Entscheidung des Oberverwaltungsgericht

Stellungnahme des niedersächsischen Innenministeriums

Hildesheim/Hannover. Laut Grundgesetz stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz. Gilt das nicht für alle Familien? – Diese Frage richtete die HAZ ans Innenministerium. Hier Auszüge aus der Antwort: Ehe und Familie sind geschützt. Das gilt auch für ausländische Familien, die im Bundesgebiet leben. Das Oberverwaltungsgericht entschied, dass Frau Önder (unter dem Namen Önder ist Gazale Salame in der Türkei reigistriert, Anm. d. Red.) die Wiedereinreise in das Bundesgebiet nicht ermöglicht werden kann, da es den noch in Deutschland lebenden Familienangehörigen zuzumuten ist, die Lebensgemeinschaft mit Frau Önder in der Türkei wiederherzustellen, weil Herr Siala nicht über ein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik verfüge.  Verfassungsrechtliche Bedenken wegen einer Trennung des Vaters von den Kindern hat das Gericht dabei nicht geäußert. Vielmehr hat es in seinem Beschluss vom 22. Dezember 2004 eine Trennung des Vaters von den Kindern für rechtmäßig erklärt. Es ist allein an Herrn Siala, die Trennung der Familie aufzuheben und ihr in die Türkei zu folgen. In diversen Stellungnahmen an Unterstützer/innen beharrt das niedersächsische Innenministerium auf seiner Rechtsauffassung und spricht von „Täuschung“.

Siehe Stellungnahme des nds. Innenministeriums

Stellungnahme des Flüchtlingsrats

Das OVG Lüneburg hat die Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis für Ahmed Siala für rechtmäßig erklärt, das Innenministerium frohlockt und spricht in seiner Stellungnahme von „Täuschung“. Dazu nachfolgender Kommentar des Flüchtlingsrats:

Das nds. Innenministerium und die Richter am OVG Lüneburg bezichtigen in ihren Stellungnahmen bzw. in der Urteilsbegründung Ahmed Siala als einen Flüchtling, der „unter Täuschung über seine Identität nach Deutschland gekommen“ sei und nur deshalb eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätte. Sie behaupten, Ahmed Siala sei gar kein Kurde aus dem Libanon, sondern ein Kurde aus der Türkei, und habe daher 1990 zu Unrecht ein Bleiberecht erhalten. Als Beleg dient ein türkischer Registerauszug aus dem Jahr 1975, erstellt also vier Jahre vor der Geburt von Ahmed Siala, der seinen Vater Ghazi Siala als Türken ausweisen soll.

Die Person, die in diesem Registerauszug genannt wird, ist als „ledig“ registriert, Ahmeds Vater war 1975 aber längst verheiratet und hatte bereits sieben Kinder. Hätte er eine Registrierung in der Türkei vorgenommen, dann sicher auch die seiner Frau und seiner Kinder. Ahmeds Großvater ist 1973 gestorben. Wer eine Registrierung in der Türkei im Jahr 1975 durchgeführt haben soll, bleibt insofern im Dunkeln. Vielleicht hat ein übereifriger Dorfvorsteher einfach widerrechtlich eine Registrierung vorgenommen, um damit höhere staatliche Zuschüsse für seine Gemeinde zu bekommen – eine Praxis, die in Anatolien durchaus verbreitet ist.

Im libanesischen Bürgerkrieg der 80er Jahre gehörte die Beschaffung von Pässen zur ßberlebensstrategie vieler Menschen, die auf gepackten Koffern saßen und damit rechnen mussten, ausgebombt zu werden oder das Land aus politischen Gründen überstürzt verlassen zu müssen. Es war insofern rational, dass viele im Libanon als „Kurden“ bezeichnete arabische Familien mit Vorfahren in der Türkei versuchten, sich unter Bezugnahme auf diese Vorfahren teilweise in der Türkei registrieren zu lassen, um sich so einen Fluchtweg offen zu halten. Familie Siala hatte jedoch nicht einmal eine solche Rückversicherung.

Aber selbst wenn ein entferntes Familienmitglied die Registrierung veranlasst haben sollte – was hat das alles mit Ahmed Siala zu tun? Bescheinigungen aus dem Libanon belegen den Aufenthalt der Eltern von Ahmed Siala im Libanon seit 1952. Alle zehn Geschwister sind wie Ahmed in Beirut geboren. Ahmed selbst hat wie auch seine Eltern und Geschwister bis zur Flucht der Familie im Jahr 1985 ausschließlich in Beirut gelebt, die Familie hat auch auf der Flucht aus dem Libanon türkischen Boden nicht betreten. Ahmed Siala wäre längst ein Deutscher, wenn man ihm die Aufenthaltserlaubnis nicht weggenommen und ihn so an der Einbürgerung gehindert hätte. Von seiner Herkunft her ist er ein arabischsprachiger Flüchtling aus dem Libanon, dem die libanesischen Behörden 1994 – neun Jahre nach seiner Flucht aus dem Bürgerkrieg – die libanesische Staatsangehörigkeit erteilt haben. Aber Türke? Wie borniert und blind muss eine Politik sein, die angesichts solcher Umstände von „Täuschung“ spricht und nach 22-jährigem Aufenthalt eine Abschiebung von Ahmed Siala betreibt? Und wie unabhängig ist ein Richter, der einer solchen völkischen Politik seinen Segen erteilt?

Ahmed Siala und Gazale Salame sind entschlossen, die Entscheidung des OVG Lüneburg nicht hinzunehmen und für ihr Bleiberecht in Deutschland vor dem Bundesverwaltungsgericht zu kämpfen. Der Appell des Innenministers an die das „Unterstützerumfeld“ geht insoweit ins Leere. Die Familie sieht keine Möglichkeit, sich in der Türkei oder im Libanon eine Existenz aufzubauen, die sie ernährt. Wir werden Ahmed Siala und Gazale Salame daher darin unterstützen, sich gegen die – vom Oberverwaltungsgericht nunmehr abgesegnete – Vertreibungspolitik der Landesregierung auch weiterhin zur Wehr zu setzen.

gez. Kai Weber

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