Unter den Menschen, die aktuell aus der Ukraine nach Deutschland fliehen, sind auch einige Kinder und Jugendliche, die unbegleitet oder in Begleitung von Verwandten, Freund*innen oder pädagogischen Betreuer*innen einreisen. Für unbegleitete Kinder und Jugendliche gelten nach ihrer Ankunft zu ihrem Schutz andere Bestimmungen als für Erwachsene oder Kindern im Familienverbund.
Mit diesen FAQ möchten wir Unterstützer*innen und Verwandten erste Anhaltspunkte geben, was sie bei der Ankunft von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (kurz umF/ UmF) beachten müssen und welche Schritte sie gehen sollen, um ein geordnetes und dem Kindeswohl entsprechendes Ankommen der Kinder zu gewährleisten.*
*Hinweis: Ein Großteil dieser Informationen stammen aus den FAQ des Bundesfachverbandes umF (BumF e.V.) und Ausarbeitungen des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJUF e.V.)
1) Wer ist unbegleitet? Begleitung durch Familienangehörige 2) Allgemeine Hinweise zur Ankunft und Unterbringung Was muss ich tun, wenn ein umF bei mir ankommt? Unterbringung bei Gast-/ Pflegefamilien Vormundschaft 3) Informationen für Verwandte von umF Wie können umF zu ihren Angehörigen in anderen deutschen Städten gelangen? Kann ich die Vormundschaft übernehmen? Kann ich das Kind bei mir Zuhause aufnehmen? 4) Schutz gegen Menschenhandel und Ausbeutung 5) Aufenthaltssicherung 6) Weitere Hinweise
1) Wer ist unbegleitet?
Kinder und Jugendliche gelten dann als unbegleitet, wenn sie sich ohne Begleitung einer personensorgeberechtigten oder erziehungsberechtigten Person in Deutschland aufhalten oder hier einreisen.
Als begleitet hingegen gilt eine minderjährige Person, wenn die Begleitperson erziehungs- oder personensorgeberechtigt ist. Das sind meistens die Eltern, es können aber auch Familienangehörige oder Dritte sein, die eine entsprechende sorgerechtliche Entscheidung nachweisen können.
Begleitung durch Familienangehörige
Verwandte sind nur dann sorgeberechtigt, wenn ihnen das Sorgerecht von den Eltern des Kindes und der jeweils zuständigen Behörde oder einem Gericht übertragen wurde. Voraussetzung hierfür ist eine wirksame Sorgerechtsvollmacht der Eltern. Dazu müssen die bevollmächtigten Verwandten in regelmäßigem Kontakt mit den Eltern stehen, da diese nach wie vor das Personensorgerecht innehaben. Eine amtliche Sorgerechtsübertragung aus dem Ausland wird in Deutschland nach einer eingehenden Prüfung durch das Jugendamt in der Regel anerkannt.
Die Unterscheidung zwischen begleiteten und unbegleiteten Minderjährigen ist besonders vor dem Hintergrund der kindeswohlgerechten Unterbringung und Leistungszugängen wichtig. Begleitete Kinder und Jugendliche werden mit ihren Eltern oder sorgeberechtigten Begleitpersonen in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. In diesen haben sie die ersten Monate keinen Anspruch auf Schulbildung und sie erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Unbegleitete Minderjährige werden vom örtlichen Jugendamt in altersgerechten Wohngruppen oder Pflegefamilien untergebracht und erhalten Leistungen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz.
Wichtig: auch wenn Minderjährige mit Verwandten einreisen, die nicht sorgeberechtigt sind, bedeutet die Inobhutnahme durch das Jugendamt nicht automatisch eine Trennung von den Bezugspersonen! Zum Schutz des Kindeswohls gehört nämlich auch, dass das Jugendamt soziale Bindungen zu schützen und insofern Trennungen zu vermeiden versucht.
2) Allgemeine Hinweise zur Ankunft und Unterbringung
UmF, die nach Deutschland flüchten, haben mit der Meldung über die Wohnsitznahme in Deutschland einen sofortigen Anspruch auf Schutz über das SGB VIII – das Kinder- und Jugendhilfegesetz. Aus diesem Grund ist es wichtig, neu angekommene umF möglichst bald nach ihrer Einreise bei der örtlichen Meldebehörde zu melden, um ihnen einen schnellen Zugang zu diesen Leistungen zu ermöglichen!
Was muss ich tun, wenn ein umF bei mir ankommt?
Wenn das Kind/ die*der Jugendliche nach obiger Definition unbegleitet ist, melden Sie sich so bald es geht bei Ihrem örtlichen Jugendamt. Sie erhalten dann einen Termin für ein erstes Gespräch gemeinsam mit der*dem unbegleiteten Minderjährigen. Hier werden die nächsten Schritte unter Berücksichtigung der Wünsche des Kindes besprochen.
Eine Liste von Jugendämtern in Niedersachsen mit Kontaktdaten finden Sie hier (runter scrollen).
Nach der Meldung werden unbegleitete Kinder und Jugendliche vom Jugendamt vorläufig in Obhut genommen. Das Jugendamt prüft dann im Rahmen eines sogenannten „Clearingverfahrens“, ob und wohin das Kind innerhalb der nächsten Tage in eine geeignete Unterbringung umverteilt werden kann. Ein Kriterium ist hierbei unter anderem, ob sich Verwandte des Kindes in Deutschland aufhalten, in dessen Nähe es ziehen kann und möchte. Wenn keine sorgeberechtigte Person mit dem Kind eingereist ist oder bereits in Deutschland lebt, bestellt das Jugendamt ein*e Vormund*in als rechtliche Vertretung für die*den umF.
In einem nächsten Schritt wird das Kind in einer Jugendhilfeeinrichtung (häufig Wohngruppen, im Einzelfall jedoch auch Gast- oder Pflegefamilien) untergebracht. Im Rahmen der Jugendhilfe werden umF umfangreich krankenversorgt. Sie haben zudem vom ersten Tag an ein Recht auf Bildung. Die Betreuer*innen der Jugendhilfeeinrichtung bemühen sich zeitnah um einen Schulplatz und ggf. Sprachkurse.
Unterbringung bei Gast-/ Pflegefamilien
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden in der Regel in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht und betreut. Das ist auch meist im Sinne der jungen Menschen, da sie dort Kontakt zu Gleichaltrigen haben, die in der Regel ähnliche Fluchterfahrungen gemacht haben und mit denen sie sich austauschen können. Außerdem ist eine pädagogische, soziale und rechtliche Betreuung durch Fachpersonal gewährleistet. Eine Unterbringung im familiären Kontext ist jedoch ebenfalls möglich. Familien oder Privatpersonen, die unbegleitete Kinder oder Jugendliche bei sich Zuhause aufnehmen möchten, müssen sich an ihr örtliches Jugendamt wenden. Das Jugendamt prüft dann in jedem Einzelfall, ob interessierte Personen die Voraussetzungen erfüllen, um Gast- oder Pflegeeltern bzw. Gast- oder Pflegefamilie zu werden und meldet sich zurück, falls eine Unterbringung benötigt wird. Die oben genannte Unterstützung durch Fachpersonal des Jugendamtes kann dann von der Gastfamilie in Anspruch genommen werden.
Mehr Informationen unter „Pflegefamilien/ Gastfamilien: Was müssen wir tun, um junge Flüchtlinge aufzunehmen?“
Vormundschaft
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF) sind rechtlich nicht handlungsfähig. Sie werden daher durch eine*n Vormund*in vertreten und unterstützt.
Diese Person ist für sie Ansprechperson für alle rechtlichen Verfahren, aber auch für ihr persönliches Wohlergehen verantworlich und begleitet sie in der Planung ihrer weiteren Perspektiven. Vormund*innen kümmern sich um die Person und das Vermögen des*der Minderjährigen und vertreten sie*ihn rechtlich. Sie nehmen alle Aufgaben wahr, die sonst die Eltern übernehmen würden. Sie vertreten die jungen Menschen bspw. im asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren, vor dem Jugendamt, sorgen für ihre gesundheitliche Versorgung und kümmern sich um ihren Bildungsweg.
3) Informationen für Verwandte von umF
a) Wie können umF zu ihren Angehörigen in anderen deutschen Städten gelangen?
Wenn sich Verwandte des Kindes in Deutschland aufhalten, prüft das Jugendamt im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme, inwiefern eine Zusammenführung mit diesen dem Kindeswohl dient. Eine Zusammenführung bedeutet allerdings nicht automatisch, dass das Kind auch bei den Verwandten wohnen wird, sondern dass eine geeignete jugendhilferechtliche Unterbringung in deren räumliche Nähe gesucht wird. Wünscht sich das Kind diese Nähe und ist die Zusammenführung förderlich für das Kindeswohl, wird es nicht zur Verteilung angemeldet, sondern direkt an den Wohnort der Verwandten (oder in deren Nähe) untergebracht.
Mehr Informationen unter „Wie können umF zu ihren Angehörigen in anderen deutschen Städten gelangen?“
b) Kann ich die Vormundschaft übernehmen?
Angehörige können grundsätzlich auch die Vormundschaft für die Minderjährigen übernehmen, wenn sie hierfür geeignet sind. Sind Angehörige erst kurz in Deutschland und von rechtlichen Anforderungen ähnlich überwältigt wie das Kind oder der Jugendliche, ist die Vormundschaft vielleicht noch keine gute Idee. Eine externe Person als Vormund*in kann in diesem Fall für die ganze Familie eine Unterstützung sein.
Wenn Sie die Vormundschaft für ein Kind übernehmen möchten, können Sie sich an das Jugendamt an Ihrem Wohnort wenden. Dieses hat die Aufgabe, Vormund*innen zu qualifizieren und sie zu beraten. Das Familiengericht prüft dann Ihre Eignung als ehrenamtliche*r Vormund*in, bevor es sie bestellt (bestimmt).
Weitere Informationen unter „Vormundschaft“ (BumF e.V).
c) Kann ich das Kind bei mir Zuhause aufnehmen?
Grundsätzlich ist es möglich, dass Verwandte umF bei sich zuhause aufnehmen. Dies muss allerdings vorher mit dem Jugendamt besprochen und von diesem als Maßnahme genehmigt werden. Die private Unterbringung bei Familienangehörigen wird als „Hilfen zur Erziehung“ in Form von Vollzeitpflege gewertet.
Voraussetzung für die Vollzeitpflege ist, dass eine kindeswohlgerechte Erziehung und Betreuung gewährleistet ist und die aufnehmende Familie zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Jugendamt bereit ist. Auch der Wohnraum spielt eine Rolle, wobei das Jugendamt hier mit ambulanten Leistungen – z.B. bei der Suche nach geeignetem Wohnraum oder Unterstützung bei der Beantragung von Kostenübernahme für privaten Wohnraum beim Sozialamt – unterstützen kann. Die Pflegepersonen haben ein Recht auf Beratung und Unterstützung vom Jugendamt. Sie bekommen außerdem Pflegegeld, um den Lebensbedarf (z.B. Kosten für Ernährung, Unterkunft, Bekleidung, Hausrat, Körper- und Gesundheitspflege, Bildung, Taschengeld, Fahrtkosten etc.) zu decken.
Weitere Informationen unter „Betreuung durch Verwandte“ (BumF e.V.)
4) Schutz gegen Menschenhandel und Ausbeutung
Leider sind unübersichtliche und chaotische Fluchtbewegungen immer wieder Boden für Missbrauch und Menschenhandel, weil Kriminelle die Not der Schutzsuchenden ausnutzen und sich unter die vielen hilfsbereiten Menschen mischen. Deshalb ist die lückenlose Überprüfung durch das Jugendamt von grundlegender Bedeutung, denn nur so kann das Einschleichen verbrecherischer Absichten verhindert werden. Das ist kein Generalverdacht gegenüber engagierten und hilfsbereiten Menschen, sondern die einzige Möglichkeit Missbrauch systematisch zu bekämpfen. Dazu gehört die z.B. die o.g. Überprüfung von Privatpersonen – und haushalten, die Kinder und Jugendliche bei sich aufnehmen, oder auch die Aufforderung zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses. Nur durch die sofortige Durchsetzung dieser Schutzmaßnahmen, kann flächendeckender Missbrauch verhindert werden. Die Einschaltung des Jugendamtes dient daher in jedem Fall der Sicherung des Kindeswohls.
5) Aufenthaltssicherung
Ein Asylantrag ist bei ukrainischen Staatsangehörigen in der Regel nicht notwendig. Ukrainische Staatsangehörige sowie Drittstaatsangehörige, die mit einem internationalen oder nationalen Schutzstatus einen Aufenthalt in der Ukraine hatten, können ein Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG bekommen. Hintergrund ist die Anwendung einer EU-Richtlinie, die im Fall eines „Massenzustroms“ (2001/55/EG) schnellen und unbürokratischen Schutz gewährleisten soll. Diese Personen müssen grundsätzlich keinen Asylantrag stellen, sondern können sich bei der örtlich zuständigen Ausländerbehörde melden. Bei weiteren Staatsangehörigen aus Drittstaaten ist derzeit in Klärung inwiefern der § 24 AufenthG Anwendung findet. Weitere Informationen zur aktuellen Gesetzeslage finden Sie hier. Sollte im Einzelfall doch ein Asylantrag für ein unbegleitetes Kind sinnvoll sein, finden Sie hier weitere Informationen. Die Klärung aufenthaltsrechtlicher Fragen ist zudem eine Aufgabe, die durch das zuständige Jugendamt begleitet werden kann. Die Regelzuständigkeit zur Klärung des aufenthaltsrechtlichen Status liegt hingegen bei der zuständigen Ausländerbehörde. Sollten Unsicherheiten oder weitere Fragen entstehen, können Sie zusätzlich eine professionelle Beratungsstelle aufsuchen.
6) Weitere Hinweise
Informationen für geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine//Інформація для неповнолітніх біженців з України (mehrsprachiger Flyer des BumF e.V.)
Ablaufschema: Ankommen junger Geflüchteter (DIJUF)
Formulierungshilfe für Sorgerechtsvollmachten (DIJUF)
Informationsseite des DIJUF zu Rechtsfragen bzgl. Kindern mit/ohne Familienbegleitung
Erste Hinweise zu Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Flucht von ukrainischen Kindern, Jugendlichen und ihren Familien nach Deutschland (DIJUF, 11.3.2022)
Regelungen für unbegleitet und begleitet nach Deutschland einreisende Kinder und Jugendliche aus der Ukraine – BMFSFJ (11.03.2022)
Kostenlose Mailberatung für geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine (Flyer auf Deutsch, Englisch, Russisch und Ukrainisch)