PRO ASYL fordert die Bundesregierung auf, die Grundrechte zu schützen
PRO ASYL kritisiert die Pläne des Bundesinnenministerium für schärfere Regeln bei Abschiebungen scharf und fordert Innenministerin Nancy Faeser dazu auf, sich in der Migrationspolitik von populistischen Forderungen fern zu halten und den Rechtsstaat zu stärken.
„Abschiebungen werden immer als ein wichtiger Teil eines funktionierenden Rechtsstaats dargestellt. Dabei passieren bei Abschiebungen überdurchschnittlich viele Rechtsverletzungen. Darüber sollten wir sprechen. Nicht darüber, wie man die Rechtsverletzungen ausweiten kann“, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.
Das Bundesinnenministerium hat einen Diskussionsentwurf zu Regelverschärfungen beim Thema Abschiebungen vorgelegt. Es reagiert damit auf die vergangenen Flüchtlingsgipfel und die Forderungen der Länder.
Unhaltbar: Verlängerung des Ausreisegewahrsams
In dem Diskussionsentwurf finden sich massive Verschärfungen zur Abschiebungshaft und zum Ausreisegewahrsam. Doch schon jetzt sind 50 Prozent der Abschiebungshaft-Fälle nachweislich und gerichtlich festgestellt rechtswidrig. Auch gegen den Ausreisegewahrsam an sich bestehen schon seit ihrer Einführung im Jahre 2015 verfassungs- und europarechtliche Bedenken (siehe auch das EuGH-Urteil vom 30. Juni 2022, Rechtssache C‑72/22 PPU, Verfahren M. A.). „Denn hier werden Menschen eingesperrt, die keine Straftat begangen haben. Und dieser Zustand soll nun noch von zehn auf 28 Tage verlängert werden. Das ist unhaltbar“, sagt Tareq Alaows.
Auch Faesers Verstoß, dass Einreise- und Aufenthaltsverbote als eigenständiger Haftgrund definiert werden sollen und zudem eine Haftstrafe möglich sein soll, wenn Schutzsuchende im Asylverfahren keine, falsche oder unvollständige Angaben zu ihrer Identität machen, ist sehr problematisch. Er widerspricht völlig dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Abschiebehaft (Artikel 15 Absatz 1 Satz 2 der Rückführungsrichtlinie) und stellt einen massiven Grundrechteeingriff für die Betroffenen dar.
Gegen erweiterte Durchsuchungen bei Abschiebungen
Rechtlich bedenklich ist auch das Vorhaben, wonach die mit der Abschiebung beauftragten Beamten bei Abschiebungen in Wohnheimen auch Räume von Menschen betreten dürfen, die nicht abschoben werden sollen. So soll das ohnehin grundrechtlich äußerst fragwürdige Konstrukt einer Durchsuchung ohne Durchsuchungsbeschluss zum Zwecke der Abschiebung, eingeführt im Jahr 2019, sogar noch auf Nebenräume ausgedehnt werden. „Das ist ein klarer Verstoß gegen Artikel 13 des Grundgesetzes. Und es ist unzumutbar für die Menschen in den Wohnheimen“, so Alaows.
Denn es bedeutet: Wenn eine Abschiebung aus der Gemeinschaftsunterkunft nachts um 3 Uhr überraschend vollzogen wird, sollen alle Bewohnerinnen und Bewohner damit rechnen müssen, aus dem Schlaf gerissen zu werden. Und das immer wieder.
Begründet werden die geplanten Verschärfungen mit einem vermeintlichen Abschiebedefizit ausreisepflichtiger Ausländer*innen, das wiederum zur Belastung von Kommunen bei der Unterbringung führen soll. „Die Rede von einem vermeintlichen Abschiebedefizit ignoriert nicht nur die Fakten, sondern bedient sich auch im Wording ganz rechts außen“; sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.
Fakten anstelle von Stimmungen
Zwar standen Ende 2022 mehr als 300.000 Ausreisepflichtige im Ausländerzentralregister, doch es ist davon auszugehen, dass rund 55.000 von ihnen gar nicht mehr in Deutschland sind, da Ausreisen nicht erfasst werden. Somit bleiben rund 250.00 Ausreisepflichtige (Ende 2022), von denen ein Großteil aus humanitären, gesundheitlichen oder familiären Gründen geduldet ist, die Abschiebung ist also ausgesetzt, zum Beispiel viele Menschen aus Afghanistan. (Zahlen siehe unten)
Zudem leben 136.000 Geduldete – also mehr als die Hälfte – bereits länger als fünf Jahre in Deutschland: Sie kommen also für das Chancenaufenthaltsrecht in Frage. „Das heißt: Eine großzügige Anwendung des Chancen-Aufenthaltsrechts verringert die Zahl der Ausreisepflichtigen“, so Tareq Alaows. Nach jüngsten Pressemeldungen ist die Zahl der Ausreisepflichtigen gesunken – auch das könnte eine Ergebnis des Chancen-Aufenthaltsrechts sein.
PRO ASYL fordert die Bundesinnenministerin sowie die gesamte Ampel-Koalition auf, ihre ganze Energie darauf zu verwenden, die Vorhaben des Koalitionsvertrags zu Bleiberecht, Familiennachzug und Identitätsklärung umzusetzen, statt sich an der flüchtlingsfeindlichen Stimmung von rechts außen zu orientieren und diese auch noch in verfassungs- und europarechtlich höchst bedenkliche Gesetze gießen zu wollen.
Zum Hintergrund:
Fahrlässig ist auch, dass mit solchen Vorschlägen immer wieder der Eindruck erweckt wird, dass Hundertausende von Schutzsuchenden abgeschoben werden müssten und dass Ihnen in ihren Herkunftsländern keine Gefahr drohe. Doch Ende 2022 befanden sich unter den rund 250.000 Geduldeten, die rein rechtlich Deutschland verlassen müssten, 32.000 Menschen aus dem Irak, 21.000 aus Afghanistan, 16.000 aus Nigeria, 14.000 aus der Russischen Föderation und 11.000 aus dem Iran. Allein der Blick auf die Top 5 der Herkunftsländer der Geduldeten und auf die Größenordnung der Zahlen belegt also die Unredlichkeit der Debatten um Ausreisepflichtige und zu wenige Abschiebungen. Ebenso die Tatsache, dass 136.000 Geduldete – also mehr als die Hälfte – bereits länger als fünf Jahre in Deutschland leben.
Diskussionspapier des BMI hier:
Diskussionsentwurf Gesetz Verbesserung Rückführung
siehe auch:
Harsche Kritik an Faesers Abschiebungsplänen
NDR, 9.8. – Audio, + Statement RA Fahlbusch,
… alles gut geschrieben – ich wünsche Euch, dass Ihr das noch stärker in die Presse bringen könnt (insbesondere den letzten Absatz),
denn die Presse trägt ja sehr zur Meinungsbildung bei!
Viel Erfolg wünscht Euch weiterhin
Helga aus Celle
Ich finde es empörend, daß die SPD und die FDP sich vor den Karren der CDU/ CSU und der AFD spannen lässt..
Denn aus diese Richtung kommt es doch.