Flüchtlings- und Jugendorganisationen fordern eine großzügige Bleiberechtsregelung ohne Stichtag

Presseerklärung von Bundesverband UMF e.V., PRO ASYL, Jugend ohne Grenzen, alle bleiben, Flüchtlingsrat Hamburg vom 18. November 2010 aus Anlass der Innenministerkonferenz in Hamburg

Flüchtlings- und Jugendorganisationen fordern eine großzügige Bleiberechtsregelung ohne Stichtag

Kritik an Schünemanns Bleiberecht nach Noten: Gegen das Leitbild des homo profitabilis

Anlässlich der Innenministerkonferenz in Hamburg fordern PRO ASYL, der Flüchtlingsrat Hamburg, der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge, Jugendliche ohne Grenzen und die Aktion alle bleiben! eine drastisch verbesserte Bleiberechtsregelung, die auch in Zukunft den langjährig hier Lebenden eine wirkliche Perspektive eröffnet. Nötig ist eine rollierende, d.h. an die Aufenthaltsdauer und nicht mehr an einen bestimmten Stichtag anknüpfende Regelung. Sie muss auch Alten, Kranken und großen Familien eine Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis eröffnen. Bisher scheitern sie an der Hürde der Lebensunterhaltssicherung.

Gefordert zu umgehendem Handeln ist der Bundesgesetzgeber. Von der Innenministerkonferenz kann nicht mehr als ein Signal ausgehen, obwohl sie sich der Öffentlichkeit seit Jahren immer wieder als eine Art Ersatzgesetzgeber präsentiert.

Heftig kritisieren die Organisationen den inzwischen zur offiziellen Unionsposition erhobenen Vorschlag des niedersächsischen Innenministers Schünemann, ein weiteres Aufenthaltsrecht an die schulischen Leistungen der Kinder zu knüpfen und über das Bleiberecht der Eltern erst dann zu entscheiden, wenn die Kinder volljährig sind – nach ungewissen Kriterien und mit ungewissem Ausgang. Ein „Bleiberecht nach Noten“ produziert unglaublichen Druck für die betroffenen Kinder. Bei Versagen die Abschiebung für alle – dieser Vorschlag ist unmenschlich und kinderfeindlich.

Zynisch ist der Vorschlag auch deshalb, weil die betroffenen Familien Opfer staatlich gewollter Desintegration sind. Nach oft jahrelanger Lagerunterbringung und Dequalifizierung durch zeitweilige Arbeitsverbote werden sie nun als   ökonomische Belastung oder gar „Integrationsverweigerer“ stigmatisiert.

In einem Positionspapier für ein modernes Ausländerrecht hatte die Konferenz der unionsgeführten Länder bereits am 14. Oktober 2010 deutlich gemacht, dass sie mit ihren Vorschlägen nicht ein humanes Bleiberecht umsetzen will, sondern die integrierten geduldeten Jugendlichen als interessantes Potential in Zeiten des demographischen Wandels sieht. Die leitkulturelle Lichtgestalt der Union ist der homo profitabilis, das nützliche Objekt der gesteuerten Zuwanderung. Auch betroffene Jugendliche widersetzen sich diesem auf ökonomische Verwertbarkeit reduzierten Menschenbild.

Heftig kritisieren die veranstaltenden Organisationen die mangelnde Bereitschaft der Innenminister, Abschiebestopps für syrische Staatsangehörige und für Minderheitenangehörige aus dem Kosovo zu erlassen. Die Abschiebungen von Roma in  den Kosovo haben sich im Laufe dieses Jahres verdoppelt, obwohl Menschenrechtsorganisationen und viele UN-Organisationen unisono bestätigen: Dort drohen den Abgeschobenen extreme Ausgrenzung, ein Leben auf der Müllhalde, mancherorts physische Gefahren.

Als skandalös bewerten die teilnehmenden Organisationen die Äußerungen der Unions- Innenminister, die auch zur Forderung eines Abschiebungsstopps von Oppositionellen aus Syrien behaupten, hier würden vorsätzlich massive  Rückkehrhindernisse durch interessierte Organisationen geschaffen. Dies gehe mit dem Verlust des Respekts vor Gerichtsentscheidungen einher. Tatsache ist, dass insbesondere seit Inkrafttreten des Rückübernahmeabkommens mit Syrien immer wieder syrische Staatsangehörige, die deutsche Gerichte für nicht gefährdet gehalten hatten, nach ihrer Abschiebung in Syrien in Haft geraten und zum Teil verurteilt werden. Aktuell schweigt sich die Bundesregierung aus Gründen politischer Opportunität zum Fall des seit dem 23. August 2010 in Syrien inhaftierten Ismail Abdi aus, dem eine Anklage wegen Verbreitung falscher Informationen im Ausland droht, ein Gesinnungsstraftatbestand, der zur  Kriminalisierung von Regimekritikern genutzt wird.

Wer trotz solcher Gefahren im Folterstaat Syrien einen Abschiebungsstopp verweigert, trägt mit dieser Ignoranz selbst dazu bei, dass die Integrität des Rechtsstaats beschädigt wird.

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