Heute am 18. Dezember treffen sich die Mitgliedstaaten, das Europaparlament und die Kommission zu den wahrscheinlich letzten politischen Verhandlungen zur EU-Asylrechtsreform. Nach aktuellem Stand ist mit einer Einigung am 19. Dezember zu rechnen. Dabei sind menschenrechtlich höchst relevante Regelungen noch offen – die Einigung hierüber könnte unter dem hohen Verhandlungsdruck übers Knie gebrochen werden. Es droht, dass Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Flüchtlingsschutz langfristig untergraben werden.
„Dies sind entscheidende Stunden in Europa – nicht nur für den Schutz von verfolgten Menschen, sondern auch für die Bedeutung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit insgesamt in der Europäischen Union“, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL. „Noch können Kinder hinter Stacheldraht, Abschiebungen in unsichere Drittstaaten und quasi rechtsfreie Räume an den Außengrenzen verhindert werden, wenn das EU-Parlament stark bleibt und auch die Bundesregierung ihren Einfluss endlich positiv für die Menschenrechte nutzt“.
Die Verhandlungen über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) sind in ihrer entscheidendsten Phase. Doch was aus den Gesprächen bekannt ist, sind verschiedene menschenrechtlich höchst relevante Aspekte noch nicht geeint. Hierzu gehören unter anderem die Fragen:
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Was für Deals können EU-Staaten zukünftig eingehen, um eigentlich in der EU schutzberechtigte Flüchtlinge in außereuropäische Staaten abzuschieben und um sich so selbst aus dem Flüchtlingsschutz zurückzuziehen? Welche Standards müssen für solche „sicheren Drittstaaten“ gelten und wie stark muss die Verbindung zwischen Flüchtling und jeweiligem Drittstaat für eine Abschiebung sein?
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Kommen Kinder mit ihren Familien in die geplanten neuen Grenzverfahren, obwohl sie damit absehbar inhaftiert werden und dies nicht kinderrechtskonform wäre? Werden hiervon selbst Kleinkinder betroffen sein oder wird es eine – aus Kinderrechtssicht absurde – Altersgrenze von sechs oder zwölf Jahren geben?
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Kann im Fall einer angeblichen „Instrumentalisierung von Migrant*innen“ das eigentlich geltende Recht so ausgehebelt werden, dass rechtswidrige Pushbacks zunehmen und alle diejenigen, die es überhaupt noch schaffen, einen Asylantrag zu stellen, in massiv ausgeweitete Asylgrenzverfahren kommen würden?
„Kinder, Frauen und Männer hinter Gittern – nur weil sie in Europa Schutz suchen? Das darf nicht die Zukunft des Flüchtlingsschutzes werden!“, mahnt Judith. „Besonders gefährlich ist zudem die von den Mitgliedstaaten gewollte Ausweitung des Konzepts von sogenannten sicheren Drittstaaten. Ganz offensichtlich bereiten sich einige Mitgliedstaaten darauf vor, sich über Deals mit autokratischen Regierungen der Flüchtlinge zu entledigen. Das untergräbt den weltweiten Flüchtlingsschutz und verletzt – wie schon heute bei solchen Deals der Fall – in der Praxis Menschenrechte und gefährdet die Rechtsstaatlichkeit. Solchen Versuchen der Auslagerung des Flüchtlingsschutzes muss bei den Verhandlungen der Riegel vorgeschoben werden“, fordert Judith.
Weitergehende Informationen
Die GEAS-Reform soll dem Willen der spanischen Ratspräsidentschaft nach noch in diesem Jahr zwischen den Ko-Gesetzgebern politisch geeint werden. Die technischen Trilog-Verhandlungen laufen absehbar noch bis Anfang Februar, im Anschluss müssen Rat und EU-Parlament der Reform formal zustimmen. Insbesondere die Positionsfindung zwischen den Mitgliedstaaten im Rat hat in diesem Jahr große mediale Aufmerksamkeit bekommen.
Im Oktober einigten sich die Mitgliedstaaten auf ihre Position zur letzten Verordnung, der sogenannten Krisenverordnung. In diese nahmen die Mitgliedstaaten besonders scharfe Vorschläge im Fall einer Instrumentalisierung auf. PRO ASYL erläutert hier die Vorschläge. Vorab gab es breite zivilgesellschaftliche Appelle an die Bundesregierung, einer solch toxischen Verordnung nicht zuzustimmen. Der Appell „Nein zur ‚Instrumentalisierung‘ durch die Hintertür – Das Recht an den EU-Außengrenzen einhalten, nicht verbiegen“ an die Bundesregierung vom 4. Juli 2023 wurde von 55 deutschen Bundes- und Landesorganisationen unterschrieben.
Zuvor hatten sich die Mitgliedstaaten am 8. Juni 2023 auf ihre Verhandlungspositionen zu den meisten Verordnungen geeinigt, auch mit der Stimme der Bundesregierung – u.a. für ein neues Screening an den Außengrenzen, schärfere Asylgrenzverfahren und neue Bestimmungen für die Zuständigkeiten im Asylverfahren sowie schwache Regeln zur Solidarität. PRO ASYL analysierte hier die Einigung. Im Vorfeld der Einigung richteten über 50 deutsche Bundes- und Landesorganisationen den Appell „Keine Kompromisse auf Kosten des Flüchtlingsschutzes“ an die Bundesregierung.
Das Europarlament hatte bereits im April 2023 seine Verhandlungspositionen beschlossen, die in vielen Bereichen stärkere Rechtsgarantien für nach Europa fliehende Menschen vorsehen. Deswegen übergab PRO ASYL am 13. Dezember 2023 im EU-Parlament die Petition „Nein zu einem Europa der Haftlager für Flüchtlinge!“ mit über 40.000 Unterschriften an Birgit Sippel als Mitverhandlerin des Europaparlaments (Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament), um das Parlament aufzufordern, diese Positionen in den Verhandlungen stark zu vertreten.
In der Sachverständigenanhörung im Bundestag zur europäischen Flüchtlingspolitik hat Wiebke Judith als rechtspolitische Sprecherin für PRO ASYL im März 2023 auf die Gefahren der Reform hingewiesen.
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