Bericht des AK ASYL Cuxhaven über die Anhörung zur Situation von Asylsuchenden in den landeseigenen Unterkünften in Niedersachsen am 18.01.2008 in Oldenburg
Die – oft jahrelange – Isolation von Flüchtlingen in Lagern ist menschenunwürdig und sollte sofort beendet werden. Das ist das vorläufige Resumée einer Anhörung, die das Netzwerk Flüchtlingshilfe Niedersachsen in Kooperation mit der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen (DRK, Paritätischer, Caritas, Diakonie, AWO, jüdische Wohlfahrt) und der Stiftung Leben und Umwelt am 18.1.08 in Oldenburg durchgeführt hat. Auch Mitglieder des Arbeitskreises Asyl Cuxhaven nahmen an dieser Veranstaltung teil.
„Jeder Tag ist wie der vorherige, man bekommt das Mittagessen und das Abendbrot in der Kantine und das war“s, es gibt nichts mehr zu tun, glauben Sie es mir, dieses vegetierende Leben macht die Leute krank, nicht physisch sondern seelisch krank, dieses Warten ohne Ende, man verliert die Richtung…“
„Niemand kommt hierher. Der Weg ins Lager ist zu Fuß zu weit für Frauen, Kinder und Kranke. Vor allem beim Einkaufen und Arztbesuch. Der Bus ist zu teuer. Wir leben seit 5 Jahren in einem Zimmer auf einem Gang mit 8 Familien.“
„Als wir umverteilt wurden ins Lager Bramsche, heulten die Kinder, als sie den Zaun mit dem Stacheldraht sahen. Sie weigerten sich, das Gelände zu betreten. Sie glaubten, wir müssen in ein Gefängnis.“
Die in großer Zahl anwesenden Flüchtlinge berichteten anschaulich auf der „Anhörung zur Unterbringungspraxis von Flüchtlingen in Niedersachsen“ in Oldenburg. Das Land Niedersachsen verfügt über 3 Gemeinschaftsunterkünfte: in Kloster Blankenburg (ca. 7 km von Oldenburg entfernt), Bramsche/Hesepe (bei Osnabrück) und in Braunschweig mit jeweils ca. 550 Flüchtlingen.
Z.B. das Lager Bramsche/Hesepe: hier leben z. Zt. ca. 550 Flüchtlinge, viele davon seit Jahren ohne Aussicht auf ßnderung. Das monatliche Taschengeld für einen Erwachsenen beträgt rund 40 Euro. Von diesem Betrag müssen alle Ausgaben außer Essen und Unterkunft bestritten werden.
Auf dem Lagergelände befinden sich: die Ausländerbehörde, ein Arzt, die Kantine, die Schule, der Kindergarten. Der Alltag der Flüchtlinge ist geprägt von Fremdbestimmung. Den Menschen ist jedes eigenverantwortliche Handeln genommen. Selbst das Kochen ist verboten.
Sie „wohnen“ mit mehreren Personen auf engstem Raum in einem Zimmer ohne jegliche Privatsphäre. Alleinstehende Jugendliche ab 16 Jahren werden mit ihnen völlig fremden Erwachsenen zusammengelegt. Es gibt nur gemeinschaftliche sanitäre Anlagen auf den Fluren.
Hier leben ca. 150 Kinder und eine Beschulung mit täglich 2 Unterrichtsstunden findet in der lagereigenen Schule statt, und oftmals gehen Minderjährige überhaupt nicht zur Schule. Kontakte nach Außen werden so von vornherein unterbunden.
Eine freie Arztwahl ist nicht möglich, Kranke werden vom lagereigenen Arzt und nur bei akuten Schmerzzuständen behandelt.
Ab 2000 ist es in Niedersachsen erklärtermaßen zu einem Umschwung in Sachen Flüchtlingsunterbringung gekommen. Wurden Flüchtlinge bisher nach ihrer Erstanhörung und dreimonatigem Aufenthalt in sogenannten „Zentralen Erstaufnahmestellen“ auf die einzelnen Landkreise / Städte umverteilt, müssen sie nun weiterhin in diesen „Landesgemeinschaftsunterkünften“ verbleiben. Bereits im Jahr 2004 hatten die Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege und der Flüchtlingsrat Niedersachsen in einem Memorandum festgestellt, dass durch diese Lagerunterbringung die gesellschaftliche Ausgrenzung verstärkt wird, die erzwungene Untätigkeit die Menschen zunehmend krank macht und vorhandene Handlungskompetenzen verloren gehen.
Die Situation spitzte sich zu, als im Herbst 2006 im Lager Blankenburg (Oldenburg) rund 200 Flüchtlinge, von denen viele über Jahre dort leben mussten, in den Streik traten und eine ßnderung der Unterbringungspraxis forderten. Viele Menschen solidarisierten sich, und auch der Rat der Stadt Oldenburg verabschiedete am 20.11.06 einstimmig, d.h. mit den Stimmen aller im Rat vertretenen Parteien, eine Resolution in der es u.a. heißt:
„Die niedersächsische Landesregierung wird aufgefordert, die vorgebrachten Kritikpunkte der Bewohnerinnen und Bewohner der ZAAB Blankenburg ernsthaft und intensiv zu prüfen und Lösungsvorschläge zu entwickeln… Vor allem die zentrale Unterbringung muss überdacht werden und als Alternative eine dezentrale Unterbringung geprüft werden. Auch das bürokratische Wertgutscheinsystem sollte abgeschafft werden.
In diesem Zusammenhang wird der Landesregierung zur Deeskalation zwischen Behördenleitung und Flüchtlingen vorgeschlagen, eine unabhängige Kommission einzurichten, die sich aus regionalen Fachleuten der Flüchtlingsarbeit, wie z.B. den Sozialverbänden, Kirchen, der Anwaltschaft, der ßrzteschaft und der Universität zusammensetzt….“
Da auch nach über 1 Jahr eine Aufarbeitung seitens der Landesregierung nicht stattgefunden hatte, ergriff das Netzwerk Flüchtlingshilfe Niedersachsen gemeinsam mit der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände und der Stiftung Leben und Umwelt die Initiative und rief zu dieser Anhörung in Oldenburg auf.
Mit der Anhörung sollten Bewohner der Lager Gelegenheit erhalten, ihre Lebenssituation zu schildern und ihre Beschwerden vorzutragen.
Oberbürgermeister Prof. Dr. Schwandner begrüßte die über 100 Teilnehmer und betonte die Notwendigkeit, die nach Deutschland fliehenden Menschen als Gäste zu sehen und zu behandeln.
Die Landesregierung entsandte keinen Vertreter, sondern ließ lediglich eine schriftliche Erklärung verlesen, in der es u.a. heißt: „Wenn die dort untergebrachten Personen nicht mehr auf die Gemeinden verteilt werden müssen, wird ein erheblicher Nachteil der dezentralen Unterbringung vermieden. Das Leben in einer Gemeinde führt erfahrungsgemäß zu einer faktischen Verfestigung des Aufenthalts, die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise nimmt ab. Der Aufenthalt muss dann zwangsweise beendet werden…“ Diese Erklärung bestätigte die Auffassung des Netzwerks Flüchtlingshilfe, dass dieses Lagerleben System habe, um die Flüchtlinge zu zwingen, „freiwillig“ das Land wieder zu verlassen.
Auch aus wissenschaftlicher Sicht, so der Psychologe Tobias Pieper von der Freien Universität Berlin, sei die Geschichte der Lagerunterbringung in Deutschland von der Politik seit jeher „als eine Methode der Abschreckung von ungewollten Flüchtlingen konzipiert worden“.
Und Prof. Dr. Wolf Dieter Narr (FU Berlin) führte aus: „Es kann in Notzeiten erforderlich sein, vorübergehend Lager aufzubauen, um Flüchtlingsgruppen kurzfristig ein Dach über dem Kopf zu geben. Lager, die eingerichtet werden, um Menschen zwangsweise zu konzentrieren und zu zermürben, sind jedoch ohne jede Einschränkung menschenrechtswidrig. Trostlosigkeit, Langeweile, Perspektivlosigkeit und umbaute Asozialität kennzeichnen die ganze Banalität des Inhumanen, die in diesen Lagern zum Ausdruck kommt.“
Die Stellungnahmen der anwesenden Politiker fielen unterschiedlich aus. Während die CDU „aus Wahlkampfgründen“ keinen Vertreter entsandte, wies der Oldenburger SPD Ratsherr Bernd Bischoff auf die bereits oben zitierte, einstimmig verabschiedete Resolution hin und auf die Tatsache, dass es gelungen sei, verbilligte Fahrkarten für die Lagerbewohner in Blankenburg zu erstreiten. Allerdings müssten noch weitere Konsequenzen folgen.
Der FDP Landtagsabgeordnete Roland Riese verteidigte im Grundsatz die Unterbringung von Flüchtlingen in Lagern, forderte aber gleichzeitig mehr Mitsprache und Eigenverantwortlichkeit, so z.B. die Schaffung von Kochmöglichkeiten.
Georgia Langhans, MdL Bündnis 90/Die Grünen forderte ebenso wie der Vertreter des Landesverbandes die Linke die Abschaffung der Lager prinzipiell und bekannte, dass sie es beschämend finde, „dass in unserem Land, in unserer Mitte, so etwas möglich ist.“
Bernd Anders, als Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtpflege appellierte an alle Teilnehmer, das Thema nicht fallen zu lassen und sprach sich für einen parlamentarischen Abend aus mit der Fragestellung „gehen wir in Niedersachsen humanitär mit Flüchtlingen um?“ und fand die Zustimmung aller anwesenden Abgeordneten.
Als nach Abschluss der Veranstaltung noch ca. 25 Teilnehmer sich einen eigenen Eindruck vom Lager Blankenburg verschaffen wollten, stellte sich heraus, dass die Lagerleitung für den Tag der Anhörung in der Zeit von 16 – 22 Uhr jeglichen Besuch untersagt hatte und auch mit Polizeieinsatz verhinderte.
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