Presseerklärung
Niedersächsischer
Flüchtlingsrat e. V.
28.06.2005
Landkreis Hildesheim stürzt erneut Flüchtlingsfamilie ins Unglück
Familie Ökmen aus Schellerten durch Abschiebung auseinandergerissen
Suizidgefährdete Tochter und kranker Vater bleiben zurück
Überfallartige Festnahme ohne Terminankündigung im Morgengrauen
Petition mit 670 Unterschriften für die Familie noch nicht entschieden
Heute gegen 2 Uhr morgens wurde die libanesische Bürgerkriegsfamilie Ökmen aus Schellerten von der Polizei aus dem Schlaf gerissen. Die Mutter Seyri Ökmen wurde nach 15-jährigem Aufenthalt in Deutschland zusammen mit ihren Kindern Liebhaniehe (21 Jah-re), Ali (14 Jahre) und Isidin (9 Jahre) festgenommen und morgens um 8.45 Uhr mit einem Charterflug aus Düsseldorf nach Istanbul abgeschoben. Zurück blieben der an multiplen Erkrankungen leidende Vater Kidir (43 Jahre) sowie seine beiden Kinder Adnan (24 Jahre) und Warde (17 Jahre alt). Während Adnan in Deutschland verheiratet ist und eine Aufent-haltserlaubnis für die Bundesrepublik besitzt, befindet sich Warde auf Veranlassung ihres Hausarztes wegen akuter Suizidalität seit einer Woche in der Psychiatrie.
Noch in der Nacht telefonierte die Polizei dreimal mit Herrn Kalmbach und fragte nach, ob der Landkreis unter den gegebenen Umständen an der Abschiebung festhalten wolle. Auch die dem Landkreis angeblich bis dahin nicht bekannte Tatsache, dass Warde bereits einmal einen Suizidversuch unternommen hat und ihre Mutter Seyri Ökmen sich in psychiatrischer Behandlung befindet, konnte Herrn Kalmbach nicht bewegen, die Abschiebung wieder abzusagen. Nach dem uns vorliegenden Attest des behandelnden Hausarztes Dr. Warneboldt ist Frau ßkmen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht reisefähig: „Ein Abbruch der laufenden Behandlung und eine Trennung der Familie hätte … schwerwiegende Auswirkungen auf die gesundheitliche Situation der Patientin.“
Wir sind bestürzt und entsetzt über diesen neuerlichen Akt von Barbarei des Landkreises Hildesheim. Wie schon im Fall der Familie Salame, die im Frühjahr durch Abschiebung getrennt wurde, schreckt der Landkreis, vertreten durch den für seinen Abschiebungseifer berüchtigten Herrn Kalmbach, nicht davor zurück, Familien nach jahrzehntelangem Aufenthalt in Deutschland auseinanderzureißen und abzuschieben, ohne den Angehörigen auch nur die Gelegenheit zu geben, sich voneinander zu verabschieden. Die Abschiebung der Familie ßkmen war unmenschlich und unverhältnismäßig. In kaum einem anderen Landkreis in Niedersachsen geht die Verwaltung mit Flüchtlingen so ruppig um. Der oft gepriesene Schutz der Familie ist dem Landkreis offenbar nichts wert, wenn es um Flüchtlinge geht.
Die in Schellerten beliebte Familie hatte über ihren Rechtsanwalt bereits im September 2004 eine Petition an den niedersächsischen Landtag gerichtet. 670 Nachbarn, Schulkameraden und Freunde der Familie hatten einen Aufruf für ein Bleiberecht der Familie in Deutschland unterschrieben. Der Rektor der Grundschule Schellerten, Schüler und Lehrer der Kinder, das Diakonische Werk und der Ortsrat Oedelum, sie alle hatten sich für die Familie eingesetzt und an die Behörden appelliert, die „menschliche Seite“ nicht zu vergessen “ vergebens.
Familie Ökmen, die im Libanon den arabischen Namen Ismaillat führte, gehört “ ebenso wie die im Frühjahr abgeschobene Gazale Salame “ der ethnischen Gruppe der sog. „Mahalmi“ an, die bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs im Libanon lebte, aber Vorfahren in der Türkei hat. Die Familie gelangte 1990 nach Deutschland und erhielt im Rahmen der Bleiberechtsregelung Ende 1990 eine Aufenthaltsgenehmigung. Im Jahr 2003 ermittelte die Ausländerbehörde des Landkreises, dass die arabischsprachige Familie vom Großvater in der Türkei registriert worden war und deshalb Anspruch auf türkische Pässe hat. Kurzfristig lebte die Familie in den 80er Jahren auch in der Türkei, kehrte dann aber schnell wieder in den Libanon zurück. Die Kinder wussten nicht, dass sie möglicherweise die türkische Staatsangehörigkeit hatten. Sie kennen vor allem Deutschland, wo sie auf-gewachsen sind, nur die älteren Kinder haben noch vage Erinnerungen an den Libanon. Kein Familienmitglied spricht die türkische Sprache.
„Das Schicksal der Kinder und Jugendlichen soll … im Vordergrund stehen, ungeachtet des Verhaltens der Eltern. Die Kinder und Jugendlichen, die sich in die hiesigen sozialen Lebensverhältnisse integriert haben, die einerseits hier Kindergarten und Schule besucht haben und gut Deutsch sprechen, die andererseits meist weder die Sprache ihrer Eltern beherrschen noch Bindungen an deren Heimatland besitzen, haben im Herkunftsland ih-rer Eltern keine Zukunftsperspektive, werden aber in absehbarer Zukunft – wie auch Ver-treter der Gemeinden und der Wirtschaft immer wieder bestätigen – in Deutschland als Fachkräfte benötigt.“ Dies erklärte Bundesinnenminister Otto Schily in einer Presseerklä-rung vom 23.6.2005. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Weitere Informationen:
Gernot Eisermann und Kai Weber, Tel. 05121 “ 15605
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