[Juli 2020]
Mit Einführung des Aufenthaltsgesetzes zum 01. Januar 2005 ist die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 AufenthG eingeführt worden.
Diese Aufenthaltserlaubnis kann erteilt werden, wenn die Ausreise (nicht Abschiebung) aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Die Erteilung ist nur möglich, wenn der/die Ausländer_in keine Schuld daran hat, dass die Ausreise unmöglich ist. Dahinter können sich unterschiedliche Sachverhalte verbergen, wie zum Beispiel eine Ehe oder Verpartnerung mit einer Person, die nicht abgeschoben werden darf, Staatenlosigkeit, Reiseunfähigkeit, unverschuldete Passlosigkeit oder ein Privatleben im Sinne von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Mit dieser Aufenthaltserlaubnis sollten bereits 2005 die Kettenduldungen abgeschafft werden. Der damalige Innenminister Otto Schily verkündete optimistisch im Bundestag, dass mit dieser Bleiberechtsregelung die Duldung abgeschafft wäre. Die vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern vom 22. Dezember 2004 waren jedoch so restriktiv, dass es nur wenige Erteilungen gab. Zwischen dem 01. Januar 2005 und dem 31. August 2007 wurden aber immerhin 44.406 Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Absatz 5 erteilt, während ca. 147.000 Personen in einer Duldung verblieben.
Zum 31. Dezember 2019 ist die Zahl der Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Absatz 5 auf 56.272 gestiegen bei gleichzeitig 202.387 Geduldeten. In Anbetracht der Gesamtzahl der Geduldeten ist der Zugewinn an Bleibeberechtigten sehr niedrig.
Wenn tatsächliche oder rechtliche Gründe eine Ausreise verhindern, beispielsweise weil Verkehrsverbindungen in den Herkunftsstaat nicht vorliegen oder der/die Lebenspartner_in ein Aufenthaltsrecht besitzt, so ist das Vorliegen von Gründen für eine Aufenthaltserlaubniserteilung nach §25 Abs. 5 AufenthG relativ leicht feststellbar. Schwieriger ist die Einschätzung, unter welchen Bedingungen eine Rückkehr ins Herkunftsland nicht zuzumuten ist, weil der „Schutz des Privatlebens“ gemäß Artikel 8 der EMRK dem entgegen steht.
Das Innenministerium Niedersachsen veröffentlichte am 24. April 2015 einen Erlass, der den Ausländerbehörden vorgab, unter welchen Voraussetzungen ein „Privatleben“ im Sinne von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorliegt, welches die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 nach sich zieht.[1] Bei der Definition des „Privatlebens“ beruft sich der Erlass auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und deutscher Gerichte.
Die Prüfung, ob ein schützenswertes Privatleben vorliegt, ist in zwei Schritten vorzunehmen: Erstens wird geprüft, ob der Schutzbereich nach Art. 8 Absatz 1 EMRK eröffnet ist. Wenn der Schutzbereich eröffnet ist, wird zweitens geprüft, ob der in der Aufenthaltsbeendigung bzw. der Verweigerung eines Aufenthaltsrechts liegende Eingriff in das geschützte Privatleben der oder des Betroffenen im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Absatz 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist. Geprüft werden dabei folgende Kriterien:
- Dauer des Aufenthalts
- Stand der gesellschaftlichen und sozialen Integration in Deutschland
- Teilnahme am gesellschaftlichen Leben
- familiäre und soziale Beziehungen
- strafrechtlich relevantes Verhalten
- wirtschaftliche Verhältnisse
- mögliche Wiedereingliederung im Herkunftsland
Laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es nicht zulässig, auf einzelne Kriterien, wie bspw. eine fehlende wirtschaftliche Integration, abzustellen. Eine volle wirtschaftliche Integration wie auch eine fehlende wirtschaftliche Integration führen nicht automatisch zu der Erteilung bzw. Nichterteilung der Aufenthaltserlaubnis. Stattdessen muss im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung eine einzelfallbezogene Gesamtabwägung vorgenommen werden, schematische Lösungen verbieten sich also. Die vagen und unbestimmten Formulierungen, die sich durch den gesamten Erlass ziehen, ermöglichen argumentative Spielräume und eröffnen der Ausländerbehörde ein weites Ermessen.
Die im Erlass formulierten Anforderungen sind den Anforderungen der Härtefallkommission Niedersachsen (siehe hierzu weiter unten) nicht unähnlich. Leider liegen dem Flüchtlingsrat keine Zahlen vor, wie oft auf Basis des Erlasses eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 AufenthG in Niedersachsen (oder in Deutschland) beantragt worden ist, und wie die Erteilungspraxis der Ausländerbehörden dazu aussieht. Es ist aber davon auszugehen, dass der Erlass kaum zur Anwendung kommt. Das ist problematisch, da wahrscheinlich eine ganze Reihe von Entscheidungen, die im Rahmen der Härtefallkommission getroffen wurden, auch von Amts wegen im Rahmen einer Prüfung des Vorliegens von Gründen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §25 Abs. 5 AufenthG hätten getroffen werden können. Statt im Einzelfall eine Aufenthaltserlaubnis von Amts wegen zu erteilen, verweisen viele Ausländerbehörden lieber auf die Möglichkeit eines Härtefallantrags. 2017 wurden 996 und 2018 insgesamt 764 Eingaben an die Härtefallkommission Niedersachsen gerichtet. § 25 Absatz 5 AufenthG auf Basis des Erlasses wurde wahrscheinlich deutlich seltener beantragt und erteilt. Dabei müsste das Verhältnis umgekehrt sein.
[1] Erlass des niedersächsische Innenministeriums vom 24.04.2015: Anwendung des § 25 Absatz 5 AufenthG i.V. m. Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Der Erlass läuft zum 31.2.2020 aus. Das Innenministerium prüft derzeit die Veröffentlichung eines Anschlusserlasses.
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