Die „Niederschrift über die Dienstbesprechung des Referats 42 … mit den Ausländerbehörden zur Anwendung der gesetzlichen Altfallregelung am 11.09.2007 im Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport in Hannover“.
Dieses Protokoll (hier als PDF downloaden 2 MB), in dem das niedersächsische Innenministerium in klandestiner Weise den Ausländerbehörden Leitlinien zur Auslegung von Ermessensspielräumen der gesetzlichen Altfallregelung an die Hand gibt, wurde vom Innenministerium nicht veröffentlicht. Das Protokoll stellt kein Erlass dar, ist also für die Ausländerbehörden keine verbindliche Vorschrift, sondern nur eine „dringende Empfehlung“. Zweifel an dieser Form der Kommunikation scheinen angezeigt: Während andere Bundesländer ihre Erlasse in Internetportalen veröffentlichen, betreibt das niedersächsische Innenministerium weiterhin eine fragwürdige Geheimhaltungspolitik zu Fragen des behördlichen Umgangs mit Flüchtlingen in Niedersachsen, die seinesgleichen sucht.
Inhaltlich enthält das Papier einige Ungeheuerlichkeiten (die wohl der Grund für die Geheimhaltung darstellen):
- „Bei Personen, die – z.B. aus Altersgründen – nicht mehr in der Lage sein werden, die Pflichtbeiträge für eine Mindestrente zur gesetzlichen Rentenversicherung zu leisten …“, sei zu entscheiden, „eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 nicht zu erteilen“. Es sei zu „prognostizieren, inwieweit der Ausländer in der verbleibenden Zeit in der Lage sein wird, die Voraussetzungen für eine später auskömmliche Rente zu schaffen“. (S.2)
- wer – trotz der bestehenden rechtlichen Beschränkungen beim Arbeitsmarktzugang – „in der Vergangenheit keinerlei Bemühungen unternommen hat, um eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und auch aktuell keine begründeten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er künftig den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen durch eigene Erwerbstätigkeit ohne Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen sichern wird“, bei dem kann die Ausländerbehörde von der „soll“-Vorschrift des § 104a Abs. 1 Satz 3 abweichen und die Aufenthaltserlaubnis verweigern.(S. 2)
- Junge Erwachsene, die gemäß § 104a Abs. 2 minderjährig mit ihren Eltern eingereist sind, sollen – anders, als der Text der gesetzlichen Bleiberechtsregelung dies vorsieht – ebenfalls einen mindestens sechsjährigen Aufenthalt nachweisen müssen. Darüber hinaus müsse eine günstige Zukunftsprognose abgegeben werden können. Auch wenn Strafverfahren mit der Festsetzung geringer Strafen beendet wurden oder es wegen geringer Schuld nicht zu Verurteilungen gekommen ist, werde die Zukunftsprognose ungünstig beeinflusst, „weil dadurch deutlich wird, dass unser Gesellschafts- und Rechtssystem nicht ausreichend anerkannt wird.“ (S. 8)
Eine systematische Auswertung des Protokolls werden wir noch vornehmen. Schon jetzt lässt sich jedoch feststellen, dass das MI – anders als die Gesetzesbegründung dies nahelegt – durchaus nicht einen auf Dauer angelegten Aufenthalt der langjährig Geduldeten ermöglichen will, sondern im Gegenteil alles daran setzt,
- die Unproduktiven und Sozialfälle (Alte, Kranke, Behinderte, Traumatisierte) schon im Vorfeld auszusortieren, weil sie sich nicht „rechnen“,
- den Bezug ergänzender staatlicher Transferleistungen nur sehr begrenzt und befristet zuzulassen und ggfs. die Aufenthaltserlaubnis wieder zu entziehen,
- Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit einwandfreien Zeugnissen und guter Prognose – ggfs. unter der Bedingung, dass ihre (unproduktiven) Eltern das Land verlassen – eine Aufenthaltsperspektive zu ermöglichen.
Jetzt wird auch klarer, warum das niedersächsische Innenministerium auf dem letzten Treffen mit den Ausländerbehörden angekündigt hat, eine „Qualitätskontrolle“ bei ausgewählten Ausländerbehörden über den Umgang mit geduldeten Flüchtlingen durchzuführen: Das MI will sichergestellt wissen, dass trotz und während der laufenden Bleiberechtsregelung die Abschiebungsmaschinerie in Gang gehalten wird.
gez. Kai Weber
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