IEine "neue Ernsthaftigkeit in der auslaenderpolitischen
Debatte" und eine bessere Beruecksichtigung der Bedingungen
der neuen Bundeslaender bei der Entwicklung integrationspolitischer
Konzepte haben Auslaenderbeauftragte und Vertreterinnen und Vertreter
von Migrantenorganisationen aus den neuen Bundeslaendern bei der
Vorlage eines Memorandums "Zuwanderung und Integration in den
neuen Bundeslaendern" in Berlin gefordert.
Anlaesslich der Ueberreichung des Papiers an die Bundes-beauftragte
fuer Migration, Fluechtlinge und Integration, Marieluise Beck, bedauerte
der Initiator des Memorandums, Sachsen-Anhalts Auslaenderbeauftragter
Guenter Piening, dass in der deutsch-deutschen Debatte eine
verhaengnisvolle Schieflage eingetreten sei: "Geht es nach
der
oeffentlichen Wahrnehmung, so scheint es, sei im Westen Multikulti
und im Osten die Fremdenfeindlichkeit zu Hauses." Dieses sei
ein sehr beschoenigender Blick auf den Westen und verzerre die wirkliche
Situation in den neuen Bundeslaendern. Anliegen des Memorandums,
das von einer laenderuebergreifenden Redaktionsgruppe erarbeitet
wurde, sei es, hier die Perspektiven gerade zu ruecken. Zu den Erstunterzeichnern
des
Memorandums gehoeren die Auslaenderbeauftragten von Brandenburg
und Sachsen-Anhalt, die Buergerbeauftragte Mecklenburg -Vorpommerns
sowie Auslaenderbeiraete, -beauftragte und -projekte aus Rostock,
Magdeburg,
Chemnitz, Frankfurt/Oder Weimar, Eberswalde, Halle, Schwerin,
Eisenhuettenstadt, Henningsdorf, Dessau und anderen ostdeutschen
Staedten und Landkreisen. Die Integrationsbeauftragte der
Bundesregierung, Marieluise Beck, begruesste das Memorandum als
einen "wichtigen Beitrag zu einer differenzierenderen auslaenderpolitischen
Diskussion jenseits von Plattitueden und ideologischem Schlagabtausch".
In dem 22seitigen Papier werden die integrationspolitischen Chancen
und die Risiken in den neuen Bundeslaendern untersucht. Migrantennetzwerke
und entsprechende kulturelle Milieus seien erst im Ansatz vorhanden,
und aufgrund der Arbeitsmarktsituation sei der Osten nach wie vor
nicht attraktiv fuer Zuwanderer. Dieses werde mittelfristig die
Zukunftschancen der neuen Bundeslaender verschlechtern, warnen die
Memorandums-Autorinnen und -Autoren. Gerade der Osten brauche Zuwanderung
und Internationalisierung von Forschung und Wirtschaft. Fuer
die Zukunftsfaehigkeit der neuen Bundeslaender sei die Staerkung
eines "Bewusstseins fuer Multikulturalitaet" von zentraler
Bedeutung. Denn "Vielfalt heisst Wertschoepfung" wird
der Geschaeftsfuehrer der heute zum Dow-Konzern gehoerenden ehemaligen
Buna-Werke, Bart Groot, zitiert.
"Oeffnung nach aussen,", heisst es in dem Memorandum,
"Umgang mit Differenz, Multiperspektivitaet, ein neues Verstaendnis
des
Zusammenspiels von Mehrheiten und Minderheiten und Konfliktfaehigkeit
sind Haltungen, die wir brauchen. Aber sie fallen nicht vom Himmel,
sondern muessen im gesellschaftlichen Erfahrungsprozess erarbeitet
werden. Die Chancen sind da - es gilt sie zu nutzen." Weil
in den neuen Bundeslaendern die Strukturen der Einwanderungsgesellschaft
nur in Ansaetzen vorhanden seien, braeuchten diese einen besondere
ideelle und
strukturelle Unterstuetzung. Haeufig wuerde von den politischen
Entscheidungstraegern uebersehen, dass hier vielversprechende Ansaetze
fuer die notwendige interkulturelle Oeffnung der Gesellschaft gewachsen
sind. Auch verbindliche Leitbilder und Handlungskonzepte zur Gestaltung
von Zuwanderung und Integration seien wesentliche Instrumente, um
die
Umorientierung der Gesellschaft zu foerdern. Das Memorandum selbst
stellt 13 Best-Practice-Projekte vor, die zeigen, in welcher Breite
in den neuen Bundeslaendern Zuwanderungs- und Integrationspolitik
betrieben
wird.
In dem Memorandum werden die Eckpunkte eines Programms benannt,
das die besonderen einwanderungspolitischen Bedingungen der neuen
Bundeslaender beruecksichtigt. Grundlegend sei eine intensive Debatte
mit der
Gesellschaft ueber Zuwanderung. Der Satz "Deutschland ist ein
Einwanderungsland" gehe im Osten nicht mit der gleichen
Selbstverstaendlichkeit ueber die Lippen wie im Westen. Es muesse
den Menschen erklaert werden, warum es Zuwanderung gebe und warum
auch die neuen Bundeslaender sie braeuchten; dabei muesse man sich
auch intensiv mit kritischen Nachfragen auseinandersetzen. Leider
sei von der Ernsthaftigkeit der Debatte, wie sie etwa den Bericht
der sogenannten Suessmuth-Kommission gepraegt hat, im politischen
Alltagsgeschaeft kaum noch etwas zu bemerken: "Ressentimentschuerende,
vorurteilsbeladene
Debatten aber fallen in den neuen Bundeslaendern aufgrund der geringen
Einwanderungserfahrung auf besonders fruchtbaren Boden", warnte
die Auslaenderbeauftragte Brandenburgs, Almuth Berger bei der Vorstellung
des Memorandums.
Gefordert werden auch andere integrationspolitische Rahmenbedingungen.
Vor allem das "Dogma der deutschen Auslaenderpolitik",
dass Integration erst dann beginnen darf, wenn eine sichere Aufenthaltsperspektive
vorhanden sei, erweise sich in den neuen Bundeslaendern als integrationspolitischer
Bumerang. Unflexible und buerokratische Vorgaben etwa beim Arbeitsmarktzugang
verhinderten haeufig die Erwerbsintegration von Migrantinnen und
Migranten. Auch die sogenannte Residenzpflicht fuer
Asylbewerber und Geduldete gehoere auf den Pruefstand, denn es sei
kaum zu vermitteln, warum Asylbewerber und Geduldete, wenn sie etwa
in den alten Bundeslaendern eine Arbeit gefunden haben, in den neuen
Bundeslaendern festgehalten wuerden, wo sie lange Zeit auf staatliche
Unterstuetzung angewiesen seien, heisst es in dem Memorandum.
Das Memorandum "Zuwanderung und Integration in den neuen Bundeslaendern"
soll in den kommenden Wochen den politischen Entscheidungstraegern
in den Bundeslaendern wie auch auf Bundesebene ueberreicht werden:
"Wir hoffen auf eine intensive Diskussion und eine verbesserte
Wahrnehmung unserer Situation in den neuen Bundeslaendern. Wir planen,
auf einem
Kongress Ende 2003 die Ergebnisse dieser Diskussionen zu buendeln
und zu vertiefen."
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