1.1 Wer kann einen Asylantrag stellen?

Theoretisch kann jeder Mensch, der in seiner Heimat politisch verfolgt wird oder politische Verfolgung bei seiner Rückkehr befürchten muss, in Deutschland einen Antrag auf Asyl stellen. Flüchtlinge können aber schon vorher abgewiesen werden. Zuerst muss ein Flüchtling die Grenzkontrollen überwinden. An der Grenze können Flüchtlinge festgenommen und sofort ins Nachbarland zurückgebracht werden. Das liegt daran, dass die Staaten der Europäischen Union (EU) und einige weitere europäische Staaten (Norwegen, Island, Lichtenstein und die Schweiz) in der sog. Dublin III Verordnung[1] vereinbart haben, dass ein Flüchtling nur in einem EU-Staat ein Asylverfahren erhalten soll. Das ist in der Regel der Staat, den ein Flüchtling zuerst betreten hat oder für den er ein Visum erhalten hat. Dann ist nicht Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, sondern der Staat, zu dem der erste persönliche Kontakt bestand.

Nach der gegenwärtigen Rechtlage wird im grenznahen Bereich[2] einem Flüchtling unterstellt, aus dem Nachbarland gekommen zu sein. Das hat zur Folge, dass er/sie unmittelbar in das Nachbarland zurückgeschoben werden kann.[3]

Aber auch wenn ein Flüchtling die Grenze weit hinter sich gelassen hat, ist nach dem Asylgesetz nach Abgabe eines Asylantrages immer zu prüfen, ob ein anderer Staat für die Durchführung des Verfahrens zuständig ist. Wenn Deutschland Anhaltspunkte dafür hat, dass eigentlich ein anderer Staat zuständig wäre, zum Beispiel durch Fingerabdrücke im europäischen Computersystem EURODAC oder andere Anhaltspunkte (z.B. Währung eines anderen EU-Staates mitgeführt, Fahrkarten oder andere schriftliche Hinweise auf einen früheren Aufenthalt in einem anderen EU-Staat), wird der Asylantrag (zunächst) nicht inhaltlich geprüft, sondern nach der Dublin III Verordnung ein “Überstellungsverfahren” in den zuständigen EU-Staat eingeleitet (lesen Sie dazu genauer Kapitel 6.1).[4]

Wenn Sie in einem anderen EU-Mitgliedsstaat internationalen Schutz, d.h. die Flüchtlingsanerkennung bzw. subsidiären Schutz erhalten haben, ist der Asylantrag in Deutschland unzulässig.[5] Ihnen wird die Abschiebung in das Land, das den Schutz gewährt hat, angedroht und eine einwöchige Ausreisefrist festgelegt (zu den Einzelheiten siehe Kapitel 6.2).[6]

Seit Inkrafttreten des sog. Integrationsgesetzes am 06.08.2016 ist unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Abschiebung in ein sonstiges Land möglich, das bereit ist, den Flüchtling wieder aufzunehmen, da angenommen wird, dass auch in anderen Drittstaaten eine Sicherheit vor politischer Verfolgung bestehen kann (vgl. Kapitel 6.3). [7]

Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass ein Flüchtling in einen so genannten “sicheren Drittstaat” außerhalb der EU abgeschoben wird. Dann soll gar kein Asylverfahren in der EU durchgeführt werden. Bislang gibt es keine gemeinsame Liste der EU-Staaten, die festlegt, welche Staaten als sichere Drittstaaten gelten sollen. Nach deutschem Recht gelten bisher außer allen EU-Mitgliedstaaten nur die Schweiz und Norwegen als sichere Drittstaaten.[8]
Diese Regelung hat aber -soweit ersichtlich- gegenwärtig keine erhebliche Bedeutung.

Einen Asylantrag können Erwachsene, aber auch Kinder stellen. Für unverheiratete Kinder unter 18 Jahren wird automatisch ein Asylverfahren eingeleitet, wenn die Eltern einen Asylantrag stellen und sie mit ihren Eltern gemeinsam einreisen oder sich bereits ohne Aufenthaltserlaubnis in Deutschland aufhalten.[9] Auch für Kinder unter 18 Jahren, die später nachkommen, oder für Kinder, die in Deutschland geboren werden, wird automatisch ein Asylverfahren eingeleitet.[10] Dies geschieht auch dann, wenn die Eltern im Asylverfahren bereits abgelehnt wurden und entweder keine Aufenthaltserlaubnis besitzen oder eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG.

Wird ein Asylverfahren für ein später eingereistes Kind unter 18 Jahren oder für ein in Deutschland geborenes Kind eingeleitet, werden die Eltern schriftlich gefragt, ob sie auf die Durchführung des Asylverfahrens für ihr Kind verzichten.[11] Die Eltern sollten zusammen mit einer Beratungsstelle oder einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt gut überlegen, ob sie auf die Durchführung des Asylverfahrens für ihr Kind verzichten. Denn meistens haben die Kinder kaum eine Chance, als Asylberechtigte oder Flüchtling anerkannt zu werden, wenn die Asylanträge der Eltern bereits endgültig abgelehnt wurden. Das Bundesamt wird den Asylantrag des Kindes dann als offensichtlich unbegründet ablehnen (vgl. Kapitel 5.5).

 Asylantrag bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht am 29.7.2017 muss das Jugendamt, wenn es unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in seine Obhut nimmt, unverzüglich einen Asylantrag für sie stellen, wenn „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das Kind oder der Jugendliche die Flüchtlingsanerkennung oder subsidiären Schutz (vgl. hierzu Kapitel 3.1 und 3.2) benötigt; [12] dabei ist das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen.“[13]

In den Hinweisen zur Umsetzung dieser Neuregelung[14] stellt der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) fest, dass pauschale Asylantragstellungen ohne Einzelfallprüfung unzulässig sind:

  • Die Frage, ob die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes[15] vorliegen, kann nur von im Asyl- und Aufenthaltsrecht qualifizierten Personen beantwortet werden. Stammt der/die Betroffene aus einem sog. sicheren Herkunftsstaat,[16] so ist in jedem Fall kundiger Rechtsrat einzuholen. Diese Asylanträge werden im Regelfall als offensichtlich unbegründet abgelehnt,[17] was u.a. zu einem (zeitweisen) Verbot der Wiedereinreise[18] und zu einem Arbeitsverbot[19] führen kann.
  • In Bezug auf den Zeitpunkt der Antragstellung ist auch zu berücksichtigen, ob die persönliche Situation des unbegleiteten Minderjährigen die Einleitung des Asylverfahrens zulässt.[20] Als tragender Grundsatz muss das Wohl des Kindes/Jugendlichen[21] bei der Abwägung über die Stellung eines Antrags im Asylverfahren vorrangig berücksichtigt werden.
  • Die unbegleiteten Minderjährigen sind zwingend an der Entscheidung über die Stellung des Asylantrags zu beteiligen. Das bedeutet, sie müssen umfassend über Bedeutung, Verfahren und Folgen informiert werden.

 

[1] VERORDNUNG (EU) Nr. 604/2013 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), siehe http://www.asyl.net/?id=128.

[2] Einzelheiten hierzu vgl. Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 18 AufenthG, Rn. 29.

[3] § 18 Abs. 3 AsylG.

[4] §§ 29 Abs. 1 Nr. 1a; 34a Abs. 1 AsylG.

[5] § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG.

[6] §§ 35, 36 Abs. 1 AsylG.

[7] §§ 29 Abs. 1 Nr. 4; 27 AsylG.

[8] § 26a Abs. 2 AsylG; Anlage I zum AsylG.

[9] § 14a Abs. 1 AsylG.

[10] § 14a Abs. 2 AsylG.

[11] § 14a Abs. 3 AsylG.

[12] § 42 Abs. 2 S. 5 SGB VIII. Nach der Gesetzesbegründung (Drucksache 18/11546 vom 16.3.2017 siehe http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/115/1811546.pdf) muss ein Asylantrag  gestellt werden, wenn internationaler Schutz in Betracht kommt.

[13] § 42 Abs. 2 S. 5 SGB VIII.

[14] https://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2017/09/2017_09_13_Hinweise_zur_Umsetzung_von__42_Abs._2_Satz_5_SGB_VIII__Verpflichtung_der_Jugend%C3%A4mter_zur_Asylantragstellung.pdf

[15] §§ 3, 4 AsylG.

[16] Zu den sog. sicheren Herkunftsstaaten gehören jetzt Albanien, Kosovo, Serbien, Bosnien – Herzegowina, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Ghana (Anlage II zu § 29a AsylG).

[17] § 29a AsylG, zu den Einzelheiten siehe Kapitel 4.7

[18] § 11 Abs. 7 AufenthG.

[19] § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AufenthG, zu den Einzelheiten siehe Kapitel 17.3.

[20] So auch die Gesetzesbegründung, (Drucksache 18/11546 vom 16.3.2017, S. 24 siehe http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/115/1811546.pdf).

[21] Art. 3 UN KRK konkretisiert in § 42 Abs. 2 S. 4 SGB VIII.

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