Gut integriert reicht nicht

Hannover. Wenn Edmond Gashi vom Kosovo hört, dann tut sich in seinen Gedanken große Leere auf. Mit dem Land verbinde er nichts, sagt der 21-Jährige. Er war noch nie im Kosovo, spricht die Sprache nicht, kennt dort niemanden. In Uslar im Solling ist er geboren. Familie, Freunde und Arbeit hat Gashi im  Süden Niedersachsens. „Ich seh? Deutschland als meine Heimat an“, sagt er.

Für die Ausländerbehörde ist das kein hinreichender Grund, den jungen Roma hierbleiben zu lassen. Sie will ihn in den Kosovo abschieben – obwohl viele, die ihn kennen, sagen, er sei ein „Vorbild in Sachen Integration“. Am 23. März standen vier Polizisten mit einem Abschiebebescheid vor der Haustür der Gashis in Kreiensen. Edmond Gashi haben sie nicht angetroffen. Er ist untergetaucht.

„Edmond Gashi hat sich so korrekt verhalten, wie es sich viele von Ausländern wünschen“, sagt sein Anwalt Dietrich Wollschlaeger: „Er spricht gut deutsch, seine Freunde sind Deutsche, er ist nie straffällig geworden, hat beim VfL Uslar Fußball gespielt.“ „Am liebsten steh? ich im Tor“, sagt Gashi. Bälle abfangen.

Wichtiger aber als der Sport ist dem jungen Mann seine finanzielle Unabhängigkeit: „Ich will keinem auf der Tasche liegen.“ Drei Jahre lang, seit seinem 18. Lebensjahr, hat er beim Kunststoffverarbeiter Synco als Produktionshelfer gearbeitet. Mit den 1400 Euro, die er im Monat verdiente, hat er auch seine Eltern unterstützt – „damit sie nicht Sozialhilfe beziehen müssen“, sagt Gashi.

Dass er von seinem selbst verdienten Geld lebt, ist für die Ausländerbehörde kein Grund zum Einlenken. „Sie wirft Gashi vor, dass er keinen Schulabschluss hat“, sagt sein Anwalt Wollschlaeger. „Dabei zeigt doch sein Arbeitseinsatz, dass er seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten will.“ Im Herbst vergangenen Jahres hat die Ausländerbehörde Gashi seine Arbeitserlaubnis entzogen, weil er keinen gültigen Pass vorlegen konnte. Wollschlaeger spricht von einer „bewussten Blockierung der wirtschaftlichen  Integration“ Gashis. Die Northeimer Ausländerbehörde will sich zu dem Fall nicht äußern – „aus Gründen des Datenschutzes“, heißt es. Edmond Gashi hat auch ohne amtliche Erlaubnis in den vergangenen Monaten gearbeitet. „Ich möchte unabhängig sein“, sagt er. Sein früherer Arbeitgeber würde ihn gern weiterbeschäftigen: „Herr Gashi war ein wirklich zuverlässiger, hilfsbereiter Mitarbeiter“, sagt Synco-Geschäftsführerin Gabriele Mertz. Er könne jederzeit zurück in den Betrieb. Unterstützung erhält Gashi auch vom Kirchenkreis Göttingen. „Dem jungen Mann scheint grobes Unrecht angetan zu werden“, sagt Peter Lahmann vom Verein Asyl in der Kirche. Der Verein prüft nun, ob Gashi Kirchenasyl erhalten kann. Darauf hofft Gashi. Und fragt: „Kosovo – was hab? ich da verloren?“

Kommentar Seite 2. 29.04.2011 / HAZ Seite 1 Ressort: POLITIK

Deutscher Alltag

Edmond Gashi ist hier geboren, Deutsch ist seine Muttersprache, er hat einen Vollzeitarbeitsplatz, und er zahlt Steuern. Es gibt wenig im Lebenslauf des 21-Jährigen, das ihn von Altersgenossen mit deutschem Pass unterscheidet. Dennoch soll Gashi in den Kosovo abgeschoben werden – in ein Land, das ihm genauso fremd ist wie seinen deutschen Freunden. Er hat keinen Schulabschluss. Das deutsche Aufenthaltsgesetz ist reich an strengen Formeln. Eine davon besagt: Ein fehlender Schulabschluss legt eine „Negativprognose“ für den weiteren Lebensweg des Geduldeten nahe. Zu Deutsch: Aus dem wird nichts mehr.

Eine Abschiebung aber folgt daraus nicht zwangsläufig. Abschiebungen sind keine Automatismen und dürfen es auch nicht sein. Zwischen den Zeilen des eng bedruckten deutschen Aufenthaltsgesetzes bleibt Ermessensraum für die Behörden, um den Einzelfall zu prüfen. Der Fall von Edmond Gashi zeigt einmal mehr, wie wichtig der genaue Blick in den deutschen Alltag vieler Antragsteller ist. Und wie wenig ihm die Behörden mit standardisiertem Vorgehen gerecht werden können. Die allenthalben geforderte Integration von Menschen mit Migrationshintergrund – Gashi lebt sie beispielhaft vor.

Doch anstatt den Einsatz von Menschen wie Gashi wahrzunehmen, wird in niedersächsischen Amtsstuben zunehmend die von Innenminister Uwe Schünemann proklamierte harte Linie gegenüber Migranten umgesetzt. Das zeigt die steigende Zahl von Abschiebungen. Derweil helfen die Nützlichkeitskriterien des Ministers, nach denen über die Duldung oder Abschiebung von Flüchtlingen entschieden wird, oft nicht weiter: Danach kriegt Gashi wegen eines fehlenden Schulabschlusses Punktabzug – während sein Arbeitgeber ihn in höchsten Tönen lobt.

Marina Kormbaki 29.04.2011 / HAZ Seite 2 Ressort: POLI

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