Rassismus und Willkür? Flüchtlingsrat kritisiert Landkreis Leer

Der Landkreis Leer weigert sich, insbesondere westafrikanischen Geflüchteten Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen – lieber will er diese abschieben. Der Flüchtlingsrat und der Verein Afrikanische Diaspora Ostfriesland kritisieren den Landkreis scharf und vermuten als Hintergrund Rassismus.

Der Landkreis Leer will Geflüchtete abschieben, anstatt ihnen – wie vom Gesetz vorgesehen – den Übergang vom Chancen-Aufenthaltsrecht in ein dauerhaftes Bleiberecht zu ermöglichen. Die betroffenen Personen haben ihre Pässe vorgelegt, arbeiten, haben ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung abgegeben, die erforderlichen Sprachkenntnisse nachgewiesen und sogar den Einbürgerungstest bestanden. Kurzum: Sie haben alles getan, was unsere Gesellschaft von ihnen verlangt. Obwohl sie damit alle Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG erfüllen, lehnt der Landkreis nicht nur überraschend deren Erteilung ab, sondern leitet in Einzelfällen auch Abschiebungen ein, ohne den Betroffenen eine Härtefallentscheidung zu ermöglichen.

Muzaffer Öztürkyilmaz, Flüchtlingsrat Niedersachsen

„Der Landkreis tritt die Integrationsbemühungen der Betroffenen mit Füßen,  anstatt diese zu honorieren und ihnen Weg aus dem Chancen-Aufenthaltsrecht in ein dauerhaftes Bleiberecht zu ebnen. Scheinbar wittert der Landkreis die Möglichkeit, die Abschiebungszahlen unkompliziert zu erhöhen, da die Betroffenen mitgespielt und ihre Pässe vorgelegt haben. Wir fordern den Landkreis auf, seine willkürliche und schikanöse Praxis zu beenden und den Betroffenen das Aufenthaltsrecht zu erteilen, das ihnen rechtmäßig zusteht!“

Der Landkreis hat in sämtlichen, dem Flüchtlingsrat vorliegenden, elf Verfahren, zehn davon von Menschen aus Westafrika, im Rahmen einer Befragung „geprüft“, ob diese das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung „tatsächlich“ verstanden haben. Während die selbstständige Sicherung des Lebensunterhalts, der Nachweis der Sprachkenntnisse und des bestandenen Einbürgerungstest schwarz auf weiß von den Betroffenen nachgewiesen und dementsprechend vom Landkreis nicht angezweifelt werden können, waren bei diesen „Prüfungen“ ausschließlich Mitarbeiter*innen der Ausländerbehörde und die jeweils betroffene Person anwesend. Werden die ersten Fragen korrekt beantwortet, werden immer anspruchsvollere Fragen, etwa nach den fünf Wahlgrundsätzen, gefragt.

Nun behauptet der Landkreis, dass sämtliche elf uns bekannte betroffene Personen das Bekenntnis nicht verstanden hätten – obwohl diese sowohl Sprachkenntnisse nachgewiesen als auch den Einbürgerungstest bestanden haben. Anstatt den Betroffenen zu erklären, worum es geht, oder ihnen doch zumindest Zeit einzuräumen, um dieses Verständnis nachzuweisen, kommt der Landkreis Leer zu dem Schluss, dass die Bedingungen für ein Aufenthaltsrecht nicht erfüllt seien.

Ali Kone, Vorsitzender des Vereins Afrikanische Diaspora Ostfriesland e.V.

„Es scheint, als habe es sich der Landkreis zum Ziel gesetzt, den Übergang von Menschen aus Afrika in ein dauerhaftes Bleiberecht zu verhindern, um sie abschieben zu können. Dabei schreckt der Landkreis auch nicht davor zurück, haltlose Gründe zu erfinden. Es ist auffällig und bezeichnend, dass nicht eine einzige betroffene Person das Bekenntnis verstanden haben soll. Für uns drängt sich der Eindruck auf, dass Rassismus, insbesondere gegen schwarze Menschen, die Praxis des Landkreises maßgeblich beeinflusst.“

Absurd ist die Argumentation des Landkreises auch vor dem Hintergrund, dass alle Betroffenen in der Vergangenheit im Besitz des Chancen-Aufenthaltsrechts waren, dessen Erteilung ebenfalls ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung voraussetzt. „Zweifel“ an den Bekenntnissen kamen dem Landkreis allerdings erst viele Monate später – nämlich nachdem die betroffenen Personen (endlich) alle Voraussetzungen für den Erhalt eines dauerhaftes Bleiberechts durch intensive Bemühungen erfüllt hatten.

Dabei widerspricht das Vorgehen des Landkreises ohnehin den Niedersächsischen Anwendungshinweisen zu § 25b AufenthG. Zwar dürfen die Ausländerbehörde nach den neuen Anwendungshinweisen zu § 25b AufenthG eine „persönliche Befragung durchführen, um bestehende Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Bekenntnisses auszuschließen oder bestätigen zu können.“ Allerdings dürfen diese Befragungen bspw. nur dann durchgeführt werden, wenn die Antragsteller*innen „in der Vergangenheit in Gesprächen mehrfach durch verfassungsfeindliche Äußerungen aufgefallen“ sind. Geprüft werden darf also allenfalls die „Verfassungstreue“, nicht aber die Kenntnis der Rechts- und Gesellschaftsordnung – denn hierfür gibt es den sog. Test „Leben in Deutschland“, den die betroffenen Personen allesamt bestanden haben.

Der Landkreis schweigt sich jedoch dazu aus, aufgrund welcher Tatsachen er die Bekenntnisse der Betroffenen anzweifelt. Auch muss die „Befragung“ das Sprachniveau der betroffenen Personen berücksichtigen, was der Landkreis ebenfalls nicht getan hat. Überdies fehlen von den Betroffenen selbst unterschriebene Protokolle zu diesen Befragungen, sodass fraglich ist, ob die in den Ablehnungsbescheiden wiedergegebenen Fragmente über die Befragungen überhaupt den Tatsachen entsprechen.

Besonders empörend ist es aus Sicht der Organisationen, dass der Landkreis den betroffenen Personen die Arbeitserlaubnis entzogen hat und in den anhängigen Klageverfahren nun argumentiert, dass diese die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG nicht mehr erfüllen würden, da sie keine Arbeit haben und auf Sozialleistungen angewiesen sind.

Die Neue Osnabrücker Zeitung hat bereits über die Angelegenheit – unter dem Titel „Wie heißt die deutsche Verfassung? „Anna Lena“ – wenn Ausländer an der Grundordnung scheitern“ berichtet. Leider wird in diesem Beitrag nicht deutlich, worin das eigentliche Problem liegt: Der Landkreis maßt es sich an, Fragen zu stellen, die er nicht stellen darf, weil es hierfür keine Rechtsgrundlage gibt. Sowohl die Fragen als auch die Bewertung des Testes durch die Sachbearbeiter*innen beruhen einzig auf Willkür der Ausländerbehörde – das lässt sich nur als schikanös bewerten und  macht den Landkreis Leer einzigartig in Deutschland.

Kontakt
Flüchtlingsrat Niedersachsen
Muzaffer Öztürkyilmaz
0511 98246038
moy@nds-fluerat.org; nds@nds-fluerat.org

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