PR zur Anhörung "Leben in Lagern"

Nachfolgend die Presseinformation über die heutige Anhörung des „Netzwerks Flüchtlingshilfe Niedersachsen“* im PFL Oldenburg Kultur- und Veranstaltungszentrum) zum Thema „Leben in Lagern“

Flüchtlinge beklagen Isolation und Perspektivlosigkeit im Lager
Sozialwissenschaftler/innen kritisieren „Banalität des Inhumanen“
Politiker/innen von SPD, FDP, Grünen und Linken fordern Konsequenzen

Die – oft jahrelange – Isolation von Flüchtlingen in Lagern ist menschenunwürdig und sollte sofort beendet werden. Das ist das vorläufige Resumée einer mit 100 Teilnehmern/innen gut besuchten Anhörung, die das Netzwerk Flüchtlingshilfe Niedersachsen in Kooperation mit der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen und der Stiftung Leben und Umwelt am heutigen Freitag in Oldenburg durchgeführt hat.

In seiner Eröffnungsrede betonte Oberbürgermeister Prof. Dr. Schwandner die Notwendigkeit, die nach Deutschland fliehenden Menschen als Gäste zu sehen und entsprechend zu behandeln. Die in großer Zahl anwesenden Flüchtlinge nehmen ihre Lebensrealität jedoch anders wahr, sie klagen über Isolation und Perspektivlosigkeit:

„Ich bin gezwungen, auf engstem Raum mit Menschen zusammen zu leben, mit denen ich nichts zu tun haben will. Ich habe keinen Kontakt zu Menschen außerhalb dieses Lagers. Ich führe kein normales Leben.“ Rushin H.

„Jeder Tag ist wie der vorherige, man bekommt das Mittagessen, das Abendbrot in der Kantine und das war’s, es gibt nichts mehr zu tun, glauben Sie es mir, dieses vegetierende Leben macht die Leute krank, nicht physisch sondern seelisch krank, dieses Warten ohne Ende, man verliert die Richtung… Man hat kein eigenes Leben, ich weiß nicht was die Zukunft bringt, ich weiß nicht ob ich eine Zukunft habe, ich habe fast alles verloren und würde gerne noch mal anfangen, aber dort [im Lager] verliere ich manchmal die Hoffnung, ich bin fertig, ich fühle mich als ob ich ein Parasit wäre und das gefällt mir nicht, ich bin immer aktiv gewesen, das ist für mich das Schlimmste… Man ist nie ruhig, man weiß nicht wer der Nachbar ist und was für Sachen er getan hat oder immer noch tut, diese Spannung, plus die Inaktivität, plus das Warten, das frisst die Seele und die Gedanken werden immer durcheinander, man steht da, sieht um sich und das ist wie im Nebel zu sein, … das Licht, das ich irgendwann mal gesehen habe, wird jeden Tag schwächer.“ Viviana M.

„Niemand kommt hierher. Der Weg ins Lager ist zu Fuß zu weit für Frauen, Kinder und Kranke. Vor allem bei Einkäufen und Arztbesuchen. Der Bus ist zu teuer. Wir leben seit 5 Jahren in einem Zimmer auf einem Gang mit 8 Familien.“ Sahar C.

Aus sozialwissenschaftlicher Sicht erläuterte der Psychologe Tobias Pieper (FU Berlin) die Geschichte der Lagerunterbringung in Deutschland, die von der Politik seit je her als eine Methode der gewollten Abschreckung von Flüchtlingen konzipiert worden sei. Die neue administrative Strategie habe zum Ziel, eine Verteilung von Flüchtlingen in die Kommunen komplett zu vermeiden. „In Niedersachsen können wir derzeit die Konturen des zukünftigen Umgangs mit hier nicht gewollten MigrantInnen sehen.“

Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr (FU Berlin) ergänzte: „Es kann in Notzeiten erforderlich sein, vorübergehend Lager aufzubauen, um großen Flüchtlingsgruppen kurzfristig ein Dach über dem Kopf zu geben. Lager, die eingerichtet werden, um Menschen zwangsweise zu konzentrieren und zu zermürben, sind jedoch ohne jede Einschränkung menschenrechtswidrig. Trostlosigkeit, Langeweile, Perspektivlosigkeit und umbaute Asozialität kennzeichnen die ganze Banalität des Inhumanen, die in diesen Lagern zum Ausdruck kommt.“

Die Stellungnahmen der anwesenden Politiker/innen fielen unterschiedlich aus: Der Oldenburger Ratsabgeordnete Bernd Bischoff verwies auf die einstimmig verabschiedete Resolution, in der der Rat der Stadt im Sommer eine Untersuchung der Situation in der ZAAB Oldenburg gefordert hat. In schwierigen Auseinandersetzungen sei es gelungen, verbilligte Fahrkarten für die Bewohner/innen des Lagers zu erstreiten, weitere Konsequenzen müssten folgen. Roland Riese (MdL FDP) verteidigte im Grundsatz die Unterbringung von Flüchtlingen in Lagern, erklärte jedoch gleichzeitig: „Es muss möglich sein, dass wir mehr Mitsprache und Eigenverantwortlichkeit der Menschen ermöglichen, die im Lager leben, und beispielsweise eigene Kochmöglichkeiten schaffen.“ Eindeutig fiel das Plädoyer der Vertreter/innen von Bündnis 90 / die Grünen und der Linken aus, die beide betonten, dass die Lager abgeschafft werden sollten. „Ich finde es beschämend, dass in unserem Land, in unserer Mitte, so etwas möglich ist“, so Georgia Langhans (MdL Grüne).

Schlussredner war Bernd Anders, der als Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege an alle Anwesenden appellierte, das Thema nicht fallen zu lassen. Sein Vorschlag, einen parlamentarischen Abend zu der Frage zu veranstalten, ob „wir in Niedersachsen humanitär mit Flüchtlingen umgehen“, wurde von den anwesenden Abgeordneten ausdrücklich begrüßt. Möglicherweise ergibt sich dann die Gelegenheit, die angesprochenen Fragen auch mit der CDU-Landtagsfraktion zu diskutieren, die ihre Beteiligung an der Anhörung unter Hinweis auf den Wahlkampf abgesagt hatte. Auch die Landesregierung glänzte durch Abwesenheit und rechtfertigte das von der Landesregierung verfolgte Lagerkonzept in einer schriftlichen Stellungnahme.

Zutiefst peinlich erscheint das Verhalten der Lagerleitung der ZAAB Blankenburg, die für den Tag der Anhörung in der Zeit von 16 – 22 Uhr jeglichen Besuch im Lager verboten hatte – und dann tatsächlich ein beabsichtigtes Teekränzchen von 25 Teilnehmern/innen der Anhörung bei Flüchtlingen im Anschluss an die Veranstaltung mit Polizeigewalt verhinderte. Bereits am Vorabend war einer Handvoll Schülern der Besuch von Flüchtlingen im Lager verboten worden, lediglich eine „Delegierte“ durfte nach längeren Verhandlungen das Lager betreten. Diese Besuchsverbote sagen über die Fremdbestimmung und Entmündigung von Flüchtlingen in den niedersächsischen Lagern mehr als tausend Worte.
gez. Kai Weber, Tel. 0178 – 1732569

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