Herr Weber, vergangene Woche hat das Bundeskabinett das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz verabschiedet, mit denen Abschiebungen aus Deutschland erheblich erleichtert werden sollen. Sie und der Flüchtlingsrat haben dieses Gesetz scharf kritisiert, warum?
Aus vielerlei Gründen. So wird etwa eine neue Form der Aufenthaltsbescheinigung geschaffen, die noch unterhalb der ohnehin niedrigen Standards der Duldung rangiert und dazu führt, dass bestimmte Menschen ausgegrenzt und diskriminiert werden. Ferner wird es künftig sehr leicht gemacht, Asylbewerber in Haft zu nehmen, um sie abzuschieben. Das ist alles andere als human oder christlich.
Aber ist nicht der Gedanke im Prinzip richtig, dass man Menschen wieder in ihre Herkunftsländer zurückschickt, wenn ihre Asylanträge absolut keine Chance haben?
Im Prinzip geschieht das doch flächendeckend. Wir hatten im Jahr 2018 mehr als 41 500 Personen registriert, die Deutschland freiwillig oder gezwungenermaßen wieder verlassen haben, nachdem ihre Asylanträge erfolglos blieben. Wir sehen, wenn wir die Entwicklung der Zahlen seit 2014 betrachten, überhaupt keinen Handlungsbedarf. Die Zahl der anerkannten Flüchtlinge hat sich in diesem Zeitraum verfünffacht, sie ist also um 500 Prozent angestiegen, während die Zahl der ausreisepflichtigen Flüchtlinge nur um 50 Prozent angestiegen ist. Das zeigt doch, dass das Prinzip der freiwilligen Ausreise funktioniert.
Dennoch werden immer neue Gesetze in der Flüchtlingspolitik verabschiedet…
Seit 2015, wir haben nachgezählt, gab es mehr als 20 neue Gesetze zu diesem Thema, was auch ein Beleg für die Irrationalität ist, mit der das Flüchtlingsthema mittlerweile behandelt wird. Leider setzt die Politik voll darauf, den Abschiebungsvollzug auszubauen und Flüchtlinge massenhaft wie Straftäter zu behandeln.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hat sich stets um einen etwas humaneren Umgang in der Flüchtlingsfrage bemüht…
Zu unserer großen Enttäuschung hat Pistorius dennoch das Geordnete-Rückkehr-Gesetz Horst Seehofers befürwortet, das unter anderem eine Duldung light für Geflüchtete vorsieht, die nach Ansicht der Behörden nicht genug bei der Beschaffung der Passersatzpapiere mitwirken. Vor dem Kabinettsbeschluss in Berlin hat Pistorius noch die Duldung light kategorisch abgelehnt – übrigens in Ihrer Zeitung – und deutlich gewarnt hier würde man ein neues Flüchtlingsprekariat schaffen. Wenn Pistorius jetzt Seehofer zustimmt, dokumentiert dies den unerfreulichen Wandel der niedersächsischen Politik – weg von einer Willkommenskultur, die nur noch in Sonntagsreden erwähnt wird.
Was heißt Duldung light?
Das heißt ein Aufenthaltsstatus unterhalb der ohnehin schon niedrigen Standards der Duldung: Die Menschen dürfen keiner Arbeit nachgehen, sie bekommen Wohnsitzauflagen und haben keinerlei Perspektiven, hier zu bleiben. Man will den Menschen mit aller Macht signalisieren: Ihr habt in Deutschland keine Chance. Dabei ist diese Politik in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts bis in dieses Jahrhundert hinein in Niedersachsen praktiziert worden. Sie hatte allerdings keinen Erfolg, sondern führte im Wesentlichen dazu, dass Menschen verelendeten oder auch psychisch krank wurden. Wer hat etwas davon, wenn Menschen dazu gebracht werden, dass sie irgendwann gar nicht mehr arbeiten können?
Wie viele Geduldete leben in Niedersachsen?
Zwischen 16 000 und 17 000. Etwa ein Drittel kommt aus Ländern, in die Politik in der Regel nicht abschiebt, Afghanistan etwa oder Irak, Iran, Syrien, Eritrea. Dann gibt es Krankheitsgründe, die eine Abschiebung unmöglich machen, oder auch familiäre Bindungen. Wir haben bundesweit 235.000 ausreisepflichtige Personen, von denen sind rund 180.000 Menschen geduldet. Wir reden in ganz Deutschland also nur über etwa 55.000 Menschen, von denen etliche ein Bleiberecht bekommen könnten, weil die Kinder noch in Ausbildung sind oder andere Gründe vorliegen. Man könnte hier also einmal ausloten, was möglich ist, anstatt nur über verschärfte Abschiebemaßnahmen zu diskutieren.
Im Zuge der Diskussion um die Flüchtlingspolitik sind auch Organisationen wie Pro Asyl oder die Flüchtlingsräte in die Kritik geraten. Aus der CDU-Bundestagsfraktion kam sogar der Vorschlag, den Flüchtlingsräten, die von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden unterstützt werden, die Gemeinnützigkeit zu entziehen …
Das finde ich absurd – und auch empörend. Für uns ist das Rufmord, der hier stattfindet. Wir arbeiten seit Jahrzehnten eng mit Caritas und Diakonie und zahlreichen Initiativen zusammen. Wir sind anerkannt und lassen uns nicht in diese Ecke stellen.
Von Michael B. Berger
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