Gemeinsame Erklärung, April 2006
Mit der Einführung des neuen Zuwanderungsgesetzes haben viele für Flüchtlinge engagierte Organisationen die Hoffnung verbunden, dass sich für geduldete Menschen und Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus endlich die rechtliche Situation deutlich verbessern werde. Vor allem die Abschaffung der so genannten Kettenduldungen war ein Kernelement des Zuwanderungskompromisses, der langjährig hier lebenden Menschen endlich einen gesicherten Aufenthaltsstatus hätte geben sollen.
Im ersten Jahr nach Einführung des Gesetzes hat sich jedoch gezeigt:… Die Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Die vom niedersächsischen Innenministerium vorgegebenen Auslegungsvorschriften haben zur Folge, dass nur ein Bruchteil der Betroffenen tatsächlich eine Aufenthaltserlaubnis erhält. Wir stellen fest, dass die Abschiebungspraxis immer härter wird. Betroffen sind oft auch Familien, die seit zehn Jahren und mehr bei uns leben, deren Kinder in Niedersachsen geboren sind und hier zur Schule gehen. Niedersachsen ist ihre Heimat geworden. Das Herkunftsland ist ihnen fremd, oftmals kennen sie es nur von Erzählungen oder von Fotos, sprechen seine Sprache nicht.
Fast täglich ist auch in Niedersachsen zu erleben, was es insbesondere für Kinder heißt, ohne sicheren Aufenthaltsstatus leben zu müssen: Kinder kommen nicht zur Schule, weil sie Angst haben, die Polizei hole sie aus dem Unterricht, da sie abgeschoben werden sollen oder bereits abgeschoben worden sind. Jugendliche erhalten keine Ausbildungsstelle, weil sie nicht das richtige Aufenthaltspapier besitzen.
Wir, die Erstunterzeichner wie Wohlfahrtsverbände, Flüchtlingsrat Niedersachsen, Deutscher Gewerkschaftsbund in Niedersachsen, halten die gegenwärtige Praxis für inhuman und inakzeptabel besonders gegenüber Familien mit Kindern. Wir fordern daher die Landesregierung und hier insbesondere den niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann auf, die gegenwärtige Flüchtlingspolitik zu überprüfen und unsere nachfolgenden Forderungen zu berücksichtigen. Denn die gegenwärtige Praxis ist mit dem Selbstverständnis eines humanitären und demokratischen Rechtsstaats oftmals nicht vereinbar.
Erstunterzeichner:
Organisationen
Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen
Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Hannover e.V.
Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Weser-Ems e.V., Oldenburg
Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Braunschweig e.V.
Caritasverband für die Diözese Hildesheim e.V.
Caritasverband für die Diözese Osnabrück e.V.
Landes-Caritasverband für Oldenburg e.V., Vechta
Paritätischer Niedersachsen e.V., Hannover
Deutsches Rotes Kreuz LV Niedersachsen e.V., Hannover
Deutsches Rotes Kreuz LV Niedersachsen e.V., Oldenburg
Diakonisches Werk der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers e.V.
Diakonisches Werk der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig e.V.
Diakonisches Werk der Ev.-luth. Kirche in Oldenburg e.V.
Diakonisches Werk der Ev.-luth. Landeskirche Schaumburg-Lippe e.V. , Stadthagen
Diakonisches Werk der Ev.-ref. Kirche, Leer
Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, Hannover
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Deutscher Gewerkschaftsbund Bezirk Niedersachsen “ Bremen “ Sachsen-Anhalt (Hartmut Tölle, Bezirksvorsitzender)
Ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Landesbezirk Niedersachsen-Bremen (Wolfgang Denia, Landesbezirksleiter)
IG Metall Bezirk Niedersachsen-Sachsen-Anhalt (Hartmut Meine, Bezirksleiter)
TRANSNET Region Nord (Peter Strüber, Gewerkschaftssekretär)
IG Bergbau, Chemie, Energie (H.-Peter Hüttenmeister, Landesbezirksleiter)
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Eberhard Brandt, Landesvorsitzender)
IG Bauen-Agrar-Umwelt (Friedrich Stolze, Regionalleiter Region Niedersachsen-Bremen)
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (Landesbezirk Nord, Dr. Herbert Grimberg,Landesbezirksvorsitzender)
Gewerkschaft der Polizei (GdP) (Bernd Witthaut, Landesvorsitzender)
Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten im Landkreis Nienburg/Weser
Arbeitsgemeinschaft Migrantinnen und Flüchtlinge in Niedersachsen
Arbeitskreis Ausländer Celle
Arbeitskreis Ausländischer Kinder e.V., Hameln
Arbeitskreis gegen Ausländerfeindlichkeit, Bad Münder
Bund der Deutschen Katholischen Jugend – Diözesanverband Hildesheim
Caritasverband für Bremerhaven und den Landkreis Cuxhaven
Deutsch-Ausländischer Freundschaftsverein e.V., Westerstede
Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V., Landesverband Niedersachsen
DGB Ortsverband Bad Münder
Diakonie Ev.-luth. Kirchenkreis Verden
Diakonisches Werk des Ev.-luth. Kirchenkreises Wilhelmshaven
Diakonisches Werk, Ev.-luth. Kirchenkreis Cuxhaven
Diakonisches Werk, Rotenburg
Familienbund der Katholiken – Bistum Hildesheim
Freiwilligen-Zentrum Lingen
IBIS – Interkulturelle Arbeitsstelle für Forschung, Dokumentation, Bildung und Beratung e.V., Oldenburg
Integrationsrat Göttingen
Kargah e.V., Hannover
Katholische Friedensbewegung pax christi – Bistumsstelle Hildesheim
Landesarbeitsgemeinschaft der Jugendsozialarbeit in Niedersachsen
Netzwerk Flüchtlingshilfe & Menschenrechte e.V., Hannover
Niedersächsischer Integrationsrat, Hannover
ßkumenischer Arbeitskreis Asyl, Rotenburg
ßkumenische Ausländerarbeit Bremen e.V.
RUNDER TISCH für ein interkulturelles Hannover gegen Rassismus, Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit
SKM Lingen e.V.
Unterstützungskreis Familie Sriranjan, Steyerberg
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der AntifaschistInnen Niedersachsen
Einzelunterstützer
Homeyer, Dr. Josef Emeritierter Diözesanbischof, Hildesheim
Wenzel, Stefan, MdL Fraktionsvorsitzender der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Niedersachsen
Groskurt, Ulla, MdL Osnabrück
Langhans, Georgia Migrationspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Niedersachsen
Ludwigs, Horst-Peter, Dipl.Sozialarb./-päd. Celle
Mrowka, Gertrud Burgdorf
Müller, Matthias Hannover
Bartel, Britt Osnabrück
Dreyer, Michael Osnabrück
Waldmann-Stocker, Bernd, RA Göttingen
Nötzel, Uwe Mitglied DGB Regionsvorstand Nds.-Mitte
Hausin, Ekkehard, RA Oldenburg
Harms, Gerjet Hildesheim
Deigmüller, Günter Steyerberg
Deigmüller, Inge Steyerberg
Müller, Ute, Gleichstellungsbeauftragte Steyerberg
Stuckmann, Helma, Diplompädagogin Steyerberg
Wilke, Dr. Matthias, Pastor Steyerberg
Neuhaus, Joram Cuxhaven
Lerche, Ulrich, RA Hannover
Schröder, Susanne, RAin Hannover
Fahlbusch, Peter, RA Hannover
Lerch, Andreas, kath. Pfarrer Salzgitter
Piontek, Joachim, kath. Pfarrer Hannover
Stenzel-Rhinow, Cornelia Bremerhaven
Kracht, Dr. Annette Hamburg
Vogt, Roland Bad Pyrmont
Vogt, Ingrid Bad Pyrmont
Vogt, Ute Bad Pyrmont
Schweinel, Cornelia Hannover
Lau, Marianne ehem. Diözesanvorsitzende der Caritas-Konferenzen in der Diözese Hildesheim
Lamers, Marcel Bad Salzdetfurth
Leenders, Franz, kath. Pfarrer Hildesheim
Schmidt, Brigitte Mitarbeiterin AWO KV Oldenburg/Vechta e.V.
Müller, Wilfried Geschäftsführer AWO KV Oldenburg/Vechta e.V.
Brengelmann, Irma Mitarbeiterin AWO KV Oldenburg/Vechta e.V.
Leuth, Traute Mitarbeiterin AWO KV Oldenburg/Vechta e.V.
Slagelambers, Renate Mitarbeiterin AWO KV Oldenburg/Vechta e.V.
Bleiberecht für langjährig Geduldete
Rund 200.000 Menschen leben ohne eine sichere Aufenthaltsperspektive in Deutschland, etwa 23.000 davon in Niedersachsen. Rund 15.000 Flüchtlinge leben schon fünf Jahre und länger mit einer Duldung in Niedersachsen. Mit dem Zuwanderungsgesetz sollten Kettenduldungen maßgeblich abgeschafft werden. In der Praxis zeigt sich, dass dieses Ziel nicht annähernd erreicht wird. Die unzureichenden Gesetzesformulierungen werden von der Mehrheit der Landesinnenministerien durch eine restriktive Auslegung nochmals verschärft. Selbst Jugendliche und Kinder, die in Deutschland aufgewachsen sind, haben kaum Chancen, ein Aufenthaltsrecht zu erreichen.
Darüber hinaus hat die restriktive Erteilung von Arbeitserlaubnissen durch die seit dem 01.01.2005 zuständigen Ausländerbehörden dazu geführt, dass viele Geduldete im Zuge der Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes ihren Arbeitsplatz verloren haben. Die Jugendlichen dürfen oftmals keinen Ausbildungsplatz antreten. Die Betroffenen werden zu Lasten der Kommunen in die Sozialsysteme gedrängt.
· Wir fordern die Landesregierung auf, für eine an den Menschen orientierte Bleiberechtsregelung für Geduldete einzutreten: Alleinstehende, die seit fünf Jahren in Deutschland leben, und Familien mit Kindern, die seit drei Jahren in Deutschland leben, müssen einen dauerhaften gesicherten Aufenthaltstitel erhalten. Bis zum Beschluss einer Bleiberechtsregelung müssen die Betroffenen durch einen Abschiebungsstopp geschützt werden.
· Wir erwarten von dem niedersächsischen Innenminister, Abstand von seinem Vorschlag zu nehmen, nur den Kindern von langjährig geduldeten Familien ein Bleiberecht zu gewähren, weil dadurch die grundgesetzlich geschützte Familie auseinander gerissen wird. Die Erweiterung der Rückkehroption auf geduldete Jugendliche wird von uns begrüßt.
· Wir bitten die Landesregierung, sich für eine Verbesserung des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Geduldete einzusetzen.
· Wir appellieren an die politisch Verantwortlichen, die Beschäftigungsverfahrensverordnung so zu verändern, dass jugendliche Geduldete einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang erhalten.
· Wir fordern die politisch Verantwortlichen auf, sich dafür einzusetzen, dass Kettenduldungen künftig tatsächlich verhindert werden. Eine Aufenthaltserlaubnis muss auch erteilt werden, wenn eine Ausreise zwar technisch möglich, aber nicht zumutbar ist.
Abschiebungspolitik
Aufgrund der restriktiven Asylpraxis der vergangenen Jahre wurde eine Vielzahl von Schutzbedürftigen im Asylverfahren nicht anerkannt. Trotz der gravierenden Sicherheitsprobleme in den Herkunftsländern drängt das niedersächsische Innenministerium auf Abschiebungen in Krisengebiete wie Afghanistan, Togo, DR Kongo oder Kosovo. Selbst Familien, die schon über viele Jahre hinweg bei uns integriert leben, werden ohne Ankündigung des Abschiebungstermins abgeschoben.
Auch individuelle Gesichtspunkte “ wie Krankheit, Traumatisierung oder familiäre Gründe “ schützen heute kaum noch vor einer Abschiebung. Zur Durchsetzung von Abschiebungen werden Flüchtlinge in Niedersachsen oftmals monatelang in Abschiebungshaft genommen, auch wenn dies vermieden werden könnte. Sogar Minderjährige sind hiervon betroffen.
· Wir appellieren an die Landesregierung, dafür zu sorgen, dass traumatisierte und kranke Menschen nicht abgeschoben werden.
· Wir fordern den niedersächsischen Innenminister auf, Familientrennungen durch Abschiebungen zu unterbinden.
· Wir fordern die Landesregierung auf, entsprechend der früheren Praxis Abschiebungen grundsätzlich vorher anzukündigen sowie Abschiebungen und Abschiebungshaft nach Möglichkeit zu vermeiden.
· Wir rufen die politisch Verantwortlichen dazu auf, die Rechtsgrundlagen der Abschiebungshaft zu reformieren und die Anordnung von Abschiebungshaft gegenüber Minderjährigen im Aufenthaltsgesetz generell zu verbieten.
Härtefallkommission
Wir begrüßen den Beschluss der niedersächsischen Landesregierung, eine Härtefallkommission auch in Niedersachsen einzurichten.
Noch ist nicht abschließend geklärt, wie die Kommission zusammengesetzt sein wird. Darüber hinaus werden Kriterien diskutiert, die bestimmte Personen vom Zugang zur Härtefallkommission ausschließen sollen.
Wir appellieren an die niedersächsische Landesregierung, sich bei der Einrichtung der Härtefallkommission der positiven Erfahrungen anderer Länder im Sinne einer humanitären Flüchtlingspolitik zu bedienen. Das bedeutet unter anderem:
· Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen müssen beteiligt werden.
· Der Katalog der Ausschlusskriterien ist möglichst eng zu fassen. Insbesondere darf der Bezug von öffentlichen Mitteln kein Ausschlussgrund sein.
· Bei den zur Beratung angemeldeten und angenommenen Eingaben ist grundsätzlich vor Abschluss der Beratung keine Abschiebung durchzuführen.
Hallo, liebe Mitstreiter, 28.6.06
fragt in den Superintendenturen (=oberste Kirchenkreis-Leitung)nach, ob der Flüchtlingspolitische Aufruf in den Kirchengemeinden zur Unterschrift ausgelegt werden könnte. Vermutlich könnte man so an viele Unterschriften kommen.
Schließlich ist eine Stellungnahme /Position zum Bleiberecht auch eine ethische Frage, zu der die Kirchengemeinden angefragt werden sollten.