Initiativen fordern nachhaltige Konzepte für die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen

Am 29.11.2012 führte der Flüchtlingsrat gemeinsam mit kargah Hannover, der Stiftung Leben und Umwelt, dem Runden Tisch für Gleichberechtigung und gegen Rassismus Hannover, dem Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen VNB, IBIS Oldenburg, der Arbeitsgemeinschaft MigrantInnen und Flüchtlinge in Niedersachsen, dem Refugium Braunschweig, den Diözesan-Caritasverbänden Hildesheim und Osnabrück sowie dem Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e.V. eine Anhörung zur Unterbringung von Flüchtlingen in verschiedenen Kommunen durch. Die über den Europäischen Flüchtlingsfonds und die UNO-Flüchtlingshilfe geförderte und von der Landeshauptstadt Hannover unterstützte Veranstaltung erbrachte eine ganze Reihe von neuen Erkenntnissen über die Unterschiedlichkeit der kommunalen Umgangs, aber auch der zivilgesellschaftlichen Begleitung der Flüchtlingsaufnahme. Die auf der Veranstaltung gehaltenen Vorträge sind hier dokumentiert (bzw. werden noch ergänzt):

Der Meisterweg und das Netzwerk Integration in Lüneburg
Bestandsaufnahme in Wolfsburg
Unterbringungspraxis in Goslar
Das Leverkusener Modell
Unterbringung in Bremen

In der anschließenden Diskussion wurde folgendes deutlich:

  1. Nur wenige Kommunen machen sich Gedanken über nachhaltige Konzepte von der Aufnahme zur Integration von Flüchtlingen in die Kommune. In Hannover, wo der Austausch zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Stadtverwaltung am Runden Tisch eine lange Tradition hat, gibt es zumindest gute Ansätze für einen verantwortlichen Umgang mit Unterbringungsfragen. Auf Kritik stößt hier jedoch das Fehlen einer zeitlichen Begrenzung für die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften in Verbindung mit einem „Auszugsmanagement“, wie es etwa das Konzept der Stadt Köln vorsieht.
  2. Etliche Kommunen verzichten auf jegliche Konzeptentwicklung und nachhaltige Planung. Es spricht für sich, dass es in einigen niedersächsischen Städten Ende 2012 zu Unterbringungsengpässen gekommen ist, obwohl die Zahl der unterzubringenden Flüchtlinge derzeit viel niedriger ist als noch vor zehn Jahren. Problemverschärfend kommt hinzu, dass viele Städte den Sozialen Wohnungsbau zurückgefahren haben und auch hinsichtlich der Unterbringung von Obdachlosen vor Schwierigkeiten stehen. Ein kommunales Gesamtkonzept muss alle von einer Kommune ggfs. unterzubringenden Gruppen im Auge behalten und darf diese Gruppen nicht gegeneinander ausspielen. Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, dass geringe Gestaltungsspielräume der Kommunen sie erpressbar machen für zweifelhafte Firmen, die sich mit der Zurverfügungstellung von Containern oder anderen Schnellunterkünften eine goldene Nase verdienen wollen (siehe z.B. Angebot der Firma Sani).
  3. Kritisch wurde auch die Unterbringungspolitik der Stadt Osnabrück diskutiert, die sich im Vorfeld dieser Anhörung einer Diskussion über die von der Stadt verfolgte Unterbringungskonzeption verweigerte und nun mit Plänen zur ad-hoc-Anmietung weiterer Unterkünfte Schlagzeilen macht (siehe taz-Bericht), die vom örtlichen Verein „Exil e.V.“ scharf kritisiert werden.
  4. Vielfach sind die Flüchtlingen zugewiesenen Unterkünfte nur schlecht oder gar nicht ausgestattet. Es fehlt an einer für alle verbindlichen Vorgabe für Unterbringungsstandards. Vorgeschlagen wurde, eine Liste zu erstellen, die Mindestbedingungen und eine Mindestausstattung definiert. Eine erste Vorlage wurde vorgestellt.
  5. Einfache Möglichkeiten für eine schnelle Unterbringung von Flüchtlingen bleiben oft ungenutzt. Zu denken wäre etwa an Gespräche mit Wohnungsbaugesellschaften, die moderate Anpassung von Mietobergrenzen (stattdessen werden dann womöglich teure Hotelanmietungen diskutiert), das Werben um die Bereitstellung von Wohnungen durch Zeitungsartikel etc. Etliche Flüchtlinge könnten bei Verwandten unterkommen, wenn man die Wohnsitzauflage änderte. Durch die Ausgabe von Mietübernahmebescheinigungen ließe sich die Eigeninitiative der betroffenen Flüchtlinge nutzen und stärken.
  6. Die unbefriedigenden Vorgaben des Landes erschweren die Entwicklung positiver Aufnahmekonzepte: Derzeit erstattet das Land den Kommunen lediglich 4.826 € pro Jahr und Flüchtling, die tatsächlichen Kosten liegen jedoch erheblich darüber (Beispiel Lüneburg: 6.552 €).
  7. Flüchtlinge haben oft eine wochen- und monatelange Odyssee hinter sich. Sie sind manchmal um die halbe Welt geflohen und haben damit ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Insofern sollten sie grundsätzlich auch als handelnde Subjekte angesehen und angesprochen werden, die sich um ihre Angelegenheiten selbst kümmern wollen und können. Das Leverkusener Modell ermöglicht und unterstützt entsprechend die Flüchtlinge bei der eigenständigen Suche nach einer eigenen Wohnung. Das heißt allerdings nicht, dass sie keine Unterstützung (z.B. bei der sprachlichen Vermittlung oder bei der Wohnungssuche) brauchen. Es reicht nicht, sprachunkundigen Flüchtlingen (wie etwa in Goslar) nur eine leere Wohnung zuzuweisen und ihnen zu erklären, sie sollten sich selbst um die Ausstattung und Einrichtung kümmern. Eine beratende Unterstützung und Sprachschulung ist für alle Einwanderer wichtig, auch für Flüchtlinge.
  8. 80% aller Flüchtlinge werden in niedersachsen dezentral in eigenen Wohnungen untergebracht. Diese Form der Unterbringung ist nicht nur integrationspolitisch angezeigt, sondern auch aus Kostengesichtspunkten sinnvoll: Alle Untersuchungen (Heidelberg, Leverkusen, Köln, …) belegen, dass eine Wohnungsunterbringung erheblich kostengünstiger ist als eine GU-Unterbringung (siehe etwa Heidelberg, Berlin, Köln oder Leverkusen(s.o.)).
  9. Die praktischen Erfahrungen in verschiedenen Städten zeigen, dass nicht nur die kommunalen Konzepte für die Unterbringung für eine gelungene Aufnahme von Flüchtlingen wichtig sind, sondern auch die zivilgesellschaftlichen Begleitmaßnahmen und Praxen von Vereinen, Initiativen, Kirchen, Verbänden und Einzelpersonen im Kontext dieser Aufnahme. Das Beispiel des Meisterweg in Lüneburg verdeutlicht, dass trotz vergleichsweise schlechter Unterbringungsstandards die aktive und systematische Einbeziehung von NGOs die Aufnahme und Entwicklung von Perspektiven der Flüchtlinge in bemerkenswerter Weise unterstützen kann. Gleiches gilt für Wolfsburg, wo die Partizipationschancen für Flüchtlinge durch das Angebot nahezu kostenloser Sprachkurse qualitativ verbessert werden.

siehe auch: Bericht des NDR vom 15.12.2012

gez. Kai Weber

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