[9]
Haben Sie einen schriftlichen Bescheid gekommen, steht an dessen Ende in einer Rechtmittelbelehrung, in welcher Frist Sie bei welcher Stelle Widerspruch einlegen können. Eine Beratungsstelle hilft Ihnen, einen schriftlichen Widerspruch zu verfassen.
Wenn der Widerspruch zurückgewiesen wird, können Sie sich an das Sozialgericht wenden und eine Klage einlegen. Wenden Sie sich hierzu an eine/n Rechtsanwalt/wältin oder eine Beratungsstelle. In dringenden Fällen kann das Gericht auch sofort (gleichzeitig mit dem Widerspruch) eingeschaltet werden und muss innerhalb von wenigen Tagen vorläufig entscheiden. Dafür müssen Sie zusätzlich einen “Eilantrag” an das Gericht stellen und begründen, warum eine Entscheidung sofort notwendig ist (zum Beispiel weil Ihnen schwere Schäden drohen, wenn eine Krankheit nicht sofort behandelt wird).
- Wenn Sie sich Sorgen wegen einer Erkrankung machen oder Schmerzen haben, aber eine Behandlung abgelehnt wird, können Sie auch in das nächste Krankenhaus gehen. Dort muss man Sie zumindest untersuchen und eine Diagnose stellen.
- Wenn Sie medizinische Leistungen erhalten werden, darf von Ihnen kein Geld für Zuzahlungen (zum Beispiel “Zuzahlung” für ein Medikament) verlangt werden. Weisen Sie die Arztpraxis, die Apotheke oder das Krankenhaus darauf hin, dass das Sozialamt alle Kosten zu 100% übernimmt. Verlangen Sie bereits geleistete Zuzahlungen wieder zurück! Wird die Rückzahlung verweigert, wäre das Betrug, weil der Arzt/die Apotheke/das Krankenhaus zu seinem Vorteil doppelt abkassiert: von Ihnen die Zuzahlung und vom Sozialamt noch einmal 100 % der Kosten.
Krankenversorgung mit Gesundheitskarte
Im März 2016 hat die Niedersächsische Landesregierung eine Landesrahmenvereinbarung mit den Landesverbänden der Gesetzlichen Krankenversicherungen abgeschlossen. Damit können alle Kommunen seit 01.04.2016 mit einer gesetzlichen Krankenkasse einen Vertrag nach § 264 Abs. 1 SGB V schließen. Geschieht das, erhalten Personen mit einer Duldung, die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG beziehen, eine elektronische Gesundheitskarte.[10] Damit können Sie -wie gesetzlich krankenversicherte Personen- direkt zum Arzt gehen können, ohne vorher einen Antrag beim Sozialamt stellen zu müssen.[11] Der Leistungsumfang richtet sich aber trotzdem nur nach den § 4 und § 6 AsylbLG (siehe oben). Es wäre wünschenswert, wenn alle Nds. Kommunen von dieser Möglichkeit der Versorgung mit einer elektronischen Gesundheitskarte, die seit langem in Bremen und Hamburg praktizierte wird, Gebrauch machen würden.
Zu den Einzelheiten siehe auch: https://www.nds-fluerat.org/19960/aktuelles/gesundheitskarte-fuer-fluechtlinge-in-niedersachsen-das-verfahren-stockt/
Bessere medizinische Versorgung nach 18 Monaten
Wenn Sie schon 18 Monate Leistungen nach dem AsylbLG erhalten haben, können Sie Leistungen nach § 2 AsylbLG beanspruchen (siehe Kapitel 4.4). Durch das im Sommer 2019 verabschiedete Migrationspaket ist die Wartezeit von 15 auf 18 Monate verlängert worden. Dies wirkt sich auch auf die Krankenversorgung aus.
Nach § 2 AsylbLG erhalten Sie die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung im gleichen Umfang wie Deutsche. Sie gelten zwar streng genommen nicht als Krankenversicherte, erhalten aber eine Versicherungskarte und bekommen alle Leistungen, auf die auch deutsche Versicherte einen Anspruch haben, von der von Ihnen gewählten gesetzlichen Krankenkasse.[12] Die Kasse holt sich das Geld anschließend vom Sozialamt zurück. Leistungen der Pflegeversicherung erhalten Sie allerdings nicht über die Krankenkasse. Sie können aber gegebenenfalls Hilfe zur Pflege[13] beim Sozialamt beantragen.
Von den Krankenkassen nicht bezahlt werden Brillen und nicht verschreibungspflichtige Medikamente, Dolmetscher- und Fahrtkosten. Ausnahmen gelten für Kinder.
- Wenn Sie mit einer Entscheidung der Krankenkasse nicht einverstanden sind, legen Sie schriftlich “Widerspruch” ein.[14] Der Widerspruch richtet sich dann direkt gegen die Krankenkasse (nicht mehr gegen das Sozialamt). Haben Sie einen schriftlichen Bescheid bekommen, steht an dessen Ende in einer Rechtmittelbelehrung, in welcher Frist Sie bei welcher Stelle Widerspruch einlegen können. In dringenden Fällen können Sie gleichzeitig einen Eilantrag beim Sozialgericht einreichen. Wird der Widerspruch zurückgewiesen, können Sie eine Klage beim Sozialgericht einreichen.Sie sind nach dem Gesetz zu bestimmten Zuzahlungen verpflichtet. Dazu gehören eine Beteiligung an Medikamenten (pro Medikament bis zu 10 Euro in der Apotheke) und anderen Leistungen (zum Beispiel bei Krankenhausaufenthalten oder für spezielle, nicht von der Kasse getragene Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft und anderes). Für Kinder und Jugendliche fallen keine Zuzahlungen an.[15] Für Empfänger von Leistungen nach § 2 AsylbLG i.V. m. SGB XII gilt die Höchstgrenze von 2% des Regelsatzes. Der Betrag gilt nicht pro Person, sondern für alle Mitglieder der Familie zusammen. Für chronisch Kranke gilt unter bestimmten Bedingungen eine Grenze von 1% pro Jahr.
- Sammeln Sie alle Zuzahlungsquittungen Ihrer Familie. Wenn die Höchstgrenze erreicht ist, muss die Krankenkasse Ihnen bescheinigen, dass Sie für den Rest des Jahres von weiteren Zuzahlungen befreit sind und Ihnen bereits zu viel gezahlte Beträge zurückzahlen. Stellen Sie dazu einen Antrag und fügen Sie die Quittungen bei.
Krankenversicherung für Arbeitnehmer/innen
Wenn Sie eine Arbeitsgelegenheit wahrnehmen oder als Arbeitnehmer*in als „geringfügig Beschäftigter“ einen Minijob haben und weniger als 450 Euro im Monat verdienen, sind Sie nicht sozialversicherungspflichtig und es ändert sich an Ihrer Krankenversorgung nichts.
Wenn Sie als Arbeitnehmer/in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung (für mehr als 450 Euro im Monat) ausüben, werden Ihnen vom Lohn prozentuale Zahlungen in die Sozialversicherungen (Kranken-, Pflege- Renten- und Arbeitslosenversicherung) abgezogen. Sie werden reguläres Mitglied einer Krankenkasse. Sie erhalten eine Versicherungskarte und alle gesetzlichen Krankenkassenleistungen. Das gilt auch für den Fall, dass Sie wegen geringen Einkommens noch ergänzende Sozialleistungen nach AsylbLG erhalten. Wenn Sie Ihre Arbeit verlieren, endet auch Ihre Mitgliedschaft in der Krankenkasse. Sie sollten dies der Krankenkasse und dem Sozialamt sofort mitteilen. Sie erhalten dann wieder Leistungen zur medizinischen Versorgung wie in den vorigen Abschnitten beschrieben. Wenn Sie Arbeitslosengeld I erhalten, sind Sie weiter gesetzlich krankenversichert[16] und die Agentur für Arbeit zahlt die Versicherungsbeiträge.
Als Mitglied einer Krankenkasse gilt alles das, was im vorherigen Abschnitt (“Bessere medizinische Versorgung nach 18 Monaten”) beschrieben ist. Sie sind gesetzlich zu Zuzahlungen verpflichtet. Die Höchstgrenze für Ihre ganze Familie liegt bei 2% Ihres Bruttojahreseinkommens. Abgezogen werden Freibeträge für Ihre/n Ehepartner/in und Kinder.[17]
- Um Ihre Kosten so gering wie möglich zu halten, beachten Sie die im vorhergehenden Abschnitt (“Bessere medizinische Versorgung nach 18 Monaten”) gegebenen Hinweise und Ratschläge zu Widerspruch und Klage, Praxisgebühren und Erreichen der Belastungsgrenze.Wenn Sie sozialversicherungspflichtig arbeiten und ergänzende Leistungen nicht nach § 2 AsylbLG, sondern nur nach §§ 3-4 und 6-7 AsylbLG beziehen (siehe Kapitel 12.4), ergibt sich ein Problem: Durch eine gesetzliche Regelungslücke liegt die Belastungsgrenze bei 2% der Einkünfte und Sozialleistungen der ganzen Familie.
- Beantragen Sie die nicht von der Krankenkasse übernommenen Leistungen nach § 4 und § 6 AsylbLG und legen Sie notfalls Widerspruch beim Sozialamt, Klage und Eilantrag beim Sozialgericht ein.
[1] §§ 4 und 6 AsylbLG.
[2] Entsprechend §§ 47, 52 Abs. 1 S. 1 SGB XII.
[3] § 4 Abs. 2 AsylbLG.
[4] § 6 Abs. 1 AsylbLG.
[5] § 4 Abs. 3 S. 1, 2 AsylbLG.
[6] Passage gGmbH, Hamburg und Caritasverband für die Diözese Osnabrück e.V., Leitfaden zur Beratung von Menschen mit einer Behinderung im Kontext von Migration und Flucht, S. 56 ff, www.esf-netwin.de/recht.php; Passage gGmbH/Universität Hamburg, SOZIALLEISTUNGEN für Menschen mit einer Behinderung im Kontext von Migration und Flucht, Stand November 2016, S. 77 ff.
[7] Das Fakultativprotokoll zum IPwskR von 2008 sieht auch ein Individualbeschwerdeverfahren vor, vgl. Cremer, Hendrik, »Menschenrechtsverträge als Quelle individuellen Rechts«, AnwBl 3/2011 S. 159 ff. (159).
[8] Vgl. § 4a Nds. AG SGG.
[9] §§ 84 Abs. 1; 66 Abs. 2 SGG.
[10] http://www.nds-fluerat.org/19960/aktuelles/gesundheitskarte-fuer-fluechtlinge-in-niedersachsen-das-verfahren-stockt/.
[11] Zu den Einzelheiten vgl. Claudius Voigt, Arbeitshilfe Überblick zu den Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz zum 1. März 2015, Hrsg. Der Paritätische Gesamtverband, S. 17.
[12] § 264 Abs. 2 S. 1 SGB V.
[13] §§ 61 ff SGB XII.
[14] Vgl. § 4a Nds. AG SGG.
[15] §§ 31 Abs. 2; 25; 39 Abs. 4 SGB V i.V.m. § 61 SGB V (Höhe der Zuzahlung).
[16] § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V.
[17] § 62 SGB V.