Gemeinsame Pressemitteilung der Bürgerinitiative Menschenwürde im LK Stade und Flüchtlingsrat Niedersachsen vom 08.01.2020 zur erneuten Verfahrenseinstellung im Fall der Tötung von Aman Alizada
Bürgerinitiative Menschenwürde im Landkreis Stade und Flüchtlingsrat Niedersachsen fordern: Ermittlungen im Fall des tödlichen Polizeieinsatzes gegen Aman Alizada müssen fortgesetzt werden!
Die Stader Staatsanwaltschaft hat erneut festgestellt, dass der Polizist, der Aman Alizada im August 2019 erschossen hat, in Notwehr gehandelt habe und das Verfahren gegen ihn somit erneut eingestellt.
Laut Buxtehuder Tageblatt sollen sich nach der Aussage des Schützen, der sich erst im Zuge der erneuten Ermittlungen geäußert habe, neue Erkenntnisse ergeben haben. Das ist der Berichterstattung jedoch nicht zu entnehmen. Vielmehr scheinen der Beschuldigte und die Staatsanwaltschaft nur das zu wiederholen, was bereits in der Begründung für die Verfahrenseinstellung im ersten Anlauf zu finden war.
„Es ist empörend, dass die Staatsanwaltschaft Stade offenbar kein Interesse an einer gründlichen Aufklärung der Umstände hat, durch die ein geflüchteter Jugendlicher bei einem Polizeieinsatz getötet wurde“, sagt Sigmar Walbrecht vom Flüchtlingsrat.
So bleibt weiter offen, warum der Polizist die Tür zum verschlossen Raum aufgetreten hat, obwohl Aman Alizada allein im Raum war und weder sich noch andere gefährdete. Das offenbar bewusste Herbeiführen einer Eskalation durch den Polizisten, welches erst die unterstellte Notwehrsituation erzeugt hat, kommentiert die Staatsanwaltschaft zwar mit den Worten, dass die taktische Rechtfertigung bzw. Klugheit des Handelns hinterfragbar sein könnten, dass dieses aber nicht Gegenstand des Verfahrens sei. Damit stellt sie einen Freibrief für polizeiliches Handeln aus und sendet ein fatales Signal an die Bevölkerung. Wann immer Polizist*innen unüberlegt oder unkontrolliert handeln, erzeugen nach dieser Logik die Bürger*innen die Notwehrsituation selbst. Polizeiliches Handeln wird der Kritik entzogen. Wenn sich die betroffene Person dann auch noch, wie in diesem Fall, in einer psychischen Ausnahmesituation befindet und die durch die Polizei erzeugte Gefahrenlage gar nicht erkennen kann, endet es staatsanwaltschaftlich abgesegnet so wie in Bützfleth. Was ist das für ein Rechtsstaatsverständnis? Welche Strömungen in der Polizei werden damit bedient?
Es überrascht schon sehr, dass sich im Einstellungsbescheid erneut kein Wort zum Schusswinkelgutachten befindet. Dieses ließ nämlich nur den Schluss zu, dass sich Aman Alizada zum Zeitpunkt seines „Angriffes“ auf dem Boden liegend oder hockend befand. Wie daraus ein Angriff mit der Hantelstange und eine Notwehrsituation für den Polizisten entstehen sollte, bleibt das Geheimnis der Staatsanwaltschaft.
Wissend, dass Polizeiarbeit häufig in nicht eindeutigen und schwierigen Situationen stattfindet, erwarten wir von den zuständigen Stellen erstens eine solide Aus- und Weiterbildung, die die Beamten und Beamtinnen genau für solche komplexen Lagen qualifiziert und zweitens, dass die Polizeiführung und die Staatsanwaltschaft besonnenes und deeskalierendes Handeln fördern und falschen Zusammenhalt (Korpsgeist) nicht mittragen, sondern unterbinden. Dazu gehört, dass Fehlverhalten und ungerechtfertigte Polizeigewalt geahndet wird bis dahin, dass die Täter aus dem Polizeidienst entfernt werden.
Damit dieser Kurswechsel stattfindet, braucht es neben einem Kulturwandel in der Polizeiführung begleitend eine unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstelle, damit nicht intransparent die Polizei gegen Polizisten ermittelt. So können der Verdacht der Vertuschung und ein weiterer Verlust des Vertrauens in die Polizei von vornherein vermieden werden. „Gerade, weil wir als demokratische Gesellschaft eine gut funktionierende Polizei brauchen, der der Einsatz von Gewaltmitteln bis hin zu Waffen übertragen worden ist, brauchen wir die Sicherheit, dass dieses Gewaltmonopol keinesfalls missbräuchlich genutzt wird“, unterstreicht Barbara Erhardt-Gessenharter von der BI Menschenwürde.
Im Fall von Aman Alizada heißt das: Die erneute Einstellung ist keinesfalls hinnehmbar. Die BI Menschenwürde und der Flüchtlingsrat begrüßen, dass der Anwalt des Bruders gegen diesen Beschluss erneut Einspruch erhebt. Wir erwarten von der Celler Generalstaatsanwaltschaft, alle Aspekte des Ablaufes und der vorliegenden Erkenntnisse in Betracht zu ziehen und ein öffentliches Verfahren zur Klärung des Tathergangs zu ermöglichen. Dazu gehört auch, dass das Verfahren – wie vom Anwalt bereits beantragt – einer anderen Staatsanwaltschaft übertragen wird.
Kontakt
BI Menschenwürde:
Barbara Erhardt-Gessenharter – Tel.: 0170/32 89 027 – Email: bi-menschenwuerde@gmx.de
Flüchtlingsrat Niedersachsen:
Sigmar Walbrecht – Tel.: 0511/84 87 99 73 – Email: sw@nds-fluerat.org
Hintergrund und weitere Informationen
Flüchtlingsrat Niedersachsen, Aktionsseite Tödlicher Polizeieinsatz in Stade
Bürgerinitiative Menschenwürde im Landkreis Stade
Presseberichte
Schüsse auf Flüchtling in Stade: Notwehr mit Fragezeichen, in: taz nord vom 13. Januar 2021
Gerechtigkeit für Aman Alizada gefordert, in: nd vom 29. Dezember 2020
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...