[Juli 2020]
Praxis des Familiennachzugs bei „subsidiär Geschützten“
Am 1. August 2018 wurde das Grundrecht auf Familie für subsidiär Geschützte in ein Gnadenkontingent von 1.000 Personen pro Monat umgewandelt. Die Befürchtung, dass auf die Betroffenen ein Bürokratie-Dschungel wartet, ohne jede zeitnahe Perspektive und Planungssicherheit, ob und wann sie es in das Monatskontingent schaffen werden, hat sich bewahrheitet.
Seit der Abschaffung des Rechtsanspruchs auf Familienzusammenführung für subsidiär Schutzberechtigte steht fest: Fast 20 Prozent des von der Großen Koalition in Berlin in einem lange verhandelten Kompromiss versprochenen Visakontingents wurden bisher nicht ausgeschöpft. Nach aktuellen Zahlen des Auswärtigen Amtes wurden in den ersten 18 Monaten (August 2018 bis Februar 2020) nach Inkrafttreten der Neuregelung der Familienzusammenführung für subsidiär Schutzberechtigte von den 18.000 möglichen Visa nur 14.404 Visa erteilt. Die Gründe dafür liegen vor allem darin, dass die Aufnahme der Visabearbeitung durch das überbürokratisierte Verfahren lange Zeit in Anspruch nahm.
Das bewusst als bürokratischer Dschungel gestaltete Verfahren wird weiterhin nicht entschlackt. Beteiligt sind Auslandsvertretungen, teilweise unterstützt durch die Internationale Organisation für Migration (IOM), kommunale Ausländerbehörden und Bundesverwaltungsamt. Die jüngsten Zahlen des Auswärtigen Amtes zeigen, dass der Bremsklotz bei der Antragsbearbeitung derzeit deutlich bei den beteiligten kommunalen Ausländerbehörden in den Bundesländern liegt. Während in den ersten achtzehn Monaten der Neuregelung bereits 20.645 Visaanträge von den deutschen Auslandsvertretungen an die kommunalen Ausländerbehörden weitergeleitet wurden, bearbeiteten diese im gleichen Zeitraum nur 14.708 Anträge und leiteten diese zum Bundesverwaltungsamt zur abschließenden Prüfung weiter.
Dabei warteten zum 31. August 2019 weltweit über 24.000 angehörige Personen, darunter viele Kinder, auf einen Visumantragstermin.[1] 3.000 Personen, die zum Jahresende 2019 längst mit ihren Angehörigen in Deutschland hätten vereint sein können, sind weiterhin von diesen getrennt. Die Familienangehörigen leiden in Syrien, den Anrainerstaaten und anderen Regionen weltweit unter widrigsten und lebensbedrohlichen Bedingungen. Darunter sind auch viele Kleinkinder. Während der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius noch vor einem Jahr öffentlich betont hat, dass der mühsam in den Koalitionsverhandlungen gefundene Kompromiss zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigen insgesamt gefährdet sei, wenn nicht die Möglichkeit einer Übertragung des im Jahr 2018 nicht ausgeschöpften Kontingents in das Jahr 2019 geschaffen werde, ist heute davon kaum mehr die Rede. Wir erwarten von den Verantwortlichen in CDU/CSU und SPD, dass sie hier umgehend die Gespräche über die ausstehenden Visa nochmals aufnehmen, um das große Leid der Familien zu mindern.
Es wäre dringend erforderlich, dass die Bundesregierung gemeinsam mit den Innenministerien der Bundesländer ernsthaft auf eine Beschleunigung der Verfahren hinwirkt. Gleichzeitig muss die Bundesregierung das Auswärtige Amt so ausstatten, dass mindestens doppelt so viele Antragsverfahren monatlich aufgenommen werden können wie bisher. Letztendlich hilft aber nur die vollständige Wiederherstellung des Rechts auf Familienleben auch für subsidiär Geschützte.
[1] Bundestags-Drucksache 19/13890, S. 34 f.