Droht der unabhängigen Asylverfahrensberatung in Niedersachsen das Aus? Offenkundig beabsichtigt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die unabhängigen Beratungsstellen von Wohlfahrtsverbänden und NGOs aus der Beratung für Asylsuchende zu drängen und durch eigene Beamte zu ersetzen. Die Übernahme der individuellen unabhängigen Asylverfahrensberatung durch das BAMF widerspricht aber in eklatanter Weise dem Subsidiaritätsprinzip: Danach haben Angebote von Wohlfahrtsverbänden und NGOs grundsätzlich Vorrang vor staatlichen Leistungen.
Über viele Jahre haben Diakonie und Caritas in Niedersachsen sowie der Oldenburgische Verein IBIS e.V. eine unabhängige Asylverfahrensberatung in Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes für Asylsuchende über EU-Fördermittel gewährleistet. 2017 ist es endlich gelungen, das Land Niedersachsen von der Notwendigkeit zu überzeugen, eine unabhängige Asylverfahrensberatung durch öffentliche Mittel zu finanzieren: Seit 2018 fördert das Land Niedersachsen über die Richtlinie Migrationsberatung auch Beratungsstellen in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes.
Im Rahmen der sog. Migrationsgesetze hat der Gesetzgeber 2019 in § 12a Asylgesetz (AsylG) nun eine Regelung aufgenommen, durch welche eine unabhängige Beratung zum Asylverfahren sichergestellt werden soll. Die Gesetzesänderung ist grundsätzlich begrüßenswert, ihre Umsetzung durch das BAMF entspricht aber nicht den langjährigen Forderungen der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege und anderer Flüchtlingshilfeorganisationen (siehe etwa: Stellungnahme des Flüchtlingsrats aus Mai 2017), denn offensichtlich sollen unabhängige Berater:innen der Verbände durch staatliche Bedienstete ersetzt werden: In Umsetzung der neuen Rechtslage hat das BAMF begonnen, Beamt:innen (ehemalige Entscheider:innen; Anhörer:innen) des BAMF für die Asylverfahrensberatung zu schulen. Das BAMF ermögliche, so heißt es, selbst eine „unabhängige Beratung“. In einer ersten Stufe sei allein das BAMF für eine allgemeine, gruppenbezogene Information zuständig. Eine zweite Stufe, in deren Rahmen eine individuelle Beratung vorgesehen ist, werde ebenfalls vom BAMF gewährleistet. Die Behörde sei zwar bereit, mit Wohlfahrtsverbänden zusammenzuarbeiten, aber nicht dazu bereit, die etablierten unabhängigen Beratungsdienste zu finanzieren.
Die bisherige Finanzierung der unabhängigen Beratung der Wohlfahrtsverbände und NGOs durch das Land Niedersachsen ist nun jedoch in Gefahr, weil nach der neuen Rechtslage das Bundesinnenministerium zuständig ist. Die Finanzierung des Landes ist in Niedersachsen nur noch für das Jahr 2020 zugesagt. Auch eine EU-Projektförderung für eine unabhängige Asylverfahrensberatung soll nach Auffassung des BAMF zukünftig nicht mehr möglich sein, da das Angebot über staatliche Dienste abgedeckt sei. Im Effekt werden damit unabhängige Beratungsstellen aus den Erstaufnahmeeinrichtungen herausgedrängt – ganz so, wie es das „Ankerzentrums“-Konzept von Bundesinnenminister Seehofer vorsieht.
Das Vorgehen des BAMF ist inakzeptabel: Der Subsidiaritätsgrundsatz ist tragende Struktur des deutschen Verfassungsrechts und deshalb unbedingt zu berücksichtigen. In Umsetzung dieses Grundsatzes wäre das in § 12a AsylG neu verankerte Informations- und Beratungsangebot denen zu übertragen, die diese Aufgaben bereits vor Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelung erfolgreich wahrgenommen haben. Es ist Aufgabe des Staates, diese Dienste – auch finanziell – so zu fördern, dass sie in der Lage sind, die unabhängige, individuelle Asylverfahrensberatung gemäß den konzeptionell festgelegten Qualitätsstandards durchzuführen.
Im Übrigen widerspricht das BAMF mit seinem Vorgehen den eigenen Erkenntnissen: Der Evaluationsbericht des BAMF-Pilotprojektes „Asylverfahrensberatung“ (2017) mit den Wohlfahrtsverbänden bestätigt und belegt, dass nur eine unabhängige Beratung durch Wohlfahrtsverbände (und NGOs) geeignet ist, die Betroffenen unabhängig zu informieren, die Qualität der getroffenen behördlichen Entscheidung zu fördern und die Verwaltungsgerichte zu entlasten. Die unabhängige Asylverfahrensberatung führt zu einer frühzeitigen Abklärung von Verfahrensfragen und dadurch zu einer Effizienzsteigerung. Es spricht für sich, dass das BAMF seinen Evaluationsbericht wohl deshalb selbst nie veröffentlicht hat.
Asylverfahrensberatung muss unabhängig sein und kann nicht durch staatliche Stellen übernommen werden. Die vom BMI beabsichtigte Übertagung der Beratung an das BAMF entspricht nicht den Erfordernissen an eine unabhängige Beratung. So ist z.B. die individuelle Begleitung im Anhörungsverfahren, die Beratung zu möglichen Rechtsmitteln und zum Klageverfahren ausdrücklich ausgenommen.
Daher ist es unerlässlich, dass Asylsuchende auch zukünftig Zugang zu einer unabhängigen individuellen Beratung zu ihrem Asylverfahren bekommen.
1AMBA (Aufnahmemanagement und Beratung für Asylsuchende in Niedersachsen) ist ein Netzwerkprojekt des Flüchtlingsrats Niedersachsen e.V., des Caritasverbands für die Diözese Osnabrück e.V., der Caritasstelle im GDL Friedland / DiCV Hildesheim, der Inneren Mission / Evangelisches Hilfswerk im Grenzdurchgangslager Friedland e.V., des Caritasverbands Braunschweig e.V., des Caritasverbands für den Landkreis Peine e.V., des kargah e.V. Hannover – Verein für Interkulturelle Kommunikation, Migrations- und Flüchtlingsarbeit, des Vereins IBIS – Interkulturelle Arbeitsstelle Oldenburg e.V. sowie des Vereins Niedersächsischer Bildungsinitiativen e.V. (VNB). Angeschlossen ist die Diakonie Walsrode. Das Netzwerk wird von der EU, dem Land Niedersachsen und der UNO-Flüchtlingshilfe gefördert. Es verfolgt das Ziel, die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Niedersachsen durch eine Reihe von aufeinander abgestimmten Maßnahmen zu verbessern.
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