[Mai 2018]
Eine bedauerliche Entwicklung gab es seit 2017 in Niedersachsen im Bereich der Wohnsitzauflagen. Schon seit den Regelungen des Integrationsgesetzes vom August 2016 waren neu anerkannte Flüchtlinge verpflichtet, für drei Jahre ihren Wohnsitz in jenem Bundesland zu nehmen, dem sie während des Asylverfahrens zugewiesen worden waren. Während einige Bundesländer darüber hinausgehende Restriktionen eingeführt hatten, konnten anerkannte Flüchtlinge, die Niedersachsen zugewiesen worden waren, hier ihren Wohnsitz frei wählen. Angesichts des vorgezogenen Landtagswahlkampfs verschärfte sich im Laufe des Jahres 2017 dann aber auch in Niedersachsen der Ton.
Wenige Tage vor der Landtagswahl setzte das niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport (MI) am 09. Oktober 2017 mit einem Runderlass dann eine Zuzugssperre für Salzgitter um. Der Erlass gilt für Personen, die dem Anwendungsbereich des § 12a Abs. 1 AufenthG unterliegen und die nach Inkrafttreten des Erlasses als Flüchtling in Niedersachsen anerkannt werden bzw. eine der in § 12a Abs. 1 AufenthG genannten Aufenthaltserlaubnisse erhalten. Diese Personengruppe darf, von Härtefällen abgesehen, nicht mehr nach Salzgitter umziehen. Mit einem weiteren Runderlass hat das niedersächsische Innenministerium am 14. November 2017 Zuzugssperren auch für Delmenhorst und Wilhelmshaven umgesetzt.
Die Grundlage solcher Entscheidungen ist die Annahme, dass allein die Anwesenheit von „zu vielen“ Flüchtlingen an einem Ort problematisch sei und eine „Belastung“ für die Kommune darstelle. In einer solchen Lesart werden nicht nur alle Schutzsuchenden zu einer homogenen Gruppe „Flüchtlinge“ zusammengefasst und dabei ausgeblendet, dass es sich um höchst unterschiedliche Menschen handelt. Aus der Herkunft von Menschen und dem Status als Flüchtlinge wird zugleich auf ein bestimmtes Verhalten – etwa fehlende Integrationsbereitschaft – geschlossen. Probleme der jeweiligen Stadt werden so vereinfachend diesen Menschen zugeschrieben, obwohl sich Fragen des sozialen Wohnungsbaus, der Ausstattung von Kindergärten und Schulen und andere kommunale Herausforderungen eines Strukturwandels ganz unabhängig von der Aufnahme von Schutzsuchenden stellen. Für die gesellschaftlichen Debatten sind solche Verknüpfen von „Flüchtlingen“ mit „Problemen“ in Zeiten eines wachsenden Rechtspopulismus verheerend.
Selbstverständlich stehen Städte mit hohen Zuzügen vor besonderen Herausforderungen. Maßnahmen wie Wohnsitzauflagen und Zuzugssperren sind aber schlicht nicht geeignet, um die damit verknüpften Ziele zu erreichen. Entscheidend ist vielmehr eine an Bedarfen orientierte Sozialpolitik, die Mittel dort bereitstellt, wo sie benötigt werden, statt Menschen Wege zu versperren. Tatsächlich sinnvoll sind daher die im Rahmen des Soforthilfeprogramms der Landesregierung beschlossenen zusätzlichen Finanzmittel für Städte wie Salzgitter und Delmenhorst, die es zielgerichtet einzusetzen gilt. Zuzugssperren sind dagegen reine Symbolpolitik, mit denen Politiker:innen den Anschein erwecken können, sie würden handeln. Dies geschieht allerdings auf Kosten von Flüchtlingen, die ohnehin von Restriktionen und Ausgrenzung bedroht sind. Die Folge ist, dass etwa in Salzgitter weiterhin zahlreiche Wohnungen leer stehen, während andernorts in Niedersachsen Flüchtlinge angesichts fehlenden Wohnraums weiterhin unter oft schwierigen Bedingungen in Großunterkünften verharren müssen, durch die Integration und Teilhabe nachhaltig erschwert wird.
Meldungen des Flüchtlingsrats zum Thema
Zuzugssperre stigmatisiert einseitig Flüchtlinge – Salzgitter ist kein Modell (6. November 2017)
Land setzt Zuzugssperre für Salzgitter mit Runderlass um (9. Oktober 2017)