Abschiebung und unbegleitete Minderjährige

Die Voraussetzungen zur Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Abschiebung von vollziehbar ausreisepflichtigen unbegleiteten Minderjährigen vor Erreichen der Volljährigkeit ist im § 58 Abs. 1 a AufenthG verankert. Diese Vorschrift verlangt, dass der/die* Minderjährige im Zielland im Falle einer Abschiebung einer geeigneten Einrichtung oder einer sorgeberechtigten Person übergeben werden kann. Die Anforderungen an diesen Nachweis sind aus Gründen des Minderjährigenschutzes sehr hoch. In der Praxis können sie kaum erfüllt werden. Trotzdem gab und gibt es Abschiebungen von unbegleiteten Minderjährigen. Die geltende Rechtslage und Rechtsprechung sowie insbesondere der Vorrang des Kindeswohls werden dabei seitens der Ausländerbehörden oft nicht ausreichend beachtet. Nachfolgende Materialien setzen sich mit der Frage des Kindeswohls im Kontext ausländerrechtlicher Vorgaben auseinander.

 

Informationen und Materialien

Da insbesondere Jugendämter und Vormund*innen über besondere Rechte, Pflichten und Verantwortung verfügen, haben wir die wichtigsten (rechtlichen) Informationen zu der Thematik gebündelt. Wir hoffen, dass wir insbesondere in der Jugendhilfe und Vormundschaft damit zu mehr Handlungs- und Rechtssicherheit beitragen können.

DIJuF-Rechtsgutachten „Abschiebung von ausländischen Mündeln/Pfleglingen ohne die Eltern bzw in Begleitung des (Amts-)Vormunds“

DAS JUGENDAMT-Fachartikel „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – Voraussetzung für die Durchführung einer Abschiebung“

BumF/BAfF-Arbeitshilfe „Abschiebung und junge Geflüchtete – Rechtlicher Rahmen und Handlungsoptionen der Kinder- und Jugendhilfe“

BumF-Themenseite „Abschiebung“

 

Musterschreiben für Vormund*innen und Jugendamt

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat einen Musterschreiben erstellt, das von Jugendämtern und/oder Vormund*innen genutzt werden kann in Fällen, in denen Ausländerbehörden unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mit einer Abschiebung drohen oder diese zur freiwilligen Ausreise unter Androhung der Abschiebung gedrängt werden. Die Vorlage greift die geltende Rechtslage sowie relevante Rechtsprechungen auf.

FRNDS-Musterschreiben an Ausländerbehörden bei drohender Abschiebung von umF

Hintergrund und Rechtsprechungen

Unbegleitete Minderjährige sind in der Regel vor einer Abschiebung geschützt. Wenn (noch) kein Asylantrag gestellt wird, haben UM Anspruch auf die Ausstellung einer Duldung (Aussetzung der Abschiebung). Vor einer Abschiebung muss sich die Ausländerbehörde vergewissern, dass der/die Minderjährige im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird. Solange sich die Ausländerbehörde nicht von der konkreten Möglichkeit der Übergabe des minderjährigen Ausländers an eine in der Vorschrift genannte Person oder Einrichtung vergewissert hat, darf keine Abschiebung erfolgen. (§58 Abs. 1a AufenthG).

Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

– §58 Abs. 1a AufenthG

Dies bedeutet, dass sich die Ausländerbehörde in jedem Einzelfall nachweisbar überzeugen muss, ob die Übergabe des unbegleiteten Minderjährigen an eine in der Vorschrift genannte Person oder Einrichtung tatsächlich auch erfolgen wird. Dabei muss der Nachweis von der Ausländerbehörde erbracht werden. Sie kann die Prüfung nicht auf den Vormund des/der unbegleiteten Minderjährigen übertragen. Dies wurde vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 13. Juni 2013 auf Grundlage der EU Rückführungsrichtlinie klargestellt. Gemäß der geltenden Rechtslage muss sich also die Überzeugungsgewissheit verschafft werden, dass die tatsächliche Übergabe eines unbegleiteten Minderjährigen an eine in der Vorschrift genannten Person oder Einrichtung nicht nur möglich, sondern tatsächlich auch erfolgen wird. ( BverwG 13.6.2013 – 10 C 13.12 Rn. 18 ) Zum Urteil :Urteil vom 13.06.2013 – BVerwG 10 C 13.12 Rn 17+18

Der VGH Mannheim hat diese Voraussetzungen weiter konkretisiert (VGH Mannheim 22.5.2017 – 11 S 322/17). Neben dem konkreten Nachweis der Möglichkeit der Übergabe des Kindes oder des/der Jugendlichen am Tag der Ankunft/Abschiebung folgt ua aus der vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls nach Art. 3 UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK), dass auch die konkrete Eignung der Aufnahmeeinrichtung in diesem Kontext geprüft und dargelegt werden muss, sofern keine Übergabe an eine/n Personensorgeberechtigte/n vor Ort erfolgen kann. Hierzu hat sich die Ausländerbehörde nicht nur über die bestehenden Strukturen vor Ort zu informieren, sondern muss konkret den Nachweis über das Bestehen eines Platzes in einer für die/den abzuschiebende/n Minderjährige/n geeigneten Einrichtung führen. Die Bereitschaft der Behörden im Zielland, etwa aufgrund von Abkommen oder aufgrund von Zusagen im Einzelfall, die/den abgeschobene/n Minderjährige/n aufzunehmen, ist in diesem Zusammenhang unerheblich und entbindet die zuständigen deutschen Behörden nicht von ihrer Nachweispflicht.

Der Minderjährigenschutz verpflichtet die vollstreckende Behörde darüber hinaus dazu, den/die Vormund_in bzw die rechtliche Vertretung des/der Minderjährigen über den Ausgang ihrer Ermittlungen rechtzeitig in Kenntnis zu setzen. Der/Die gesetzliche Vertreter/in soll in die Lage versetzt werden, das Ergebnis der Ausländerbehörde (gerichtlich) überprüfen zu lassen (VGH Mannheim 22.5.2017 – 11 S 322/17)

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