Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport hat seine Hinweise zur Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) aktualisiert. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat die Änderungen im Rahmen der Verbandsanhörung kommentiert und verschiedene Änderungsvorschläge gemacht, die jedoch leider allesamt kein Gehör gefunden haben. Andere Regelungen des Erlasses, die wir in der Vergangenheit bereits kritisiert haben, wurden bedauerlicherweise ebenfalls nicht überarbeitet und bestehen fort.
Nach Auffassung des Flüchtlingsrats sind die Anwendungshinweise in ihrer gegenwärtigen Form nicht geeignet, das Recht Geflüchteter auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens sicherzustellen. Unsere Hauptkritikpunkte im Einzelnen:
1. Reduzierung der Voraufenthaltszeiten
Einen Nachbesserungsbedarf sehen wir allerdings im Hinblick auf die Voraufenthaltszeiten. Diese sollten – entsprechend der bundesgesetzlichen beschlossenen Änderungen des § 25b AufenthG und der damit einhergehenden gesetzgeberischen Wertung – auf eine Voraufenthaltsdauer von sechs Jahren bzw. vier Jahren, sofern die oder der Betroffene mit einem minderjährigen, ledigen Kind in häuslicher Gemeinschaft lebt, reduziert werden. Diese Anpassung erachten wir insbesondere auch deshalb als angemesen, weil sich die gegenwärtige Erlasslage ebenfalls an den Voraufenthaltszeiten des § 25b AufenthG orientiert.
2. Herabsetzung der Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Integration
Einen weiteren Nachbesserungsbedarf sehen wir im Hinblick auf die wirtschaftliche Integration der Betroffenen. Eine wirtschaftliche Integration sollte – ebenfalls entsprechend der gesetzgeberischen Wertung in § 25b AufenthG – bereits dann angenommen werden, wenn die Betroffenen ihren Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichern oder bei der Betrachtung der bisherigen Schul-, Ausbildungs-, Einkommens- sowie der familiären Lebenssituation zu erwarten ist, dass sie ihren Lebensunterhalt prognostisch sichern werden.
Bei den Kriterien der Verhältnismäßigkeit fehlen aus unserer Sicht die Personengruppen, die aufgrund einer erheblichen geistigen und körperlichen Schwerbehinderung oder aber aufgrund einer gesetzlichen Betreuung oftmals dir Kriterien des § 5 AufenthG nicht zumutbar erfüllen können. Denn wenn ein:e volljährige:r Ausländer:in aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann, so bestellt das Betreuungsgericht einen gesetzlichen Betreuer. Dieser Umstand sollte dringend als Kriterium für eine Abwägung zugunsten der betroffenen Personen mit aufgenommen werden.
3. Berücksichtigung von Kindern und Jugendlichen
Einen dritten Nachbesserungsbedarf sehen wir im Hinblick auf Kinder und Jugendliche, da der Entwurf diese bislang gänzlich unberücksichtigt lässt. Doch auch Kinder und Jugendliche, die das 14. Lebensjahr noch nicht erreicht haben oder die Kriterien des §25 a AufenthG nicht (vollständig) erfüllen, können unter den Anwendungsbereich für § 25 Abs. 5 AufenthG fallen.
Da Kinder und Jugendliche schulpflichtig sind, ist es ihnen in aller Regel nicht möglich ist, sich wirtschaftlich zu integrieren. Jedoch können auch Kinder und Jugendliche, insbesondere wenn sie hier geboren wurden oder im (Kleinst)Kindesalter eingereist sind, über „intensive persönliche“ und „gesellschaftliche“ Bindungen zum Bundesgebiet verfügen – etwa durch das Erlernen der deutschen Sprache, einen erfolgreichen Schulbesuch, die Mitgliedschaft in Vereinen oder geschlossene Freundschaften – und dadurch de facto fest in der hiesigen Gesellschaft verwurzelt sein. Zugleich sind diese Kinder und Jugendlichen, ebenfalls insbesondere wenn sie hier geboren wurden oder im (Kleinst)Kindesalter eingereist sind, oftmals nicht mit der Sprache und den gesellschaftlichen Gepflogenheiten ihres de jure Herkunftsstaates vertraut, sodass diese dort nie verwurzelt waren bzw. zumindest entwurzelt sind.
Daher sollten im Erlass Voraussetzungen ergänzt werden, bei deren Vorliegen auch Kinder und Jugendliche eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK beanspruchen können.
4. Klarstellung der zulässigen Rechtswahrnehmung sowie Hinweis- und Anstoßpflichten
Schließlich sehen wir einen Nachbesserungsbedarf im Hinblick darauf, dass „Fälle von Verfahrensverschleppungen, missbräuchlichen Antragstellungen und fehlender Mitwirkungsbereitschaft [… ] im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt und ggf. ausgegrenzt werden“ sollen. Zum einen sollte in diesem Zusammenhang klargestellt werden, dass eine zulässige Rechtswahrnehmung vor Behörden oder Gerichten – etwa durch das Stellen von Asylfolge- oder Eilrechtsschutzanträgen – weder als Verfahrensverschleppung noch als missbräuchliche Antragsstellung – gewertet werden darf. Zum anderen sollte klargestellt werden, dass die Ausländerbehörden den Betroffenen nur dann eine fehlende Mitwirkungsbereitschaft entgegenhalten dürfen, sofern sie ihren Hinweis- und Anstoßpflichten gegenüber den Betroffenen nachgekommen sind.
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