Handlungsempfehlungen des Robert-Koch-Instituts zur Corona-Prävention in Massenlagern

RKI-Papier zur Prävention in Gemeinschaftsunterkünften:
Lange bekannte Empfehlungen werden von Behörden bewusst missachtet

Die Handlungsempfehlungen des RKI (Stand: 07. Mai 2020), über die das ARD-Hautpstadtstudio berichtet, liegen den zuständigen Behörden in Niedersachsen und den anderen Bundesländern seit Wochen vor. Sie decken sich in weiten Teilen mit den Forderungen der Flüchtlingsräte. Ausdrücklich formuliert das RKI: „Zudem müssen die gesetzlichen Kontaktbeschränkungen des Bundes und der Landesregierungen, die als Maßnahmen gegen eine Ausbreitung der COVID-19-Pandemie in Deutschland gelten, für Menschen in Gemeinschaftsunterkünften umsetzbar sein.“ Dagegen wird nicht nur in den niedersächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen verstoßen, in denen nach wie vor bis zu 800 Menschen teilweise in Sechs- und Zehnbettzimmern untergebracht werden, sondern auch in etlichen kommunalen Gemeinschaftsunterkünften.

Auch die pauschale Quarantäne für alle Bewohner:innen der Unterkunft Ehra-Lessien (Landkreis Gifhorn) widerspricht lange bekannten Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes. In dem bisher unveröffentlichten Papier gibt das Robert-Koch-Institut den Behörden wichtige Handlungsempfehlungen für die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete. Das Papier zeigt deutlich, dass der Umgang von Landes- und Kommunalbehörden mit Menschen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben müssen, vielfach untragbar ist und dem Gesundheits- und Infektionsschutz in eklatanter Weise widerspricht.

Die RKI – Empfehlungen werden aber offenbar bewusst zurückgehalten. Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen:

„Es ist typisch für Politik und Behörden, dass sie der wichtigsten ratgebenden Instanz im Umgang mit der Corona-Pandemie zwar in allen Bereichen folgen, aber die Empfehlungen genau dann ignorieren und unter Verschluss halten, wenn es um Geflüchtete geht.“

Das ARD-Hauptstadtstudio schreibt:

„Die RKI-Experten raten etwa zu umfassender Information und Aufklärung in sämtlichen Sprachen – schriftlich und mündlich. Allen in den Unterkünften müssten die Übertragungswege des Virus und mögliche Krankheitsverläufe klar sein. Risikopatienten in den Einrichtungen müssten frühzeitig erkannt und in gesonderte Unterkünfte gebracht werden. Separate Wohneinheiten müssten vorsorglich vorgehalten werden. Im Falle eines Ausbruchs müsste es Möglichkeiten zur Isolation und medizinischen Versorgung geben. Um Ängsten und Missverständnissen vorzubeugen, müssten Ansprechpartner da sein. Einerseits müssten Kontaktpersonen von Corona-Patienten identifiziert werden. Zugleich soll aber eine gewisse Vertraulichkeit gewahrt bleiben.“
Gefährlich wie ein Kreuzfahrtschiff, in: Tagesschau vom 10. Juni 2020

In den Handlungsempfehlungen warnt das Robert-Koch-Institut nachdrücklich vor pauschalen Quarantänen und der Abschottung ganzer Unterkünfte:

„Eine Quarantäne der gesamten GU sowie das Errichten von physischen Barrieren (Zäunen) sind zu vermeiden. Durch eine Massenquarantäne wird eine vermeidbar hohe Exposition mit daraus resultierenden Risiken für alle BewohnerInnen in Kauf genommen, die den RKI-Empfehlungen zu Infektionsschutzmaßnahmen widerspricht.“
Robert-Koch-Institut: Hinweise zu Prävention und Management, 7. Mai 2020

Die Verhängung einer Quarantäne über gesamte Unterkünfte wird auch in einer jüngst veröffentlichten Studie der Universität Bielefeld deutlich kritisiert.

Im Fall der Unterkunft in Ehra-Lessien im Landkreis Gifhorn zeigt sich, dass diese Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, obwohl sie den Behörden lange bekannt sind, nicht eingehalten werden: Hier setzt der Landkreis nun seit mittlerweile 13 Tagen auf eine pauschale Quarantäne für alle rund 170 Bewohner:innen. Nach eigenen Angaben des Landkreises erfolgte diese Entscheidung in Absprache mit dem Präsidenten des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes. Die gesamte Unterkunft ist abgeriegelt. Mit solchen Maßnahmen, die mit geltendem Recht unvereinbar sind, setzen die Behörden die Bewohner:innen hohen Risiken aus. Gerade weil die fehlende konsequente Trennung von Infizierten und Nicht-Infizierten dazu führt, dass sich immer weitere Menschen mit dem Virus infizieren, drohen Kettenquarantänen. Es ist ein Glück, dass bisher in Ehra-Lessien keine weiteren Infektionen gemeldet wurden. Derartige Zwangsmaßnahmen und die damit verbundene Isolation sind stigmatisierend und können bei Schutzsuchenden zudem eine (Re-)Traumatisierung bewirken.

Auch der weitere Umgang des Landkreises Gifhorn mit Schutzsuchenden sowie anderen Gemeinschaftsunterkünften wirft Fragen auf. So ist eine Unterkunft in Gifhorn mit Trassierbändern markiert, um, so heißt es, die Bewohner:innen von gegenseitigen Besuchen abzuhalten. Der Landkreis Gifhorn geht aber sogar noch weiter. Der zuständige Abteilungsleiter des Landkreises gab den Bewohner:innen in der Lokalpresse die Empfehlung, sie sollten die Stadt tunlichst meiden und stellt sie damit unbegründet unter einen Generalverdacht. Dies ist auch deswegen irritierend, weil der zuständige Amtsarzt des Landkreises darauf verweist, dass das Infektionsgeschehen im Landkreis Gifhorn insgesamt bisher vergleichsweise überschaubar sei.

Nachtrag

Das RKI-Papier zur Prävention in Gemeinschaftsunterkünften ist mittlerweile veröffentlicht worden und trägt den Titel:

Empfehlungen für Gesundheitsämter zu Prävention und Management von COVID-19-Erkrankungen in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Schutzsuchende (im Sinne von §§ 44, 53 AsylG), Stand: 8.7.2020

Nicht weniger interessant und für unsere Arbeit brauchbar ist das Papier des Europäischen Zentrums für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC). Aufgabe der EU-Agentur ist es, die Verhütung und Kontrolle übertragbarer Krankheiten in der EU zu verbessern.

ECDC Papier Guidance on infection prevention and control of COVID-19 in migrant and refugee reception and detention centres in the EU/EEA and the UK:

Materialien

Robert-Koch-Institut: Hinweise zu Prävention und Management von COVID-19-Erkrankungen in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete (Stand: 7. Mai 2020)

SARS‐CoV‐2 in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete. Epidemiologische und normativ‐rechtliche Aspekte, Studie der Universität Bielefeld, veröffentlicht am 29. Mai 2020

Forderungspapier zur Unterbringung in kommunalen Unterkünften, Flüchtlingsrat Niedersachsen, 14. April 2020

taz-Bericht vom 11.06.2020: Massenquarantäne vermeiden

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