Auf der gestrigen Konferenz des niedersächsischen Sozialministeriums unter der Überschrift: „Integration 2020. Die Zukunft Niedersachsens heute gestalten“ hielten Prof. Dr. Klaus J. Bade (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration SVR) und Dr. Naika Foroutan (Humboldt-Universität Berlin) die Hauptreferate. Die beiden sehr gehaltvollen Vorträge liegen uns leider noch nicht vor. Zu hoffen ist, dass das Sozialministerium sie zu einem späteren Zeitpunkt noch dokumentiert.
Politisch brisant und bemerkenswert sind die deutlichen Worte, die Prof. Dr. Klaus Bade im Rahmen seines Vortrags zum Umgang mit humanitären Fällen im Allgemeinen und zum Fall der Gazale Salame im Besonderen fand. Nachfolgend dokumentieren wir diesen Auszug aus seinem Vortrag am 7.6.2012 im Rahmen der o.g. Konferenz im ICC Hannover:
„… Das SVR-Migrationsbarometer 2011, das sich auf eine Befragung vom November / Dezember 2010 stützt, zeigt u.a.: Ein überraschend hoher Prozentsatz der Befragten votiert für eine erleichterte Aufnahme von Flüchtlingen und Asylsuchenden. Das gilt für fast die Hälfte (ca. 49 %) der Befragten aus der Mehrheitsbevölkerung und immerhin ca. 41 % der Zuwandererbevölkerung.
Das sollte auch dem niedersächsischen Innenministerium zu denken geben, das in humanitären Konfliktfällen mitunter eine auffallende Härte zeigt. Das gilt z.B. für die seit sieben Jahren durch Teilabschiebung der schwangeren Frau mit einem Kleinkind zerrissenen Familie Siala / Salame, die in den 1980er Jahren aus der Bombenhölle von Beirut geflohen war und deren Schicksal inzwischen bundesweit Aufsehen erregt hat.
In zahllosen Eingaben haben sich dazu international anerkannte humanitäre Organisationen zu Wort gemeldet wie Amnesty International, Pro Asyl, terre des hommes, die Internationale Liga für Menschenrechte, die Deutsche Korczak-Gesellschaft, der Interkulturelle Rat, die Remarque-Gesellschaft, Aktion Courage, die AWO, das DRK, der Deutsche Kinderschutzbund u.a.
Andere Eingaben tragen große Namen* wie Rita Süssmuth, Herta Däubler-Gmelin, Bundesinnenminister a.D. Rudolf Seiters, der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Dt. Bundestages Tom Koenigs, DGB-Bundesvorstand Annelie Buntenbach, aber auch viele kleinere Namen wie z.B. Klaus J. Bade, der nie eine Antwort bekommen hat und sich deshalb hier öffentlich zu Wort meldet.
Wenn alle diese Anfrager und Bittsteller hier alle gleicher Ansicht sind, dann sollte das doch Anlass sein, diesen Fall noch einmal zu prüfen und dies nicht nur unter Hinweis auf einen scheinbar rundum verteilten und großenteils klar wiederlegten Aktenvermerk zu verweigern. Anders gewendet: Es wäre doch schöner, wenn Niedersachsen mehr mit Punkten aus seiner Leistungsbilanz bundesweit Aufsehen erregen würde und weniger durch eine Härte in humanitären Fragen, die sogar der Meinung der Bürger widerspricht.
Ich appelliere deshalb an dieser Stelle an das niedersächsische Innenministerium, seine Position im vorliegenden Fall zu überdenken und damit, trotz aller notwendigen Abwehr von Missbrauch unserer humanitären Aufnahmebereitschaft, exemplarisch ein Zeichen des guten Willens zu setzen.
Zugleich appelliere ich an die heute hier aktiv mitwirkende Schirmherrin dieser Konferenz, die niedersächsische Integrationsministerin, die auch für alle hier betroffenen Problembereiche, nämlich Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit zuständig ist, sich einzuschalten in diesen Fall, der eben nicht nur aufenthalts-, asyl- bzw. ausländerrechtlich ist. Das entspräche der Maxime, dass bei humanitären Problemfällen, in denen auch die Härtefallkommission nicht weiterkommt, nur eine ressortübergreifende Perspektive helfen kann.“
*siehe hierzu: Süddeutsche Zeitung vom 18.06.2012: In Sturheit gefangen
Frau Sozialministerin Özkan hat zugesagt, sich mit dem niedersächsischen Innenminister über den Fall Gazale Salame zu unterhalten. Es kann auch ihr nicht gefallen, dass die durchaus positiven Ansätze der niedersächsischen Integrationspolitik immer wieder durch den gnadenlosen Umgang des niedersächsischen Innenministeriums mit Flüchtlingen konterkariert werden. Nachfolgend hierzu der heutige Artikel in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung:
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HAZ 8.6.2012 – Gazale Salame: Wissenschaftler appelliert an Özkan
Hannover (kor). Die Flüchtlingspolitik der Landesregierung bleibt weiter in der Kritik. Im Fall der vom Landkreis Hildesheim getrennten Familie Siala-Salame appelliert der Osnabrücker Migrationsexperte Prof. Klaus J. Bade an die Regierung, die vor sieben Jahren erfolgte Abschiebung der damals schwangeren Gazale Salame und einer ihrer Töchter nochmals zu prüfen. „Setzen Sie ein Zeichen des guten Willens und überdenken Sie Ihre Haltung in diesem humanitären Härtefall“, sagte Bade am Donnerstag bei einem integrationspolitischen Kongress in Hannover, zu dem Sozialministerin Aygül Özkan eingeladen hatte.
An die CDU-Politikerin gewandt, sagte Bade: „Als Frauen-, Familien- und Integrationsministerin sind Sie für viele im Fall Salame betroffene Bereiche zuständig – setzen Sie sich bitte im Rahmen Ihrer Möglichkeiten für die Familie ein.“ Weil jedoch in Flüchtlingsfragen Innenminister Uwe Schünemann (CDU) das letzte Wort hat, empfahl Bade: „Eine ressortübergreifende Sichtweise ist hier hilfreich.“
Die Kurdin Gazale Salame und ihre einjährige Tochter waren in die Türkei ausgewiesen worden, während ihr Ehemann und zwei ältere Töchter im Kreis Hildesheim bleiben durften. „Man kann in Niedersachsen nicht über Integration und Migration sprechen und dabei über den Fall Salame schweigen“, sagte Bade. Özkan versicherte am Rande der Tagung, sie habe Bades „Botschaft genau wahrgenommen“ und nehme sie mit in ihre nächsten Gespräche mit Schünemann.
08.06.2012 / HAZ Seite 6 Ressort: NIEDERSACHSEN
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