[Mai 2018]
Herr T. kommt aus Afghanistan. Er floh 2003 nach Deutschland, um Asyl zu beantragen. 2005 wurde seine Klage gegen die Asylablehnung vor dem Verwaltungsgericht abgewiesen, so dass das Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen war. Herr T. erhielt eine Duldung. Anträge auf Arbeitserlaubnis wurden zunächst wegen Vorrangigkeit deutscher Arbeitnehmer:innen abgelehnt. Ab 2007 hatte Herr T. ein formales Arbeitsverbot wegen Nichtmitwirkung bei der Passbeschaffung.
Rechtlich darf an Geduldete ein Arbeitsverbot erteilt werden, wenn die Nichtmitwirkung bei der Passbeschaffung der einzige Grund ist, aus dem eine Abschiebung unmöglich ist. Wenn es gleichzeitig einen formalen Abschiebestopp gäbe, wäre ein Arbeitsverbot unzulässig, trotz Nichtmitwirkung bei der Passbeschaffung. Seit 2005 gibt es zwar eine Anweisung des Innenministeriums Niedersachsen an das Landeskriminalamt, nur schwere Straftäter:innen nach Afghanistan abzuschieben, aber ein Arbeitsverbot ist möglich, weil dieser Sachverhalt keinen formalen Abschiebestopp begründet.
Obwohl eine Abschiebung also gar nicht drohte, forderte die Ausländerbehörde weiterhin die Passbeschaffung ein. Herr T. hatte große Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan, so dass er seinen Pass zwar beschaffte, aber zunächst nicht bei der Ausländerbehörde abgab. Herr T. litt wegen der Perspektivlosigkeit unter Depressionen und körperlichen Beeinträchtigungen. Weitere Anträge auf Arbeitserlaubnis scheiterten auch in den kommenden Jahren.
2014 schließlich richtete ein Unterstützer eine Härtefalleingabe für Herrn T. an die Härtefallkommission. Herr T. gab den Pass bei der Ausländerbehörde ab. Da dieser aber abgelaufen war, wollte die Ausländerbehörde Herrn T. erst dann die Arbeitserlaubnis geben, wenn dieser einen aktuellen Pass abgäbe. Herr T. konnte einen neuen Pass beschaffen und gab diesen bei der Ausländerbehörde ab, so dass das Arbeitsverbot gestrichen werden konnte. 2015 beantragte der Unterstützer parallel zur Härtefalleingabe die Erteilung des neu eingeführten § 25 b AufenthG.
Zum 01. Oktober 2015 – 12 Jahre nach der Einreise – erhielt Herr T. seinen ersten Arbeitsvertrag in Deutschland. Dieser Arbeitsvertrag endete kurze Zeit später, weil dem Arbeitgeber die Dreimonatsduldung zu unsicher und zu kurz war. Die Bitte des Unterstützers, die Duldung für einen längeren Zeitraum zu gewähren, wurde von der Ausländerbehörde abgelehnt.
Im Mai 2016 lehnte die Härtefallkommission die Eingabe ab mit der Begründung, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 b AufenthG in Frage käme, mithin ein Fall von Nachrangigkeit vorliege. Herrn T. fehlte aber weiterhin ein Arbeitsvertrag, Gehaltsbescheinigungen für drei Monate und der Nachweis über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung, um gegenüber dem zuständigen Landkreis die Voraussetzungen der Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen. Herr T. hatte Schwierigkeiten, einen Arbeitgeber zu finden,
der ihn mit einer Dreimonatsduldung einstellte. Ein Arbeitgeber verlangte sogar ausdrücklich eine Aufenthaltserlaubnis.
Herr T. nahm dann an einer Fortbildung der Industrie- und Handelskammer teil, die ihn dazu berechtigte, als Security-Mitarbeiter tätig zu werden. Die Fortbildung wurde von einem Arbeitsmarktprojekt des Flüchtlingsrats bezahlt, da nach der verspäteten Antragstellung die Agentur für Arbeit die Fortbildung nicht mehr bezahlen wollte. Auf Bitte des Flüchtlingsrats stellte die Ausländerbehörde Herrn T. im Mai 2016 eine Bescheinigung aus, auf der vermerkt war, dass Herr T. eine Aufenthaltserlaubnis bekommen wird, wenn er den Lebensunterhalt überwiegend sichert. Außerdem bekam er nun endlich eine sechs- statt eine dreimonatige Duldung. Diese Maßnahmen haben zwar dabei geholfen, dass Herr T. einen Arbeitsvertrag bekam. Da der Arbeitsvertrag jedoch nicht unbefristet war, verweigerte die Ausländerbehörde weiterhin die Aufenthaltserlaubnis und stellte nach Ablauf der sechsmonatigen Duldung wegen unklarer Weiterbeschäftigung sogar wieder nur Einmonatsduldungen aus. Erst nach erfolgreicher Absolvierung eines Einbürgerungstests zum Nachweis von Grundkentnissen der Rechts- und Gesellschaftsordnung und einem weiteren Gespräch des Unterstützers mit dem Leiter der Ausländerbehörde erhielt Herr T. im März 2017 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 b AufenthG für zwei Jahre. Inzwischen arbeitet er für eine Sicherheitsfirma als Security-Mitarbeiter in Vollzeit. Der Vertrag ist für den Gültigkeitszeitraum der Aufenthaltserlaubnis befristet. Herr T. fragt schon jetzt nach einer Einbürgerung.
Das Beispiel des Herrn T. macht gut deutlich, woran es in der Praxis hakt. Mangelnde Information und Beratung des Betroffenen, gepaart mit unzureichender Arbeitsmarktförderung und einer
kleinkarierten und restriktiven Praxis der örtlichen Ausländerbehörde, führten in diesem Fall zu einer jahrzehntelangen Kettenduldung mit gesellschaftlichem Ausschluss.