[2008-2011]
Die nachfolgenden Texte behandeln Kampagnen und Debatten um eine Lagerunterbringung von Geflüchteten im Zeitraum zwischen 2008 und 2011. Der damalige Innenminister Uwe Schünemann propagierte als Konzept die „multifunktionale Nutzung“ der Erstaufnahmeeinrichtungen auch als Sammellager und als „Ausreisezentrum“: Flüchtlings sollten diesem Konzept zufolge nach Maßgabe der vorhandenen Kapazitäten nicht auf die Kommunen verteilt werden, sondern in den Lagern des Landes bleiben, solange ihnen ein Schutzanspruch und ein Aufenthaltsrecht nicht zugebilligt wurde. In der Praxis wurden manche Flüchtlinge über Jahre gezwungen, in den Einrichtungen des Landes (in Oldenburg, Bramsche und Braunschweig) zu wohnen, ohne eine Ausbildung, eine Arbeit oder sonst eine produktive Tätigkeit ausüben zu können. Diese Politik hinterließ deutliche Spuren – psychische Zermürbung, Dequalifizierung, Entmündigung – und verursachten hohe Folgekosten für eine spätere nachholende Integration.
2013 verkündete die neu gewählte rot-grüne Landesregierung dann einen „Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik“ und schrieb in ihrer Koalitionsvereinbarung fest, dass die Einrichtungen des Landes nur noch zur Erledigung der notwendigen Formalitäten im Rahmen der Erstaufnahme dienen sollten. Eine Integration und Teilhabe sollte so schnell wie möglich vor Ort in den Kommunen erfolgen. Die „Landesaufnahmebehörde (LAB)“ bemühte sich um eine Unterstützung und bestmögliche Vorbereitung der neu eintreffenden Asylsuchenden auf ein leben in Deutschland.
Die ab 2018 einsetzende Diskussion um „AnkER-Zentren“ lässt ein Wiederaufleben der bis 2013 verfolgten Politik der Zermürbung und Isolation von Geflüchteten in landeseigenen Lagern befürchten. Nachfolgend dokumentieren wir die damalige Kampagne gegen Lager (2008 – 2011), die wir womöglich bald wieder zu neuem Leben erwecken müssen.
Artikel zum Lagerleben in Bramsche aus Sicht eines Bewohners
Politische Flüchtlinge und ihr Leben im Lager: „Ich will nicht integriert werden“
15 Jahre Isolationshaft in der Türkei, Gefängnis in Griechenland und nun ein trostloses Leben in einem niedersächsischen Flüchtlingslager. Trotz alledem schafft es Turgay Ulu, politischer Flüchtling aus der Türkei, weiterzumachen, weiterzukämpfen und weiterzuschreiben. Wer unterstützt ihn, woher nimmt er die Kraft und wie kann sich wirklich was ändern?
Um Turgay Ulu, verfolgter Kommunist aus der Türkei, zu besuchen, muss man einen weiten Weg auf sich nehmen. Von Osnabrück aus erst 30 Minuten Zugfahren und dann noch einmal 30 Minuten Fußweg durch ein Dorf und den Wald. Hier liegt das Flüchtlingslager Bramsche-Hesepe, offiziell „Landesaufnahmebehörde Niedersachsen – Standort Bramsche“. Das Gelände ist eine ehemalige Kaserne, ein riesiges Areal. Ein Zaun und Überwachungskameras sowie ein Wachposten am Eingangstor verhindern, dass die Bewohner*innen nicht registrierten Besuch bekommen.
Hinter dem Zaun sind gepflegte Grünflächen und ein Spielplatz zu sehen. Es ist nicht schön, aber auch nicht heruntergekommen wie oft in anderen Flüchtlingslagern Deutschlands. Auf dem Gelände, untergebracht in mehreren Wohnblocks, leben rund 550 Migrant*innen, Asylsuchende und Geduldete, die meisten von ihnen mit negativen Prognosen hinsichtlich ihrer Bleibeperspektive.
Freiwillige Ausreise – die elegante Abschiebung
Einer von ihnen ist Turgay, 37 Jahre alt. Er erklärt das Besondere am Lager Bramsche:
weiter: HBS-DOSSIER Crossing Germany – Bewegungen und Räume der Migration
Bericht einer Wuppertaler Delegation im Lager Bramsche/Niedersachsen vom 11. September 2011
Der Bericht kann als pdf-Dokument von der Internetseite der KARAWANE runtergeladen werden in den Sprachen
Protesterklärung der Flüchtlinge aus dem Lager Bramsche-Hesepe
Wir wollen in Freiheit und Würde leben!
Wir wollen nicht isoliert im Lager in Hesepe leben!
22. September 2011
siehe hier
PDF-Dokumente zum Download: Deutsch, Farsi, Francais.
Dokumentation der Anhörung „Leben in Lagern“ am 18.01.2008 in Oldenburg
Bereits seit mehreren Jahren haben sich BewohnerInnen der drei vom Land Niedersachsen geführten Lager für Flüchtlinge in Braunschweig, Oldenburg-Blankenburg und Bramsche-Hesepe über ihre dortige Situation beschwert und in Demonstrationen und Protestaktionen darauf aufmerksam gemacht. Mit einer öffentlichen Anhörung, die das Netzwerk Flüchtlingshilfe in in Kooperation mit der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen und der Stiftung Leben und Umwelt am 18. Januar 2008 in Oldenburg durchführte, sollte den Flüchtlingen Gelegenheit gegeben werden, ihre Situation einer größeren ßffentlichkeit zu schildern. Durch Fachbeiträge von ExpertInnen, die sich mit dem Thema Lagerunterbringung von Flüchtlingen auseinandergesetzt haben, wurden diese Schilderungen ergänzt. Die Beiträge sind hier dokumentiert.
Grußwort des Oberbürgermeister der Stadt Oldenburg Prof. Dr. Gerd Schwandner
Der Beitrag liegt schriftlich nicht vor.
Resolution der Stadt Oldenburg
Der Rat der Stadt Oldenburg hat im November 2006 einstimmig eine Resolution verabschiedet, in der sie die Landesregierung aufforderte die zentrale Unterbringung von Flüchtlingen zu überprüfen. Resolution hier lesen
Beiträge von Flüchtlingen
Hier sind Beiträge von Flüchtlingen wiedergegeben, die auf der Veranstaltung gesprochen haben oder aber ihre Beiträge “ oftmals aus Angst vor Repression als Folge eines öffentlichen Auftritts – haben verlesen lassen.
Arif Kuyumcu ist 2003 als kurdischer Flüchtling nach Deutschland gekommen. Nachdem er 100 Tage im Erstaufnahmelager in Oldenburg-Blankenburg verbracht hatte, musste er rund zweieinhalb Jahre im Lager Bramsche-Hesepe leben, bis er durch die Heirat einen Aufenthaltstitel erhielt. Bericht hier lesen
Marlen Viviana MartÃnez lebt als AsylbewerberIn in der ZAAB Braunschweig und wartet auf die Asylentscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Bericht hier lesen
Frau H. lebt im Lager Bramsche-Hesepe. Da sie keine Genehmigung zum Verlassen des Landkreises erhalten hatte, ist sie ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde zur Anhörung gefahren, um dort über ihre Situation zu berichten. Bericht hier lesen
Herr C. und seine Familie lebten für längere Zeit im Lager Bramsche-Hesepe. Als palästinensische Flüchtlinge aus dem Libanon, können sie nicht abgeschoben werden, haben aber auch keine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Auf Grund öffentlicher Proteste konnten sie das Lager verlassen. Bericht hier lesen (englisch)
BewohnerInnen des Lagers Oldenburg-Blankenburg: Mehrere BewohnerInnen der Zentralen Ausländer- und Aufnahmebehörde (ZAAB) in Blankenburg bei Oldenburg schildern in einer gemeinsamen Stellungnahme ihre Situation im Lager. Da einige auf Grund von Protesten bereits subtile Repressionen durch die Behörden erfahren hatten, wollten sie nicht öffentlich Reden. Bericht hier lesen
Frau M. lebt mit ihrem Ehemann mit ihren zwei Kindern seit über fünf Jahren in Bramsche-Hesepe. Aus Angst vor Repressionen hat Frau M. nicht auf der Anhörung gesprochen. Sie hat aber zuvor ein Interview gegeben, aus dem die Zitate stammen. Interview hier lesen
Frau D. lebt mit ihren vier Kindern im Lager Bramsche-Hesepe. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, doch sie kann sich nicht vorstellen in das Land zurück zu gehen aus dem sie geflohen ist. Sie selbst ist krank, und die Umstände in Bramsche haben die Situation noch verschlimmert. Sie wünscht sich für ihre Kinder eine sichere Umgebung und hofft, dass sie die Möglichkeit bekommen, ihren Schulabschluss in Deutschland zu machen. Interview hier lesen
Frau und Herr C.: Aus Syrien geflohen lebt das Ehepaar mit seinen drei Kindern in Bramsche- Hesepe. Schon über fünf Jahre sind sie im Lager untergebracht. Auf der Anhörung haben sie nicht persönlich gesprochen. Sie haben ihre Erfahrungen in einem Interview geschildert, woraus die Zitate entnommen sind. Beitrag hier lesen. Bericht hier lesen
Forderungen an die Politik
Forderungen der Flüchtlinge aus dem Lager Blankenburg
BewohnerInnen des Lagers in Oldenburg- Blankenburg haben eine Liste mit Forderungen aufgestellt. So lange, dass Lager nicht aufgelöst wird, erwarten sie, dass sich die Lebensbedingungen grundlegend ändern. Sie fordern die BesucherInnen der Anhörung auf sich dafür einzusetzen, dass ihre Lebenssituation nachhaltig verbessert wird. Forderung der BewohnerInnen des Lagers Oldenburg-Blankenburg. Beitrag hier lesen
Bernd Anders, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege
Für die Veranstalter sprach als Schlussredner Bernd Anders. Er appellierte an alle Anwesenden, das Thema nicht fallen zu lassen. Sein Vorschlag, einen parlamentarischen Abend zu der Frage zu veranstalten, ob „wir in Niedersachsen humanitär mit Flüchtlingen umgehen“, wurde von den anwesenden Abgeordneten ausdrücklich begrüßt. Der Beitrag liegt nicht vor.
Fachbeiträge
Rechtsanwalt Hajo Töllner (Oldenburg)
Hajo Töllner ist Fachanwalt für Ausländerrecht in Oldenburg. Er beschreibt in seinem Beitrag die rechtlichen Grundlagen der Lagerunterbringung. Beitrag hier lesen
Dr. Tobias Pieper (Freie Universität Berlin)
Dr. Tobias Pieper ist Politikwissenschaftler und Psychologe. Er hat unter dem Titel „Die Gegenwart der Lager “ Zur Mikrophysik der Herrschaft in der deutschen Flüchtlingspolitik“ eine Dissertation zur Lagerunterbringung von Flüchtlingen in Deutschland verfasst. Dazu hat er u. a. einige Tage im Lager Bramsche-Hesepe verbracht. Beitrag hier lesen
Prof. Wolf-Dieter Narr (FU Berlin)
Prof. Wolf-Dieter Narr von der Freien Universität Berlin ist Mitbegründer des Komitees für Grundrechte und Demokratie, das sich gegen die Lager für Flüchtlinge engagiert. Er hat zusammen mit Tobias Pieper für einige Tage im Lager Bramsche-Hesepe gewohnt. In seinem Beitrag betrachtet er die Lagerunterbringung unter Aspekten der Menschenrechte. Beitrag hier lesen
Stellungnahmen vom Niedersächsischen Innenministerium und von den Parteien
Das Niedersächsische Innenministerium, VertreterInnen der Fraktionen im Landtag sowie die Linke waren eingeladen, auf der Anhörung zu den Beiträgen der Flüchtlinge und der Fachleute Stellung zu nehmen:
Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport
Das Innenministerium hat seine Teilnahme an der Anhörung abgesagt, aber im Vorfeld eine schriftliche Stellungnahme zur Unterbringungspolitik des Landes an die Veranstalter gesendet. Stellungnahme hier lesen
Georgia Langhans (MdL für Bündnis90/Die Grünen)
Georgia Langhans war bis Februar 2008 Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und hat die Position ihrer Partei auf der Anhörung dargestellt. Beitrag hier lesen
Christopher Cheeseman (Die Linke)
Christopher Cheeseman sitzt für die Partei Die Linke im Stadtrat von Osnabrück. Er hat im Namen der Partei seine Position dargelegt. Beitrag hier lesen
Bernd Bischoff (SPD, stellv. Fraktionsvorsitzender der SPD-Ratsfraktion Oldenburg)
Der Beitrag liegt leider nicht schriftlich vor. Der Oldenburger Ratsabgeordnete verwies auf die einstimmig verabschiedete Resolution, in der der Rat der Stadt im Sommer eine Untersuchung der Situation in der ZAAB Oldenburg gefordert hat. In schwierigen Auseinandersetzungen sei es gelungen, verbilligte Fahrkarten für die BewohnerInnen des Lagers zu erstreiten, weitere Konsequenzen müssten folgen.
Roland Riese (MdL für FDP)
Der Beitrag liegt leider nicht schriftlich vor. Roland Riese verteidigte im Grundsatz die Unterbringung von Flüchtlingen in Lagern, erklärte jedoch gleichzeitig: „Es muss möglich sein, dass wir mehr Mitsprache und Eigenverantwortlichkeit der Menschen ermöglichen, die im Lager leben, und beispielsweise eigene Kochmöglichkeiten schaffen“.
Hintergrund
„Das Lager muss weg!“
Artikel zur niedersächsischen Praxis der Unterbringung von Flüchtlingen in Lagern hier lesen.
Flüchtlinge wohnen nicht!
Die Unterbringung von Flüchtlingen als Kalkül einer Abschreckungspolitik. Artikel von Martin Link hier lesen.
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...
2 Gedanken zu „Leben in Lagern (2008-2011)“
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