[Frühjahr 2020]
Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung
Eine Vielzahl der in Griechenland auf den Inseln festsitzenden Flüchtlingskinder hat Angehörige, die bereits in Deutschland leben und hier im Asylverfahren sind. Ihre Aufnahme ist dabei kein Gnadenakt sondern beruht auf einem Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung. Er folgt aus der Dublin-Verordnung. Nach Artikel 21 muss dabei innerhalb von drei Monaten von Griechenland aus ein sogenanntes Aufnahmegesuch an Deutschland gestellt werden.
An dieser Frist scheitern aktuell jedoch viele Asylsuchenden. Wer in Dreck und Morast von Moria und anderen Hotspots festsitzt, hat kaum Zugang zu rechtlichen Strukturen. Und Deutschland lehnt Übernahmeersuche von Familienangehörigen aus Griechenland mittlerweile systematisch mit der Begründung, die Fristen seien bereits abgelaufen, ab.
Insbesondere problematisch: Es geht überwiegend um Menschen, die in den Elendslagern auf den Inseln festsitzen – und die aufgrund von engen Familienangehörigen einen Rechtsanspruch auf ein Asylverfahren in Deutschland hätten. Die überwältigende Mehrheit der Übernahmeersuchen aus Griechenland ist auf die Zusammenführung von Familienangehörigen zurückzuführen, 2019 waren dies 86% aller Ersuche, 2018 sogar 90%.
Häufig versäumen griechische Behörden in der Praxis Fristen und stellen die Übernahmegesuche zu spät. Das BAMF stellt in diese Fällen die Einhaltung von Fristen regelmäßig höher als die Einheit von Familien. Dauerhafte Trennungen sind die Folge. Spätestens jetzt muss die lange überfällige, schnelle und unbürokratische Familienzusammenführung von Schutzsuchenden in Griechenland mit ihren Verwandten in Deutschland umgesetzt werden.
Im Bericht »Refugee Families Torn Apart« von PRO ASYL und RSA wird diese systematische Aushebelung des Familiennachzugs dokumentiert.
Zur Situation im Lager Moria auf der Insel Lesbos
Noch immer müssen über 36.000 Schutzsuchende in meist informellen Unterkünften innerhalb und außerhalb der fünf EU-Hotspots auf den ägäischen Inseln ausharren (Stand: Juni 2020). Über die Hälfte sind Frauen, Kinder und Jugendliche.
Das Lager Moria auf Lesbos ist ein einziger Albtraum: Ende Januar 2020 gab es dort drei Ärzte, acht Krankenschwestern und sieben Dolmetscher für knapp 20.000 Menschen. In Teilen des Lagers müssen sich bis zu 500 Personen eine Dusche teilen. Zwischen September 2019 und Januar 2020 wurden sieben Todesfälle bestätigt. Es gibt keinen ernstzunehmenden Notfallplan für den Fall, dass Covid-19 das Lager erreicht. Simple Präventionsmaßnahmen wie regelmäßiges Händewaschen können nicht eingehalten werden. Risikogruppen, etwa ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, können sich zum Schutz nicht selbst isolieren. Es droht eine rasante Ausbreitung des Virus. Um die Ausbreitung von Covid-19 zu verhindern, hat die griechische Regierung eine teilweise Ausgangssperre für Moria Hotspots verhängt.