Flüchtlingsrat kritisiert Verlogenheit der asylpolitischen Diskussion

Forderung nach Bleiberecht statt Abschiebungen

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen beklagt, dass die asylpolitische Diskussion in Deutschland verlogen geführt wird: „Wer Solidarität mit der Ukraine fordert und den aus der Ukraine geflüchteten Menschen Schutz gewähren will, muss auch die Konsequenzen akzeptieren“, so Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen. „Diese Konsequenz bedeutet, dass wir gegenwärtig alle Kräfte bündeln müssen, um für menschenwürdige Aufnahmebedingungen zu sorgen und neue Wohnungen zu bauen.“

Aktuell stellt sich die Lage nach Wahrnehmung des Flüchtlingsrats Niedersachsen in den Kommunen unterschiedlich dar: Während in einigen Kommunen Notlager aufgebaut und Turnhallen akquiriert werden, ist die Lage in anderen Landkreisen noch vergleichsweise entspannt. Zum Problem wird die Unterbringung v.a. dort, wo die Betroffenen wenig Möglichkeiten haben, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, eine Arbeit zu finden oder selbst eine Wohnung zu suchen (z.B. auf Borkum).

In einigen Kommunen stehen Wohneinrichtungen für Geflüchtete aus der Ukraine leer, weil Niedersachsen aufgrund der Übererfüllung der Aufnahmequote derzeit neu eintreffende Geflüchtete aus der Ukraine in andere Bundesländer weiterschickt, sofern die Betroffenen nicht selbst eine Wohnung in Niedersachsen finden oder bei Verwandten unterkommen. Diese Situation – leerstehende Aufnahmekapazitäten für Ukrainer:innen, fehlende Aufnahmekapazitäten für Asylsuchende – empfindet der Flüchtlingsrat als skandalös. „Wir halten das für eine Form von strukturellem Rassismus“, so Kai Weber. „Eine Aufnahme von Schutzsuchenden sollte ohne Ansehen der Hautfarbe und Herkunft überall dort erfolgen, wo sie menschenwürdig möglich ist.“

Über eine Million Menschen sind seit Kriegsausbruch aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Fünf von sechs Geflüchteten in Deutschland kommen aus der Ukraine. Aber in der öffentlichen Diskussion wird das verbleibende Sechstel der Asylsuchenden aus anderen Herkunftsländern zum Problem erklärt. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert das Ausspielen von Geflüchtetengruppen gegeneinander, das schon jetzt zu doppelten Standards geführt hat. Das verfassungsrechtlich geschützte Menschenrecht auf Asyl gilt es zu verteidigen. Die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention gewährleisten den individuellen Anspruch auf Schutz vor Verfolgung und drohenden Menschenrechtsverletzungen. Unter den Asylsuchenden ist die Schutzquote im vergangenen Jahr in Deutschland auf den rekordverdächtigen Wert von 72% gestiegen (bereinigte Schutzquote).

Doch auch wer keinen individuellen Schutzanspruch in Deutschland erwirbt, darf nicht ohne Weiteres abgeschoben werden. In Kriegs- und Krisengebiete wie Afghanistan, Syrien oder den Irak wird derzeit wegen der allgemeinen desolaten Lage im Herkunftsland nicht abgeschoben. Aktuell fordert der Flüchtlingsrat einen Abschiebungsstopp für türkische Staatsangehörigen, die aus den Erdbebengebieten kommen.

Im Übrigen werden diese Menschen vielfach gebraucht: Arbeitgeber:innen und Interessenverbände fordern allenthalben einen Verbleib ihrer Mitarbeiter:innen in Deutschland und beklagen einen Mangel an Arbeitskräften. Das arbeitgeberfreundliche Deutsche Institut für Wirtschaft rechnet vor, dass  bis 2030 in Deutschland 5 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter fehlen werden, die Bundesagentur für Arbeit hat öffentlich erklärt, dass Deutschland jedes Jahr 400.000 Zuwanderer braucht, um die Lücken auf dem Arbeitsmarkt zu schließen. „Wir brauchen keine Diskussion um Abschiebungen, sondern eine Diskussion um Maßnahmen, die geeignet sind, Geflüchteten unabhängig von ihrem Status den Weg in Arbeit und ein gesichertes Aufenthaltsrecht zu bahnen“, so Kai Weber.

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