Flüchtlingsrat protestiert gegen Abschiebung eines Palästinensers nach Griechenland

Die Region Hannover will einen Palästinenser nach Griechenland abschieben und erhält dabei Rückendeckung vom Innenministerium – obwohl ein Grundsatzurteil des OVG Niedersachsen dies verbietet. Der Geflüchtete hatte die Klagefrist gegen den BAMF-Bescheid versäumt, weil dieser ihn nach einem Umzug nicht erreicht hat. „Pech gehabt“, meinen die Behörden und das Gericht. Der Flüchtlingsrat kritisiert den Vorgang scharf und fordert von der Landesregierung, das Urteil des OVG umzusetzen und den Ausländerbehörden die Abschiebung von Geflüchteten mit einem Schutzstatus nach Griechenland zu untersagen. 

Im Mai 2022 verpflichtete die Landesaufnahmebehörde den Palästinenser, der in Griechenland als Schutzberechtigter anerkannt ist, zum 01. Juni 2022 in die Sammelunterkunft A in der Stadt Burgwedel (Region Hannover) umzuziehen, was dieser auch tat. Obwohl das BAMF wusste, dass der Geflüchtete von der Landesaufnahmebehörde verpflichtet wurde, seinen Wohnsitz ab Juni in der Unterkunft A zu nehmen, stellte es den Bescheid, mit dem der Asylantrag des Mannes abgelehnt wurde, Ende Juni 2022 an seine alte Adresse, die Erstaufnahmeeinrichtung in Bad Fallingbostel, zu. Erst Ende September 2022, als der Betroffene in der Ausländerbehörde der Region Hannover einen Termin zur Verlängerung seines Aufenthaltsdokuments wahrnahm, erfuhr er von der Ablehnung seines Asylantrages – und war geschockt.

Die Behörden und das Verwaltungsgericht Hannover räumen zwar ein, dass dem BAMF bekannt war, dass der Palästinenser von der Landesaufnahmebehörde zum Umzug in die Sammelunterkunft A verpflichtet wurde. Allerdings meinen sie, dass dies nicht den sicheren Schluss zulasse, dass der Geflüchtete auch tatsächlich umgezogen ist. Entsprechend der Rechtslage existiere auch keine Verpflichtung des BAMF, die neue Adresse des Betroffenen zu ermitteln. Vielmehr sei der Betroffene verpflichtet, jede Adressänderung dem BAMF unverzüglich anzuzeigen. Da er dies unterlassen hat, sei die Zustellung des Bescheides an die alte Anschrift auch nicht zu bestanden. Die Region Hannover hat bereits versucht, den Geflüchteten nach Griechenland abzuschieben. Dort besteht nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsen bei einer Rückkehr für Personen wie ihn jedoch generell die ernsthafte Gefahr, seine elementarsten Bedürfnisse (Bett, Brot, Seife) nicht decken zu können.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert den Vorgang scharf. Aus Sicht der Organisation hat sich in Anbetracht der widersprüchlichen Informationen zu der Anschrift des Palästinensers – trotz der Rechtslage – eine Adressermittlung durch das BAMF geradezu aufgedrängt. Das Verhalten des BAMF verstärke den Eindruck der Organisation, die Behörde instrumentalisiere die Zustellungsvorschriften gezielt, um Klagen gegen die Ablehnung von Asylanträgen zu verhindern. Verschärfend komme hinzu, dass die Ablehnung des Asylantrags durch das BAMF im diametralen Widerspruch zur Rechtsprechung des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts stehe.

Muzaffer Öztürkyilmaz, Geschäftsführung, Flüchtlingsrat Niedersachsen

Die Kälte aller beteiligten Institutionen erschreckt uns. Dem Betroffenen wird mit formaljuristischen Argumenten verwehrt, die Ablehnung seines Asylantrags gerichtlich überprüfen zu lassen. Damit wird ihm zugleich sein Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz genommen. Erschreckend ist dies insbesondere auch, weil alle Beteiligten wissen, dass den Geflüchteten in Griechenland ein Leben auf der Straße in bitterstem Elend erwartet. Die Landesregierung muss endlich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts umsetzen und einen Erlass verabschieden, der es den Ausländerbehörden untersagt, Geflüchtete mit einem Schutzstatus nach Griechenland abzuschieben – wie sie dies in der Vergangenheit bereits in Bezug auf Bulgarien getan hat.“

Zudem ist es nach Auffassung des Flüchtlingsrats dringend erforderlich, die Zustellungsvorschriften im Asylverfahren grundlegend zu ändern. Denn der Fall des Palästinensers sei keine Ausnahme – wie die Geschichte von Fayola Abubakar aus dem Landkreis Northeim zeige. So sei es unvertretbar, allein Geflüchteten die Verantwortung für die Adressmitteilung aufzubürden und die Behörden vollends aus der Pflicht zu nehmen. Daher wiederholt die NGO ihre Forderung, eine Adressermittlungspflicht des BAMF einzuführen. Darüber hinaus verlangt die Organisation, eine Verpflichtung der Landesaufnahme- bzw. Ausländerbehörden, jede ihnen bekannte Adressänderung dem BAMF von Amts wegen mitzuteilen. Nur so lasse sich gewährleiste, dass Missstände wie die im Fall des Palästinensers künftig vermieden werden.

Kontakt

Flüchtlingsrat Niedersachsen
Muzaffer Öztürkyilmaz, Geschäftsführung
0511 – 98 24 60 38
moy(at)nds-fluerat.org, nds(at)nds-fluerat.org

Hintergrund

taz, vom 02.02.2022, „Bescheid unzustellbar. Abschiebung aus dem Nichts.“

Flüchtlingsrat Niedersachsen, Pressemitteilung vom 21.02.2023, „Immer mehr Bescheide erreichen Geflüchtete nicht“

Oberverwaltungsgericht Niedersachsen, Urt. v. 19.04.2021, Az.: 10 LB 244/20

Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums „Abschiebungsvollzung von anerkannten Schutzberechtigten nach Bulgarien“ vom 05.09.2018

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1 Gedanke zu „Flüchtlingsrat protestiert gegen Abschiebung eines Palästinensers nach Griechenland“

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