Auf einem überaus erfolgreichen Fachtag zu Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen fordern alle Beteiligte: Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten muss frühzeitig beginnen. Rechtliche Benachteiligung muss beseitigt werden
Rund 200 Teilnehmer:innen, von Hauptamtlichen Berater:innen über Fachleute aus Verwaltung, Ministerien, Wirtschaft und Politik bis hin zu Ehrenamtlichen nahmen an der Fachtagung „10 Jahre ESF geförderte Programme – Erfahrungen aus der Integration von Asylbewerber:innen und Flüchtlingen in Arbeit und Ausbildung“ teil, die am Donnerstag in Hannover stattfand.
Eingeladen hatten Projektverbünde aus Niedersachsen und Bremen, die Geflüchtete bei der Integration in Ausbildung und Arbeit unterstützen und mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Bundesministerium für Arbeit und Soziales über die „Integrationsrichtlinie Bund“ im sog. Handlungsschwerpunkt IvAF (Integration von Asylbewerber/-innen) gefördert werden. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen ist Partner in allen vier in Niedersachsen tätigen Projektverbünden und koordiniert den Projektverbund „AZF3 – Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge“.
Auf der Fachtagung wurde festgestellt, dass eine Integration in den Arbeitsmarkt möglichst frühzeitige ansetzen und über eine Förderkette eine kontinuierliche Unterstützung gewährleisten werden sollte. Wichtig sind nach Ansicht der Tagungsteilnehmer:innen Maßnahmen, die der spezifischen Situation der Geflüchteten Rechnung tragen. Die Arbeitsmarktintegration sollte als ein wechselseitiger Prozess verstanden werden, der die Geflüchteten nicht als defizitär betrachtet, von denen ausschließlich Anpassungsleistungen verlangt werden müsse, sondern vielmehr sowohl ihre Fluchtursachen ernst nimmt, als auch deren mitgebrachten Fähigkeiten anerkennt und berücksichtigt.
Alle beteiligten IvAF-Netzwerke konnten bestätigen, dass bei den Teilnehmer:innen ihrer Projekte ein großes Interesse und hohe Motivation bestehe, an der Gesellschaft teilzuhaben und damit eben auch am Arbeits- und Erwerbsleben teilzunehmen. Nur so ließe sich auch erklären, dass die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlinge trotz bestehender Hürden wie Sprachbarrieren, z.T. diversen Bildungshintergründe, fehlenden sozialen oder familiären Netzwerken und nicht zuletzt rechtlicher Benachteiligungen gut gelingt (siehe hierzu die kürzlich vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung veröffentlichte Studie).
Nach Ansicht des Flüchtlingsrates gibt es trotz aller Erfolge nicht zuletzt beim Abbau rechtlicher Benachteiligungen noch viel tun. Eine frühzeitige sozialrechtliche Gleichstellung für eine bessere Arbeitsmarktintegration steht hier auf der Agenda der Projektpartner. Norbert Grehl-Schmitt, Mitglied der IvAF-Steuerungsgruppe, warnt allerdings vor den Folgen aktueller Gesetzesinitiativen: „Großer Teil der Erstantragsteller* innen und der Menschen mit Duldung (werden zukünftig) zentral untergebracht werden. Für sie wird es keinen Arbeitsmarktzugang und keine Qualifizierung geben. Gleichzeitig sollen Arbeitsverbote ausgeweitet werden.“ So warnt auch Stefan Klingbeil vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. „Aktuelle Entwürfe für ein Gesetz über Duldungen bei Beschäftigung und Ausbildung sowie v.a. der Gesetzentwurf für ein sog. ‚Geordnete-Rückkehr-Gesetz‘ konterkarieren alle bisherigen Erfolge und Bemühungen bei der Arbeitsmarktintegration“. Statt weiterer Ausgrenzung und Druck auf Geflüchtete wäre mehr rechtliche Sicherheit auch für Arbeitgeber:innen sinnvoll, z.B. durch eine Aufenthaltserlaubnis bei Ausbildung statt nur einer Duldung. „Betriebsinhaber können es nicht nachvollziehen, wenn Menschen, die Tag für Tag hart für sie arbeiten und einen wichtigen Beitrag zum Erfolg des Betriebes leisten, auf einmal Deutschland verlassen müssen.“ so Karl-Wilhelm Steinmann, Präsidenten der Handwerkskammer Hannover. Er „hoffe,
dass es uns gelingt, die Vertreter der Politik davon zu überzeugen, dass sich hier etwas ändern muss. Dafür werde (er sich) auf jeden Fall weiterhin einsetzen.“
Alle Akteur hoben hervor, dass es nicht einzig darum gehen dürfe, Geflüchtete nach ihrer Verwertbarkeit und ihrem Nutzen zu bewerten. Eine humanitäre Sichtweise muss Leitmotiv in diesem Feld bilden, wie auch Dr. Thorbjörn Ferber, von der Handelskammer Bremen – IHK für Bremen und Bremerhaven betonte. Er erinnerte mit den Worten von Stefan Zweig aus den Jahren seiner Immigration an die Bürde, die jede und jeder Geflüchtete mit sich trägt: „Ich habe […] heute unablässig das Gefühl, als müsste ich jetzt für jeden Atemzug Luft besonders danken, den ich einem fremden Volk wegtrinke. […] am Tage, da ich meinen Pass verlor, entdeckte ich mit achtundfünfzig Jahren, dass man mit seiner Heimat mehr verliert als einen Fleck umgrenzter Erde.”
(Ausführliche Dokumentation mit den Beiträgen und Ergebnissen folgt)
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