[August 2020]
Keine Bleiberechtsregelung war dazu in der Lage, die Kettenduldungen abzuschaffen. Die Zahl der Geduldeten ging zwar bis auf 85.34427 im Jahr 2013 zurück, aber seither ist sie auf 202.387 zum 31. Dezember 2019 gestiegen.
Die mangelhafte Tragfähigkeit der Bleiberechtsregelungen ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen. Zum einen unterlaufen restriktiv ausgerichtete Ausländerbehörden die gesetzlich vorgesehenen Bleiberechtsregelungen. Geduldete werden nicht über eine auf sie zugeschnittene Bleiberechtsregelung informiert. Oder im Falle einer Antragstellung erteilt die Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis nicht, obwohl die Erteilung beispielsweise im Rahmen einer Ermessensentscheidung möglich ist.
Zum anderen ist die Erfüllung der Erteilungskriterien in Anbetracht der Lebensumstände, unter denen viele Geduldete leben, oft nur schwer zu erreichen. Geduldete haben kaum Zugang zu Sprachkursen, insbesondere in ländlichen Regionen. Die Beherrschung der deutschen Sprache ist aber eine zwingende Voraussetzung für eine Beschäftigung, über die der Lebensunterhalt gesichert werden muss, um von einer Bleiberechtsregelung zu profitieren.
Der Zugang zu einer Beschäftigung ist auch aus weiteren Gründen schwierig für Geduldete. Wie die obige Einzelfalldarstellung zu § 25b gezeigt hat, sind kurzzeitige Duldungen unattraktiv für Arbeitgeber. Sie schließen Geflüchtete von beruflicher Teilhabe aus. Selbst wenn ein_e Geduldete_r einen befristeten Arbeitsvertrag bekommt, ist damit die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht sicher. Bei befristeten Arbeitsverträgen ist die Ausländerbehörde verpflichtet im Rahmen einer Prognoseentscheidung zu prüfen, ob der Lebensunterhalt dauerhaft gesichert sein wird.
Auch mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag ist der Lebensunterhalt nicht automatisch gesichert, denn das Erwerbseinkommen muss zusätzlich hoch genug sein. Insbesondere Geringqualifizierte im Niedriglohnsektor haben dann Schwierigkeiten, wenn sie den Lebensunterhalt einer mehrköpfigen Familie sichern müssen.
Ein Arbeitsverbot macht den Erhalt eines Arbeitsvertrags völlig unmöglich. Angst vor einer Abschiebung kann die physische und psychische Gesundheit beeinträchtigen und im Extremfall zu Arbeitsunfähigkeit führen. Die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ist nach jahrelangem Arbeitsverbot schwierig bis unmöglich.
Auf der einen Seite ist zu begrüßen, dass die Landesregierung Niedersachsen am 3.7.2019 wohlwollende Erlasse zu den Bleiberechtsregelungen nach §§ 25a und 25b veröffentlichte von denen langjährig Geduldete profitieren können. Auf der anderen Seite möchte die Landesregierung über die Zentrale Beratungsstelle in ausländerrechtlichen Angelegenheiten für die niedersächsischen Kommunen (kurz: ZAB) und einen Staatsvertrag Abschiebungen erleichtern.
Wenn das politische Ziel in einem spürbaren Abbau der Kettenduldungen besteht, muss die große Koalition im Bund den Geduldeten ein Bleiberecht zugestehen, welches ihrer Lebenswirklichkeit gerecht wird, ohne an der rigiden Sicherung des Lebensunterhalts festzuhalten. Wer seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat, soll bleiben dürfen.