Verfolgt, weil sie Frauen sind: Afghanische Frauen müssen als Flüchtlinge anerkannt werden

von Peter von Auer, Pro Asyl

Seit der erneuten Machtübernahme der Taliban hat sich die Situation für Frauen und Mädchen in Afghanistan weiter verschärft. Die massiven Restriktionen sind zusammengenommen so schwerwiegend, dass sie als Verfolgung aufgrund des Geschlechts gelten müssen: Frauen müssen als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt werden.

Sie dürfen nicht zur Schule gehen oder studieren, nicht öffentlich sichtbar arbeiten, sich kaum auf öffentlichen Plätzen aufhalten und müssen sich mindestens mit einem Hidschab verhüllen. Da sind nur einige der Verbote und Diskriminierungen, denen Mädchen und Frauen in Afghanistan ausgesetzt sind – einzig, weil sie weiblich sind.

In Europa setzt sich mehr und mehr die Einsicht durch, dass Mädchen und Frauen in Afghanistan aufgrund der Verfolgung durch die Taliban grundsätzlich die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen werden muss. Nachdem die schwedische Asylbehörde schon seit Dezember 2022 so entscheidet, hat nun Ende Januar 2023 auch die Europäische Asylagentur (EUAA) eine entsprechende Einschätzung abgegeben. Auch Dänemark erkennt Frauen und Mädchen aus Afghanistan seit dem 30. Januar dieses Jahres allein auf Grund ihres Geschlechts die Flüchtlingseigenschaft zu.

Keine klare Haltung bisher vom BAMF zu afghanischen Frauen

In Deutschland fehlt bislang eine solche klare Haltung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). In einem Schriftsatz des BAMF an das Verwaltungsgericht Berlin Ende Dezember letzten Jahres heißt es etwa, die Klägerin habe

»‚nur´ die allgemeinen Einschränkungen, denen Frauen und Mädchen in Afghanistan unterliegen und die generell frauen- und bildungsfeindliche Einstellung der Taliban geschildert. Diese Schilderungen sind  – für sich allein betrachtet – nicht ausreichend für eine Schutzgewährung«.

So ist es nicht verwunderlich, dass Frauen und Mädchen aus Afghanistan hierzulande im ersten Halbjahr 2022 nur in 34 Prozent der Fälle die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen bekamen. In sechs Prozent der Fälle erhielten sie den geringeren subsidiären Schutz und in 61 Prozent lediglich Abschiebungsverbote. Auch wenn afghanische Frauen und Mädchen bislang mithin nicht gänzlich ungeschützt sind: Die Flüchtlingseigenschaft steht ihnen allen zu und geht mit besseren Rechten, etwa beim Familiennachzug, einher.

Rechtlich gesehen geht es bei der Frage, ob alle Mädchen und Frauen aus Afghanistan grundsätzlich als verfolgt anzusehen sind, um zwei Fragen. Zum einen, ob die vielen Diskriminierungen und Einschränkungen grundlegender Menschenrechte für Frauen in Afghanistan zusammen genommen (also kumulierend) vom Schweregrad her als Verfolgung im Sinne der Flüchtlingsdefinition zu sehen sind. Zum anderen, ob ein Verfolgungsgrund im Sinne der Flüchtlingsdefinition vorliegt – hier wegen des Geschlechts.

Die Möglichkeit, kumulative Diskriminierungen als Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anzuerkennen, ist in Art. 9 Absatz 1 Buchstabe b der EU-Qualifikationsrichtlinie – umgesetzt in § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG – vorgesehen. Der Ansatz, eine Flüchtlingszuerkennung allein auf Grund der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht vornehmen zu können, findet sich in § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Fügt man diese beiden Ansätze zusammen, muss also – etwas vereinfacht gesagt – eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen zu verzeichnen sein, die so gravierend ist, dass eine schwerwiegende Verletzung von Menschenrechten zu verzeichnen ist, die als Verfolgung qualifiziert werden kann und die allein an das Geschlecht anknüpfen. Dies ist in Afghanistan in Bezug auf Mädchen und Frauen eindeutig der Fall.

Machtübernahme der Taliban: Wahrgewordener Albtraum für Mädchen und Frauen in Afghanistan 

Als die Taliban im August 2021 Kabul einnahmen und damit erneut die Herrschaftsgewalt über das gesamte afghanische Staatsgebiet innehatten, gaben sich anfangs noch manche der Hoffnung hin, dass sie sich – anders als zur Zeit ihrer Herrschaft in den Jahren 1996 bis 2001 – gegenüber der Bevölkerung gemäßigter verhalten würden. Tatsächlich versprachen die Taliban anfangs eine integrativere und weniger repressive Führung in Afghanistan und die Achtung der Menschenrechte. Viele dieser Versprechen betrafen die Wahrung der Rechte der Frauen. Die dadurch geweckten  Hoffnungen stellten sich schon bald als Trugschluss heraus.

Gleich zu Beginn ihrer erneuten Herrschaft schlossen die Taliban Mitte September 2021 das Frauenministerium und ersetzten es durch das »Ministerium für Gebet und Orientierung sowie zur Förderung der Tugend und zur Verhinderung von Lastern«. Damit verloren die afghanischen Frauen und Mädchen jedwede politische Vertretung ihrer Anliegen im Land. Weiter ging es mit massiven Einschränkungen in allen Lebensbereichen wie Bildung, Bewegungsfreiheit und Erwerbstätigkeit, wie auch eine Auflistung der BBC in Farsi zeigt (hier in deutscher Übersetzung).

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