[Oktober 2019]
Die Zentrale Abschiebebehörde in Niedersachsen
Ende 2018/Anfang 2019 liefen bei der niedersächsischen Landesregierung die Planungen an, den örtlichen Ausländerbehörden die Zuständigkeit für den ausländerrechtlichen Umgang mit abgelehnten Flüchtlingen zu entziehen und zukünftig selbst zu entscheiden, welche Personen geduldet und welche abgeschoben werden. Dazu sollte, so ein Konzept aus dem Innenministerium, eine „Zentrale Ausländerbehörde“ mit bis zu 200 Angestellten geschaffen werden. Im Haushalt für 2019 sind bereits 50 neue Stellen vorgesehen.
Mit der Umsetzung des Projekts wurde zum 1. Juli 2019 begonnen, als die ersten Mitarbeiter:innen am Standort der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI) in Langenhagen ihre Tätigkeit aufgenommen haben. Auch organisatorisch bleibt die „Zentrale Ausländerbehörde“ zunächst an die Landesaufnahmebehörde angebunden und ist damit formal (noch?) keine eigene Behörde. In dieser ersten Phase gehen auch noch keine Kompetenzen von den kommunalen Ausländerbehörden auf die LAB NI über. Dies dürfte sich mit einem weiteren Ausbau der Behörde aber ändern.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen lehnt solche Zentralisierungspläne mit Nachdruck ab. Schon heute kommt es aufgrund des künstlich entfachten und sachlich nicht begründeten politischen Drucks immer wieder zu haarsträubenden Szenen, wenn Menschen nachts ohne Ankündigung zur Abschiebung abgeholt werden, obwohl schwere Krankheiten attestiert wurden und Gerichtsverfahren anhängig sind.
Wohlfahrtsverbände wie die Caritas, Initiativen wie das Osnabrücker Bündnis gegen Abschiebungen und viele weitere (siehe weitere Stellungnahmen unten) haben die Planungen deutlich kritisiert. Auch die Kommunen haben sich gegen die Zentralisierung von Abschiebungen und die Abgabe von eigenen Kompetenzen an das Land ausgesprochen.
Angesichts der breiten Kritik hat die Landesregierung die Planungen zunächst beschränkt. Laut einer aktuellen Stellungnahme des Innenministeriums habe die ZAB derzeit folgende Aufgaben:
- Unterstützung der Kommunen bei Abschiebungen in Einzelfällen
- Ausweitung der Bearbeitung von Dublin-Fällen
- Ausweitung der Beschaffung von Passersatzpapieren auf weitere Staaten
- Unterstützung der Kommunen bei der Identitätsklärung
Damit seien die Planungen zunächst abgeschlossen. Gleichwohl werde 2020 eine Analyse des Projekts Zentrale Ausländerbehörde erfolgen und dann entschieden, „ob und gegebenenfalls in welchem Umfang ein weiterer Ausbau in Betracht kommt.“
Es ist also weiterhin nötig, den ZAB-Planungen des Landes entschieden zu widersprechen und eine Politik einzufordern, die Bleibeperspektiven für die Menschen sucht, die in Niedersachsen leben, wohnen und arbeiten wollen.
Verhärtete Asylpolitik
Dass das Land Niedersachsen überhaupt mit den Planungen einer „Zentralen Ausländerbehörde“ begonnen und den Druck auf die Kommunen verstärkt hat, die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen, ist der politischen Entwicklung der letzten Jahre geschulde. Die zahlreichen Asylrechtsverschärfungen der letzten Jahre zeigen, dass die Politik nicht darauf zielt, den Schutz von Asylsuchenden zu gewährleisten und Bleibemöglichkeiten zu schaffen, sondern vom Wunsch geleitet ist, möglichst viele Menschen abschieben zu können oder zur „freiwilligen Ausreise“ zu drängen. Auch in Niedersachsen hat sich der Umgang mit geduldeten und ausreisepflichtigen Flüchtlinge in den letzten Jahren radikal geändert: Die 2014 als Ausdruck von Fairness und Menschlichkeit gefeierte Ankündigung des Abschiebungstermins wurde gesetzlich untersagt, Abschiebungen zur Nachtzeit sind zur Regel geworden, und auch in Niedersachsen mehren sich inzwischen Fälle einer Abschiebung unter Inkaufnahme von Familientrennungen.
Es ist absehbar, dass sich eine solche Entwicklung mit einer zentralen Abschiebungsbehörde weiter verschärfen wird. Denn eine Ausländerbehörde vor Ort wird über aktuelle Entwicklungen stets besser informiert und näher an den Betroffenen dran sein als eine weit entfernte Landesabschiebungsbehörde: Auch künftig werden geduldete Flüchtlinge bei ihren Kommunen Ausbildungsduldungen beantragen, Heiraten anmelden oder Operationen im Krankenhaus terminieren, während eine zentrale Ausländerbehörde in Unkenntnis solcher Entwicklungen die Abschiebungsmaschinerie in Gang setzen würde.
Besser: Bleibeperspektiven schaffen
Während die Planungen des Landes annehmen, dass Abschiebungen von Personen ohne Aufenthaltsrecht zur „politischen Priorität“ geworden sind, hält der Flüchtlingsrat eine solche Priorisierung für falsch. Statt Millionen Euro für eine Abschiebebehörde zu verschwenden, sollte die Landesregierung Stellen einrichten und Programme aufbauen, um Bleibe- und Teilhabeperspektiven für die Menschen zu schaffen und zu sichern, die in Niedersachsen leben und hier längst ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben.
Ereignisse
In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der grünen Landtagsfraktion hat das niedersächsische Innenministerium am 20. September 2019 erklärt, die Planungen seien mit der ersten Ausbaustufe zunächst abgeschlossen. Gleichwohl werde 2020 eine Analyse des Projekts Zentrale Ausländerbehörde erfolgen und dann entschieden, „ob und gegebenenfalls in welchem Umfang ein weiterer Ausbau in Betracht kommt.“
Zum 1. Juli 2019 hat das Innenministerium die erste Ausbaustufe der Abschiebungsbehörde gestartet, mit der die weitere Zentralisierung des sogenannten „Rückführungsvollzuges“ einhergehen soll. Sie ist Bestandteil der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI) und am Standort Langenhagen angesiedelt. Zu diesem Zeitpunkt gehen keine Kompetenzen von den kommunalen Ausländerbehörden auf die LAB NI über. Zu den Aufgaben der ersten Ausbaustufe gehören nach Angaben des niedersächsischen Innenministeriums:
- Ausweitung der Bearbeitung von Dublin-Fällen. Diese sollen, abhängig von der jeweiligen Kapazität, so lange wie möglich in der Zuständigkeit der LAB NI bleiben und werden nicht aus den Erstaufnahmeeinrichtungen auf die Kommunen verteilt.
- Übernahme der Passersatzpapierbeschaffung über die bisherigen Staaten hinaus.
- Unterstützung bei der Identitätsklärung.
- Unterstützung und Übernahme von Aufgaben bei der Rückführung in besonderen Einzelfällen, z. B. bei sogenannten ausländischen „Mehrfach- und Intensivstraftäter:innen“.
Im Juni 2019 werden die aktuellen Planungen des niedersächsischen Innenministeriums bekannt. In einem 67-seitigen Feinkonzept zum Projekt „Weitere Zentralisierung des Rückführungsvollzuges“ (Stand: 23. Mai 2019) werden ausführlich alle Optionen des Landes Niedersachsen zur Etablierung einer Zentralen Ausländerbehörde für den Abschiebungsvollzug beschrieben.
Angesichts der Proteste in Osnabrück entscheidet Innenminister Pistorius Anfang Mai 2019, dass die Abschiebebehörde in Langenhagen angesiedelt werden soll. In Langenhagen besteht auch die einzige Abschiebungshaftanstalt in Niedersachsen.
Am 29. März 2019 ist die Zentrale Ausländerbehörde auf Antrag der Grünen erstmals Thema im Landtags-Plenum.
Mitte Februar 2019 wird ein Papier des niedersächsischen Innenministeriums bekannt, das die Pläne für eine Zentrale Ausländerbehörde konkretisiert. Laut Berichten von Ende Februar soll Osnabrück Sitz der Behörde werden. Die Folge ist starker zivilgesellschaftlicher Protest in der Stadt.
Mit einer Pressemitteilung macht das niedersächsische Innenministerium im Dezember 2018 die bis dahin geheimen Planungen zur weiteren Zentralisierung von Abschiebungen und zur Einrichtung von 50 zusätzlichen Stellen erstmals öffentlich.
Stellungnahmen
Gemeinsames Positionspapier von 40 Organisationen und Initiativen in Niedersachsen, Bleiberecht und Sichere Häfen statt Abschiebungen und ZAB, Oktober 2019
Hintergrundpapier des Flüchtlingsrats Niedersachsen zur Zentralen Ausländerbehörde, Oktober 2019
Flüchtlingsrat Niedersachsen, Bleiberechtsperspektiven statt Abschiebebehörde, Presseinformation, 9. August 2019
Flüchtlingsrat Niedersachsen & Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen e.V., LAG FW und Flüchtlingsrat kritisieren Zentrale Ausländerbehörde, Presseinformation, 8. Juli 2019
Flüchtlingsrat Niedersachsen, „Produkt populistischer Kampagnen von rechts“, Interview mit Kai Weber, Geschäftsführer, junge Welt online, 1. Juli 2019
Flüchtlingsrat Niedersachsen, Einrichtung einer Zentralen Abschiebebehörde ab 01.07.2019 ist Irrweg der Landesregierung, Presseinformation, 26. Juni 2019
Flüchtlingsrat Niedersachsen, „Zentrale Behörde wird die Abschiebepraxis in Niedersachsen weiter verschärfen“, Interview mit Kai Weber, Geschäftsführer, Maizeitung 2019 des Deutschen Gewerkschaftsbunds Niedersachsen-Mitte, Mai 2019, S. 8
Osnabrücker Bündnis gegen Abschiebungen, Nein zur Einrichtung einer Zentralen Abschiebebehörde (ZAB) in Niedersachsen!, 25. April 2019
Jusos Osnabrück, Jusos schließen sich Kritik an geplanter zentraler Abschiebebehörde an, 5. März 2019
Caritasverband für die Diözese Osnabrück, Quotenoptimierung auf Kosten der Menschlichkeit?, 28. Februar 2019
Bündnis 90/Die Grünen Osnabrück, Remarque-Haus steht für Willkommenskultur, nicht für Abschiebezentrum, 27. Februar 2019
Solidarity City Osnabrück, Osnabrück wird Sitz der zentralen Abschiebebehörde, 26. Februar 2019
Flüchtlingsrat Niedersachsen, Rolle rückwärts: Flüchtlingsrat kritisiert Verschärfung der Abschiebungspraxis, 18. Februar 2019
Texte zu den Planungen des Landes
Nds. Innenministerium, Antwort auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung „Wie geht es weiter mit der zentralen Ausländerbehörde des Landes?“ vom 20. September 2019 (LT-Drucksache 18/4631)
Nds. Innenministerium, Antwort auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung „Wann ist die zentrale Abschiebebehörde arbeitsfähig?“ vom 12. Juni 2019 (LT-Drucksache 18/3917)
Nds. Innenministerium, Antwort auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung „Standort der zentralen Ausländerbehörde“ vom 7. Juni 2019 (LT-Drucksache 18/3876)
Nds. Innenministerium, Feinkonzept zum Projekt „Weitere Zentralisierung des Rückführungsvollzuges“ (Stand: 23. Mai 2019)
Nds. Innenministerium, Antwort auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung „Was plant die Landesregierung hinsichtlich einer zentralen Ausländerbehörde des Landes?“ vom 27. Februar 2019 (LT-Drucksache 18/3044), mehr siehe hier
Nds. Innenministerium, Weitere Zentralisierung des Rückführungsvollzugs, Entwurfspapier vom 11. Januar 2019
Nds. Innenministerium, Niedersachsen investiert weiter in eine verbesserte Rückkehrpolitik, Pressemitteilung vom 12. Dezember 2018