Hinweise für Asylbewerber*innen, denen Leistungsbehörden die Leistungen kürzen oder streichen wollen, weil sie in einem anderen Staat bereits einen Asylantrag gestellt haben
Am 31.10.2024 trat das „Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit“ in Kraft. Damit einher gehen auch Verschärfungen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), die sich gegen Asylbewerber:innen richten, bei denen das BAMF festgestellt hat, dass nach der Dublin-III-Verordnung ein anderer Dublin-Staat (alle EU-Mitgliedsstaaten sowie Island, Liechtenstein, Norwegen und Schweiz) für das Asylverfahren zuständig ist oder in einem dieser Staaten bereits ein internationaler Schutzstatus festgestellt wurde.
Welche Änderungen sind im AsylbLG vorgenommen worden?
a) § 1 Abs. 4 AsylbLG wurde geändert und sieht nun komplette Leistungsstreichungen vor.
b) Weiterhin wurde der § 1a Abs. 7 AsylbLG abgeschafft, der früher die Leistungskürzungen regelte für Asylbewerber:innen, deren Asylantrag als „unzulässig“ vom BAMF abgelehnt wurde, weil ein anderer Dublin-Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Dieser Absatz 7 in § 1a AsylbLG ist gestrichen worden und findet seit dem 31.10.2024 keine Anwendung mehr!
Welche Asylbewerber:innen sind von dem Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG betroffen?
Der Leistungsausschluss soll Asylbewerber:innen unter den folgenden Voraussetzungen treffen:
Sie sind vollziehbar ausreisepflichtig, die Ausländerbehörde hat aber keine Duldung erteilt (Personen mit gültiger Aufenthaltsgestattung oder Duldung sind daher nicht betroffen) und
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Sie haben in dem anderen Dublin-Staat bereits einen internationalen Schutzstatus zugesprochen bekommen, z.B. Flüchtlingsstatus oder
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Ihr Asylantrag wurde mit einem “Dublin-Bescheid” als unzulässig abgelehnt, weil ein anderer Dublin-Staat zuständig ist (z.B. aufgrund der Ersteinreise dort oder der Erteilung eines Visums) und
es wurde eine Abschiebungsanordnung (nicht: Abschiebungsandrohung!) erlassen
und
nach Feststellung des BAMF ist die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich.
Was ist die Folge des Leistungsausschlusses nach § 1 Abs. 4 AsylbLG?
Höchstens für zwei Wochen sollen Überbrückungsleistungen erbracht werden, ausschließlich in Form von Sachleistungen. Diese umfassen lediglich den Bedarf an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege und Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie Leistungen für werdende Mütter und Wöchnerinnen. Diese Leistungen werde von Politiker*innen häufig auf den Dreiklang „Bett, Brot, Seife“ gebracht.
Nach Ablauf der zwei Wochen, in denen Überbrückungsleistungen gewährt werden, müssten die Betroffenen laut Gesetzestext ohne jegliche Unterstützung auf die Straße gesetzt werden.
Ob Kürzung oder Streichung der Leistungen: In jedem Fall Widerspruch und Eilantrag und bei Bedarf Klage! Behörden müssen Europarecht befolgen!
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen ist der Ansicht, dass dieser Leistungsausschluss sowohl gegen das Grundgesetz, das ein Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum garantiert, als auch gegen EU-Recht – konkret gegen die EU-Aufnahmerichtlinie, in der geregelt ist, dass Asylantragsteller:innen materielle Leistungen und medizinische Versorgung zustehen – verstößt.
Weiterhin ist nach derzeitiger Praxis die („freiwillige“) Ausreise i.d.R. nicht möglich, da das BAMF auf die Überstellung (also Abschiebung) der Asylbewerber:innen in den für das Asylverfahren zuständigen Staat besteht, um so Kontrolle darüber zu haben, ob die Menschen das Bundesgebiet tatsächlich verlassen und sich bei den zuständigen Behörden des anderen Dublin-Staates melden.
Aktuelle Rechtsprechung zeigt: Rechtsweg ist erfolgversprechend!
Die Rechtsauffassung des Flüchtlingsrates haben aktuelle Entscheidungen von drei Sozialgerichten bestätigt:
In einem Eilrechtsbeschluss des SG Landshut vom 18.12.2024 (S 11 AY 19/24 ER) wird erklärt, dass der Leistungsausschluss nach § 1 Abs 4 AsylbLG nicht anwendbar ist, weil es an der Feststellung durch das BAMF fehlt, dass eine „Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist“. Das BAMF hatte nicht festgestellt, dass italienische Behörden den Asylantragsteller übernehmen, weshalb eine Ausreise somit auch nicht möglich ist.
Noch wichtiger ist jedoch, dass sowohl das SG Landshut in der Entscheidung vom 18.12.2024, als auch das SG Nürnberg (in einem richterlichen Hinweis vom 17.12.2024) die Europarechtskonformität des § 1 Abs 4 AsylbLG anzweifeln.
Das SG Osnabrück schließlich hat in einem Eilrechtsbeschluss festgestellt, dass Leistungskürzungen nach § 1a Abs7 AsylbLG nicht mehr vorgenommen werden dürfen, da dieser Passus seit dem 31.10.2024 nicht mehr gültig ist. Überdies weist das SG Osnabrück darauf hin, dass allein schon Kürzungen nach dem nicht mehr gültigen § 1a Abs. 7 AsylbLG europarechtswidrig sein dürften. Dies dürfte für eine komplette Streichung von Leistungen erst recht gelten.
Wichtig ist außerdem folgender der Hinweis des Gerichts: „Nach Rechtsprechung des EuGH muss ein nationales Gericht eine Norm, die es für europarechtswidrig hält und die einer unionsrechtskonformen Auslegung nicht zugänglich ist, unangewendet lassen, ohne dass es verpflichtet ist, zuvor den EuGH um Vorabentscheidung zu ersuchen (EuGH, Urteil vom 19.01.2010, C-555/07 – Kücükdeveci).“ Diese Verpflichtung gilt auch für Behörden! Im Klartext heißt das, Behörden sind bereits jetzt verpflichtet, das europarechtswidrige Gesetz nach § 1 Abs. 4 AsylbLG nicht anzuwenden!
Und letztlich bestätigt auch ein Erlass des Integrationsministeriums in Rheinland-Pfalz die Auffassung, dass der Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG verfassungs-und europarechtswidrig ist. Das Ministerium in Rheinland-Pfalz hat daher verfügt, dass ein „vollständiger Leistungsausschluss zwingend zu vermeiden“ sei (siehe Erlass Integrationsministerium Rheinland-Pfalz vom 05.12.2024)
Bei Leistungskürzungen nach § 1a Abs. 7 AsylbLG:
Der Flüchtlingsrat hat festgestellt, dass Asylbewerber:innen auch nach In-Kraft-treten der Änderungen im AsylbLG noch Leistungskürzungen nach § 1a Abs. 7 AsylbLG erhalten haben. Wie oben erwähnt kommt dieser Passus des Gesetzes nicht mehr zur Anwendung. Alle, die also eine solche Leistungskürzung bekommen oder in der Vergangenheit bekommen haben und auch nach dem 31.10.2024 weiterhin diese Minimalleistungen erhalten, sollten unbedingt Widerspruch bei der Leistungsbehörde und Eilantrag beim zuständigen Sozialgericht gegen diese Leistungskürzungen einlegen und Leistungen gem. §§ 3, 3a AsylbLG beantragen. Sollte der Widerspruch abgelehnt werden, sollte daraufhin Klage ebenfalls beim zuständigen Sozialgericht erhoben werden.
Als Begründung sollte im Widerspruch, Eilantrag und ggf. in der Klage angeführt werden, dass der § 1a Abs. 7 AsylbLG seit dem 31.10.2024 nicht mehr existiert und keine Anwendung mehr findet. Außerdem sollte angeführt werden, dass gem. EU-Recht Kürzungen nur unter den abschließend in Artikel 20 der EU-Aufnahmerichtlinie (EURL 33/2013 ) aufgeführten Voraussetzungen vorgenommen werden dürfen, die i.d.R. nicht vorliegen dürften. Nach Vorlagebeschluss des BSG (8 AY 6/23 R) ist von einer abschließenden Aufzählung der Sanktionstatbestände in Art. 20 Abs. 1 EURL 33/2013 auszugehen.. Zudem dürften jegliche Kürzungen gegen das durch das Grundgesetz garantierte Existenzminimum, das ein menschenwürdiges Leben ermöglichen soll, verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht hatte dies in seinem Urteil vom 18.07.2012 klar geäußert und dabei auch darauf verwiesen, dass die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde „migrationspolitisch nicht zu relativieren“ sei.
Bei Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG:
Uns sind in Niedersachsen bereits Fälle bekannt, in denen Asylbewerber:innen Anhörungsschreiben von der Leistungsbehörde erhalten haben, in denen angekündigt wird, dass eine komplette Streichung der Leistungen gem. § 1 Abs. 4 AsylbLG vorgesehen ist (tatsächliche Leistungsstreichungen sind uns bisher nicht bekannt). Dazu sollte Stellung genommen werden. Als Begründung sollte auch in diesen Fällen angeführt werden, dass einerseits EU-Recht gem. EU-Aufnahmerichtlinie (EURL 33/2013) materielle Leistungen, die „einen angemessenen Lebensstandard […], der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet“ und eine medizinische Versorgung vorsieht. Zudem lägen auch nicht einmal die Voraussetzungen für Kürzungen gem. der EU-Aufnahmerichtlinie vor. Nach Vorlagebeschluss des BSG (8 AY 6/23 R) ist von einer abschließenden Aufzählung der Sanktionstatbestände in Art. 20 Abs. 1 EURL 33/2013 auszugehen.Anderseits garantiert das Grundgesetz ein menschenwürdiges Existenzminimum, das – wie das Bundesverfassungsgesetz in seinem Urteil vom 18.07.2012 festgestellt hatte – „migrationspolitisch nicht zu relativieren“ ist.
„Überbrückungsleistungen sind zeitlich bis zur tatsächlichen Ausreise oder der zwangsweisen Beendigung des Aufenthalts zu gewähren (so bereits zu § 1 Abs. 4 AsylbLG a.F. das bay. LSG, Beschl. vom 22. Juni 2020 – L 19 AY 44/19 B ER). Die Herbeiführung eines polizeirechtlichen Gefahrenzustandes durch eine zeitlich restriktive Auslegung der Überbrückungsleistungen, die die verfassungsrechtlichen Maßgaben verkennt und einen vollständigen Entzug des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 1 GG und damit Obdachlosigkeit, Hunger sowie sonstige Beeinträchtigungen von Leib und Leben zur Folge hätte, ist zu vermeiden.“
Sollte es dann trotzdem zu einer Streichung der Leistungen (und den zuvor für zwei Wochen gewährten „Überbrückungsleistungen“) kommen, sollte sofort Widerspruch bei der Leistungsbehörde gegen die Leistungskürzungen eingelegt werden und gleichzeitig beim zuständigen Sozialgericht Eilantrag auf Zahlung von Leistungen mindestens gem. §§ 3 und 3a AsylbLG gestellt werden. Auch hier gilt: Sollte der Widerspruch abgelehnt werden, sollte daraufhin Klage ebenfalls beim zuständigen Sozialgericht erhoben werden.
Anwält:innen können kostenlose Verfahren beim Sozialgericht führen!
Es gibt einige Anwält:innen, die auf Sozialrecht und v.a. Asylbewerberleistungsgesetz spezialisiert sind. Diese können auch angefragt werden, ob sie Widerspruch einlegen und ein Eilverfahren sowie Klageverfahren beim Sozialgericht führen würden. In der Regel sind mit den Verfahren beim Sozialgericht für die betroffenen Geflüchteten keine Kosten verbunden. Denn das Verfahren kostet beim Gericht keine Gebühren, und Leistungsempfänger:innen erhalten regelmäßig Prozesskostenhilfe, so dass darüber auch die Kosten für eine/einen Anwältin/Anwalt abgedeckt werden.
Eine Liste mit Anwält:innen, die auf das AsylbLG spezialisiert sind, findet sich auf der Webseite www.zusammenland.de hier: https://zusammenland.de/wp-content/uploads/2022/12/Anwaltsliste-21122022.pdf
Der Flüchtlingsrat kann ggf. ebenfalls auf Anwält:innen hinweisen und steht für weitere Beratung zur Verfügung.
Widerspruch, Eilantrag und Klage haben keinen Einfluss auf das Asylverfahren!
Oftmals haben Geflüchtete bedenken, sich gegen Leistungsbescheide auf dem Rechtsweg zu wehren, weil sie befürchten, dass dies negativen Einfluss auf ihr Asylverfahren haben könnte. Es ist uns daher wichtig, darauf hinzuweisen, dass das BAMF ausschließlich mit dem Asylantrag befasst ist und keine Entscheidungen über die Sozialleistungen trifft. Insofern haben rechtliche Auseinandersetzungen mit den Leistungsbehörde (Landesaufnahmebehörde oder kommunales Sozialamt) um die zustehenden Leistungen keinen Einfluss auf das Asylverfahren.
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...