Kein Schutz für Genozid Überlebende: Flüchtlingsrat kritisiert Wiederaufnahme von Abschiebungen in den Irak scharf

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert die Entscheidung des niedersächsischen Innenministeriums, Abschiebungen in den Irak ab sofort und ohne Einschränkungen wieder aufzunehmen (siehe Erlass vom 10.04.2024). Nach Ansicht des Flüchtlingsrat ist im Irak – im Hinblick auf die Menschenrechte, die Wirtschaft und andere Gesellschaftsbereiche – keine Entwicklung erkennbar, die eine Aufhebung der bisherigen Erlasslage, die lediglich die Abschiebung von Straftäter:innen und Gefährder:innen vorsah, rechtfertigen würde. Auch irakische Êzîd*innen, die den Genozid durch den IS überlebt haben, droht nun die Abschiebung.

Nach Auffassung des Flüchtlingsrats ist die Entscheidung der Landesregierung, Abschiebungen in den Irak uneingeschränkt zuzulassen, nicht durch Fakten geleitet. Neben dem selbst geschaffenen politischen Druck, die Abschiebungszahlen womöglich um jeden Preis zu erhöhen, dürfte die Änderung der Erlasslage auch „dem beispiellosen Wandel in der irakischen Rückkehr- und Rücknahmepolitik“ geschuldet sein, in dessen Rahmen sich die Regierung des Irak verpflichtet habe, „alle Rückführungen zu akzeptieren“, wie die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf die EU-Kommission berichtet

Die Lage im Irak ist für zurückkehrende Geflüchtete weiterhin gefährlich. Insbesondere für Êzid:innen ist eine Rückkehr in den Irak unzumutbar.

Noch am 17. Januar 2023 hat der Deutsche Bundestag auf Antrag von SPD, CDU/CSU, Grünen und der FDP einstimmig beschlossen, die Verbrechen gegen Êzîd*innen im Irak durch den IS als Genozid anzuerkennen. „Ihre sichere Rückkehr [ist] aufgrund der hoch volatilen Sicherheitslage, die noch immer in Sinjar vorherrscht, kaum möglich […].“ Deshalb wolle die Bundesregierung ihnen „[…] weiterhin unter Berücksichtigung ihrer nach wie vor andauernden Verfolgung und Diskriminierung im Rahmen des Asylverfahrens Schutz […] gewähren […]“

Dieses Schutzversprechen wird mit der Aufhebung aller Abschiebungsbeschränkungen in den Irak mit Füßen getreten. Ein erheblicher Teil der irakischen Êzîd:innen ist in Deutschland lediglich geduldet und von einer Abschiebung bedroht. Weniger als die Hälfte der Êzîd:innen aus dem Irak erhalten vom BAMF noch einen Schutzstatus, und fast 1500 in Deutschland als Geflüchtete anerkannten Êzîd:innen wurde der Schutzstatus widerrufen. Nach Auffassung des Flüchtlingsrat konterkariert diese Politik den Beschluss des Bundestages.  Dass sich die Sicherheitslage für Ezid:innen bis heute nicht verbessert hat, dokumentiert auch ein Offener Brief von Christiane Maurer vom 05. Februar 2024 an das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt.

Kontakt:

Flüchtlingsrat Niedersachsen
Muzaffer Öztürkyilmaz
0511 98 24 60 38
moy@nds-fluerat.org; nds@nds-fluerat.org

Hintergrund:

Mit Erlass vom 23.09.2020 hatte das Innenministerium Abschiebungen in den Irak nur für Straftäter und nach Einzelfallprüfung zugelassen. Dem Erlass zufolge durften niedersächsische Ausländerbehörden bislang allenfalls Straftäter:innen und Gefährder:innen in den Irak abschieben, wobei sie sich Abschiebungen auch in diesen Fällen von der Innenministerin genehmigen lassen mussten.

Nunmehr ist es den Ausländerbehörden (wieder) „generell“ erlaubt, Iraker:innen, die lediglich geduldet und damit prinzipiell ausreisepflichtig sind, in den Irak abzuschieben. Auch die Genehmigungspflicht der Abschiebungen durch die Innenministerin wurde abgeschafft. Zwar soll eine  „Priorisierung der Aufenthaltsbeendigung von Straftätern und Gefährdern […] aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung weiterhin vorgenommen werden“, allerdings macht die Aufhebung des „eingeschränkten Abschiebungsstopp“ deutlich: Ab sofort sind grundsätzlich alle irakischen Staatsangehörigen, die lediglich geduldet sind, prinzipiell von einer Abschiebung bedroht.

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