A. reiste am 09.09.2009 aus den Niederlanden kommend in die Bundesrepublik ein, um Asyl zu beantragen. Bei der Einreise wurde er in Nordhorn zunächst für einen Tag festgehalten und polizeilich vernommen. Am 17.9.2009 stellte Herr A. seinen Asylantrag beim BAMF in Oldenburg und wurde schließlich in eine Unterkunft nach Hildesheim verteilt.
Knapp acht Monate später wurde gegen ihn wegen „unerlaubter Einreise“ ein Haftbefehl erlassen. Verurteilt wurde er zu 29 Tagen Restersatzfreiheitsstrafe, weil er einen Strafbefehl vom 11.03.2010 über 30 Tagessätze à 10 Euro wegen „unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet“ nicht beglichen hätte. Nur durch eine sofortige Zahlung von 350 €, die sich Herr A. bei anderen Flüchtlingen leihen musste, konnte seine sofortige Inhaftierung vermieden werden.
Den Strafbefehl vom 11.03.2010 hatte A. allerdings gar nicht erhalten: Die Strafverfolgungsbehörden hatten ihn einem sogenannten „Zustellungsbevollmächtigten beim Amtsgericht Nordhorn“ mit der Begründung zugestellt, der Betroffene habe keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt. Diese Begründung war jedoch unhaltbar, zum einen weil Herr A. bei seiner Anhörung sein Asylbegehren geäußert und insofern einen Anspruch auf vorläufige Aufnahme im Bundesgebiet hatte, zum anderen weil den Behörden bereits im Januar die ordnungsgemäße Meldeadresse des Betroffenen in Hildesheim vorlag.
Mit einer entsprechenden Begründung erreichte der eingeschaltete Rechtsanwalt zunächst die Einsetzung in den vorherigen Stand, also die Ermöglichung von Rechtsmitteln gegen den Bescheid trotz abgelaufener Rechtsmittelfrist. In einem zweiten Schritt konnte dann auch der Strafbefehl erfolgreich angefochten werden:
Eine Bestrafung wegen unerlaubter Einreise verstößt gegen Art. 31 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), die Deutschland 1953 ratifizierte. Hier heißt es, dass die vertragsschließenden Staaten keine Strafen gegen Flüchtlinge verhängen dürfen, die aus einem Gebiet kommen (in diesem Fall Afghanistan), in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht sind.
Wer um Asyl nachsucht, darf sich zur Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland aufhalten. Er erwirbt die Aufenthaltsgestattung mit Stellung des Asylantrags, auch wenn er aus einem so genannten sicheren Drittstaat einreist.
Das Amtsgericht Nordhorn erklärte sich zunächst nur bereit, das Verfahren nach Zahlung einer Geldbuße von €200,- einzustellen. Der Rechtsanwalt lehnte dies ab und erwiderte, Herr A. habe die Niederlande lediglich als Durchgangsland genutzt, sich dort also nicht lange aufgehalten. Eine Straffreiheit nach Art. 31 I der GFK wegen einer unerlaubten Einreise setzt nicht voraus, dass zwischen dem Herkunftsland und Deutschland kein anderes Territorium berührt werden darf. Da die GFK keine so genannten „sicheren Drittstaaten“ benennt, ist es unerheblich, ob der Betroffene aus einem solchen eingereist sei oder nicht.
Letztlich lenkte das Amtsgericht Nordhorn ein und veranlasste die Einstellung des Verfahrens. Noch offen ist, ob die Kosten für den beauftragten Rechtsanwalt der Staatskasse auferlegt werden oder von dem Betroffenen beglichen werden müssen. Das Beispiel des Herrn A. verdeutlicht, wie schnell und leichtfertig Flüchtlinge in Deutschland kriminalisiert werden können.