11.2 Duldung für Personen mit ungeklärter Identität

Durch das „zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ vom 5.08.2019 wurde die sog. Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ nach § 60b AufenthG, auch als „Duldung light“ bezeichnet geschaffen. Diese Duldung hat u.a. den Nachteil, dass Sie damit ein Arbeitsverbot haben.[1]

Diese Duldung erhalten Sie, wenn Sie vollziehbar ausreisepflichtig sind, zum Beispiel weil Ihr Asylantrag endgültig abgelehnt wurde, und Sie aus selbst zu vertretenden Gründen nicht abgeschoben werden können

  • wegen eigener Täuschung über Identität oder Staatsangehörigkeit oder wegen eigener falscher Angaben oder
  • weil Sie „zumutbare Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht nach nicht vornehmen“.[2]

Die fehlenden Passpapiere müssen die Ursache dafür sein, warum Sie nicht abgeschoben werden können.[3] Wenn ein anderes rechtliches Abschiebungshindernis (vgl. Kapitel 11.1) vorliegt oder aufgrund eines Erlasses einen Abschiebung nicht möglich ist, ist das Kriterium des selbstverschuldeten Abschiebungshindernisses nicht erfüllt.[4]

Auf Ihrer Duldung steht dann „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“.[5]

Wenn Sie keinen gültigen Pass oder Passersatz haben, müssen Sie alle Ihnen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbaren Handlungen zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzes selbst vorzunehmen.[6]

Sie sind aber nicht zur Mitwirkung verpflichtet,[7]

  • ab Stellung eines Asylgesuchs bzw. eines Asylantrags bis zur rechtskräftigen Ablehnung des Asylantrages.

Das müsste auch gelten, wenn Ihr Asylantrag vom BAMF als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, Sie eine Duldung erhalten haben,[8] aber das Verwaltungsgericht noch nicht endgültig über die Asylklage entschieden hat (vgl. Kapitel 5.2).

  • wenn ein Abschiebungsverbot vorliegt nach § 60 Abs. 5 AufenthG (wegen Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, vgl. Kapitel 3.3) und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde
  • wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG besteht (wegen erheblicher konkreter Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit, vgl. Kapitel 3.3) und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde
    es sei denn, das Abschiebungsverbot beruht allein auf gesundheitlichen Gründen.

Der Gesetzgeber hat jetzt festgelegt, welche Mitwirkungshandlungen für Sie „regelmäßig zumutbar“ sein sollen[9]

  • Angabe aller Tatsachen zur Feststellung der Person der Passbewerbenden
  • Erbringung der entsprechenden Nachweise
  • Abnahme von Fingerabdrücken, Aufnahme von Fotos, Durchführung von Messungen (erkennungsdienstliche Maßnahmen)
  • Persönliche Vorsprache bei Behörden des Herkunftsstaates
  • Teilnahme an Anhörungen
  • Abgabe von Angaben oder Erklärungen und Vornahme von Handlungen, die der Rechts- und Verwaltungspraxis entsprechen, soweit dies nicht unzumutbar ist
  • Abgabe der Erklärung, freiwillig auszureisen
  • Abgabe der Erklärung,
    – die Wehrpflicht zu erfüllen, sofern das nicht unzumutbar ist
    – andere zumutbare staatsbürgerliche Pflichten zu erfüllen
  • Zahlung der allgemein festgelegten Gebühren, sofern es nicht unzumutbar ist
  • erneute Vornahme der Mitwirkungshandlungen, wenn
    – wegen einer Änderung der Sach- und Rechtslage mit der Ausstellung des Passes/Passersatzes
    mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden kann und

– die Ausländerbehörde zur erneuten Vornahme der Handlungen auffordert.

Es muss Ihnen objektiv möglich, eine bestimmte Mitwirkungshandlung vorzunehmen, daher kann die Ausländerbehörden zum Beispiel nicht die Beschaffung von verschollenen Urkunden verlangen.

Außerdem sind nicht alle denkbaren Methoden zur Beschaffung von Passpapieren zumutbar: Sie dürfen etwa nicht verpflichtet werden, Pässe auf gesetzeswidrige Weise, etwa durch Bestechung, zu erlangen. Da insbesondere das Kriterium der Zumutbarkeit einen großen Auslegungsspielraum eröffnet, kommt es auch darauf an, wie die Verwaltungsgerichte dies im Einzelnen beurteilen.

Achtung     

Die Ausländerbehörde muss Sie auf die Mitwirkungspflichten hinweisen.[10]

Außerdem könne Sie eine unterlassene Mitwirkungshandlung jederzeit nachholen, in dem Sie beispielsweise bei der Botschaft einen Pass beantragen. Dann muss die Ausländerbehörde Ihnen eine Duldung ohne den Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ ausstellen.[11]

Es wird angenommen, dass Sie bestimmte Mitwirkungspflichten erfüllt haben, wenn Sie dies glaubhaft gemacht haben.[12]

  • Besuche bei der Botschaft Ihres Herkunftslandes sollten Sie daher durch Zeugenaussagen oder andere geeignete Unterlagen (z.B. Bestätigungen der Botschaft, hilfsweise Fahrquittungen, Fotos,) dokumentieren. Wenn Sie einen Termin für einen Botschaftsbesuch nicht wahrnehmen können, weil Sie krank geworden sind, holen Sie sich eine Bestätigung vom Arzt und schicken Sie diese zur Ausländerbehörde.

Die Ausländerbehörde kann Sie auffordern, hierzu eine sog. eidesstattliche Versicherung abzugeben. Das hat zur Folge, dass Sie sich wegen falscher Versicherung an Eides statt strafbar machen würden, wenn Ihre Erklärung unwahr ist.[13]

Wenn Sie eine Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ haben, bedeutet das Folgendes:[14]

  • Die Zeiten mit dieser Duldung werden nicht als sog. „Vorduldungszeiten“ angerechnet. Wenn Sie zum Beispiel wegen Ihrer „nachhaltigen Integration“ eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG haben möchte, müssen Sie u.a. seit acht Jahren[15] geduldet, gestattet oder erlaubt hier leben. Die Zeit, in der Sie eine Duldung für Personen mit ungeklärter Identität haben, wird dann nicht mitgezählt. Bestimmte Voraufenthaltszeiten sind auch bei der Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG erforderlich.[16]
  • Sie dürfen nicht arbeiten, d.h. auch keine betriebliche Ausbildung und kein Praktikum machen (zu den Einzelheiten vgl. Kapitel 12.3)
  • Es besteht eine Wohnsitzauflage[17] (zu den Einzelheiten vgl. Kapitel 12.2)

Wer nicht alle zumutbaren Handlungen vornimmt, um einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz zu erlangen, begeht eine Ordnungswidrigkeit (keine Straftat), was zu mit einer Geldbuße von maximal 5000 € führen kann.[18]

Bei der Einführung der Duldung für Personen mit ungeklärter Identität gilt eine Übergangsregelung[19]

  • Sie können diese Duldung frühestens dann bekommen, wenn Ihre alte Duldung verlängert werden muss oder wenn Sie eine Duldung aus einem anderen Grund beantragen.
  • Wenn Sie eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle haben, erhalten Sie bis 01.07.2020 keine Duldung für Personen mit ungeklärter Identität.
  • Die Erteilung dieser Duldung ist auch nicht möglich, wenn Sie eine Ausbildungsduldung oder einer Beschäftigungsduldung (vgl. Kapitel 11.4 und 11.5) besitzen oder diese beantragt haben und die Erteilungsvoraussetzungen erfüllen.

Wenn Sie eine Duldung für Personen mit ungeklärter Identität haben oder wenn Sie sie erhalten sollen, sollten Sie sich unbedingt an eine gute Beratungsstelle oder an ein spezialisiertes Anwaltsbüro wenden, da diese Duldung vielfach der Sicherung Ihres Aufenthalts entgegensteht.

Informieren Sie sich, welche Schritte Sie unternehmen müssten, um Ihren Mitwirkungspflichten nachzukommen, aber auch welche Folgen das haben kann.

Das Bundesinnenministerium hat zu der Duldung für Personen mit ungeklärter Identität Anwendungshinweise erlassen, die aber für die nds. Ausländerbehörden nicht bindend sind.[20]

 

[1] § 60b Abs. 5 S. 2 AufenthG.

[2] § 60b Abs. 1 S. 1 AufenthG.

[3] So auch die Verfahrenshinweise der Ausländerbehörde Berlin (VAB Berlin), A.60b.0; dort heißt es „Das Verhalten des Ausländers muss für die Unmöglichkeit der Abschiebung ursächlich sein“; vgl. auch die Gesetzesbegründung, BR Drs. 179/19 vom 18.04.19, S. 35 f.

[4] Kirsten Eichler: Das Sanktionsregime der „Duldung light“, Beilage zum Asylmagazin 8-9 2019, S. 64 ff (67).

[5] § 60b Abs. 1 S. 2 AufenthG.

[6] § 60b Abs. 2 S. 1 AufenthG.

[7] § 60b Abs. 2 S. 2 AufenthG.

[8] Das ist der Fall, wenn der Eilantrag, der gegen die Ablehnung als offensichtlich unbegründet eingelegt wurde, vom Verwaltungsgericht abgelehnt wird.

[9] § 60b Abs. 3 S. 1 AufenthG.

[10] § 60b Abs. 3 S. 2 AufenthG.

[11] § 60b Abs. 4 S. 1 und 2 AufenthG.

[12] § 60b Abs. 3 S. 3 AufenthG.

[13] § 156 StGB.

[14] § 60b Abs. 5 AufenthG.

[15] Für Personen, die mit minderjährigen Kindern zusammenleben, reichen sechs Jahre (§ 25b Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AufenthG), zu den Einzelheiten vgl. Kapitel 15.

[16] Zu den Einzelheiten vgl. Kapitel 14.

[17] § 61 Abs. 1d AufenthG.

[18] § 98 Abs. 3 Nr. 5b und Abs. 5 AufenthG.

[19] § 105 AufenthG.

[20] Siehe https://www.frnrw.de/fileadmin/frnrw/media/downloads/Themen_a-Z/AH_BMI____60b_AufenthG_14.4.2020_1_.pdf.

Inhalt dieses Kapitels:

Jetzt spenden und unsere Arbeit unterstützen!