Der Tod des Flüchtlings Slawik C. in Abschiebungshaft (siehe hier) darf nicht ohne Folgen bleiben. In Kenntnis der Erklärungen des Landkreis Harburg, wonach die Beschaffung eines Passersatzpapiers für Slawik angeblich ohne jeden Bezug auf die – eine offenkundig andere Person bezeichnenden und daher wertlosen – Interpol-Dokumente erfolgt sei, möchten wir zunächst darauf hinweisen, dass der Haftantrag vom Landkreis Harburg u.a. mit folgenden Worten begründet wurde:
„Im April 2009 konnte über Interpol Eriwan/Armenien durch ein Personenfeststellungsverfahren die o.g. Personalien und die definitive Staatsangehörigkeit des Betroffenen verbindlich festgestellt werden. Am 13.01.2010 wurde über die Zentrale Aufnahme- und Ausländerbehörde Niedersachsen – Außenstelle Lüneburg – ein armenisches Passersatzpapier für den Betroffenen und seine Frau beantragt. …“
Im Haftantrag hat der Landkreis also genau den Zusammenhang zwischen den von Interpol recherchierten Personaldaten und der Passbeschaffung selbst bestätigt, der nun von derselben Behörde bestritten wird. Damit hat sich die Vermutung erhärtet, dass die Beschaffung eines Passersatzpapiers für Slawik C. durch eine rechtsmissbräuchliche Manipulation erreicht wurde: Es besteht der begründete Verdacht, dass der armenischen Botschaft die Auskünfte von Interpol als Beleg einer armenischen Staatsangehörigkeit verkauft, die Ergebnisse der Untersuchungen der Kripo, wonach die Interpol-Dokumente einen anderen Menschen und nicht den Flüchtling Slawik C. bezeichnen, dagegen zurückgehalten wurden. Für die Betroffenen ist dabei unerheblich, ob die Ausländerbehörde des Landkreis Harburg selbst oder die vom Landkreis eingeschaltete „Zentrale Ausländerbehörde“ in Lüneburg die Manipulation vorgenommen hat. Die Vermutung, dass das Passersatzpapier für Herrn C. durch Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichen wurde, liegt auch deshalb nahe, weil der Landkreis Harburg sich nach Eintreffen der Interpol-Mitteilung vergeblich um ein Passpapier für Frau C. bemühte. Die Familie hat sich deshalb dazu entschlossen, gegen die Verantwortlichen Strafanzeige zu erheben.
Auch hinsichtlich der leichtfertigen und rechtlich unhaltbaren Inhaftierung von Herrn C. sind Konsequenzen zu fordern. Es kann nicht angehen, dass die in Artikel 2 des Grundgesetzes geschützte Freiheit der Person von vielen Ausländerbehörden in Niedersachsen weiterhin mit Füßen getreten wird. Rund ein Drittel aller Haftanträge wird bei Einlegung von Rechtsmitteln durch die Obergerichte wieder aufgehoben, wie Recherchen des Rechtsanwalts Peter Fahlbusch ergeben haben (siehe hier), ein Sachverhalt, der vom niedersächsischen Innenministerium regelmäßig verharmlost wird (siehe hier). Auch im konkreten Fall hat Anwalt Fahlbusch gegen den schlampigen Beschluss des Amtsgerichts Winsen, der nicht einmal die seit 01.09.2009 geltende Rechtsmittelfrist von vier Wochen richtig widergibt, Rechtsmittel erhoben. Verantwortlich für diese skandalöse Praxis ist vor allem das niedersächsische Innenministerium, das den aus dem Jahr 1995 stammenden Erlass zur Vermeidung von Abschiebungshaft und zur grundsätzlichen Ankündigung von Abschiebungsterminen im Jahr 2003 ersatzlos streichen ließ und bis heute seiner Verantwortung nicht gerecht wird, im Rahmen der Fachaufsicht die Ausländerbehörden zu einer verhältnismäßigen und rechtsstaatlichen Praxis anzuhalten. Denn auch die seit dem jahr 2009 geltenden bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften schreiben unter Nr. 62 pp. vor, dass Abschiebungshaft nur unter bestimmten Voraussetzungen als ultima ratio beantragt werden darf. Dass die niedersächsische Verwaltungspraxis vom Bundesverfassungsgericht wiederholt wegen rechtswidriger Inhaftierung von Flüchtlingen gerügt wurde, spricht Bände.
gez. Kai Weber