[Mai 2018]
Immer mehr Menschen landen hinter Gittern, ohne eine Straftat begangen zu haben: Die Zahl der Menschen in Abschiebungshaft steigt. Gleichzeitig werden in großem Stil neue Abschiebungshaftanstalten errichtet. Die Haftbedingungen sind miserabel und entsprechen oft nicht den etablierten, rechtsstaatlichen Standards. Für die Betroffenen ist der Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung entscheidend, denn vielfach wird die Abschiebungshaft rechtswidrig angeordnet.
Da der Begriff »Haft« mit der Begehung von Straftaten assoziiert wird, kann es nicht oft genug betont werden: Menschen in Abschiebungshaft sind weder verurteilte Straftäter:innen noch werden sie einer Straftat verdächtigt – dennoch werden sie bis zu 18 Monate eingesperrt. Ihr einziges »Vergehen«: Sie sind Ausländer:innen, vollziehbar ausreisepflichtig und Behörden und Gerichte fürchten, dass sie sich ihrer bevorstehenden Abschiebung entziehen könnten, wenn ihnen nicht selbst die Freiheit entzogen wird.
Für die Anordnung von Abschiebungshaft gelten klare Regeln: Sie darf nur auf richterliche Anordnung erfolgen, es müssen eindeutige Verdachtsmomente einer Vereitelung der Abschiebung vorliegen, der*die Betroffene muss vor einer Entscheidung angehört und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Doch ausgerechnet bei denjenigen, die ohne Straftat weggesperrt werden, scheinen Behörden und Gerichte es mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht so genau zu nehmen.
Abschiebungshaft im Fokus
In den öffentlichen Fokus rückte die Abschiebungshaft vor allem aufgrund eines vielfach behaupteten, vermeintlichen »Vollzugsdefizits« bei Abschiebungen. Vor dem Hintergrund des terroristischen Anschlags im Dezember 2016 in Berlin spitzte sich die Debatte zu. Im Januar 2017 forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel eine »nationale Kraftanstrengung« bei der Vollziehung von Abschiebungen und begrub damit die verbliebenen Reste »ihrer« Willkommenskultur. Deutschland müsse schneller und rigoroser abschieben, so der Tenor. Auch Abschiebungshaft müsse häufiger verhängt werden. Obwohl die Datenlage schwierig ist, zeigen gestiegene Inhaftierungszahlen und erweiterte Haftkapazitäten, dass die meisten Bundesländer diesen Forderungen inzwischen nachgekommen sind.
Immer mehr Menschen in Abschiebungshaft
Beispielhaft sei hier die Entwicklung in einzelnen Bundesländern und Hafteinrichtungen dargestellt: In der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA) im nordrhein-westfälischen Büren waren im Jahr 2017 pro Tag durchschnittlich 113 Ausreisepflichtige inhaftiert. Das sind 95 Prozent mehr als im Vorjahr. Zeitgleich wurde die Zahl der Haftplätze von 100 auf 140 erhöht, weitere 35 sollen folgen. Auch im Abschiebungsgefängnis im niedersächsischen Langenhagen stieg die Zahl der durchschnittlich Inhaftierten um 98 Prozent im Vergleich zu 2016. Die Zahl der Haftplätze wurde von 16 auf 58 aufgestockt.
Im April 2016 wurde in Baden-Württemberg das Abschiebungsgefängnis Pforzheim mit 36 Haftplätzen in Betrieb genommen. Ein weiterer Ausbau der Inhaftierungskapazitäten ist geplant. Hamburg hat im Oktober 2016 am Flughafen Fuhlsbüttel einen Ausreisegewahrsam mit 20 Haftplätzen eingerichtet. Die monströsesten Pläne hat Bayern 2017 unter Führung des jetzigen Bundesinnenministers Horst Seehofer beschlossen: Bei Passau soll unmittelbar an der deutsch-österreichischen Grenze eine kombinierte Abschiebungs- und Strafhaftanstalt mit jeweils 200 Haftplätzen entstehen.
Bundesländer ohne eigenes Abschiebungsgefängnis können Haftplatzkontingente in anderen Bundesländern reservieren. Mit Ausnahme Thüringens und des Saarlands haben inzwischen alle
bislang »unterversorgten« Bundesländer angekündigt, eigene Abschiebungshaftanstalten errichten zu wollen.
Verschlechterung der Haftbedingungen
Die medizinische Versorgung in Abschiebungshaftgefängnissen ist bundesweit mangelhaft. Dies gilt vor allem in Bezug auf psychische Erkrankungen. Ärztliche Untersuchungen finden, wenn überhaupt, in der Regel ohne professionelle Dolmetscher*innen statt. Zudem verfügt das medizinische Personal oft nicht über die erforderlichen Kenntnisse im Umgang mit fluchtbedingten Traumatisierungen.
Vielerorts wurden die Haftbedingungen generell verschärft. So wurden in der Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige im rheinland-pfälzischen Ingelheim vor den Fenstern Drahtnetze gespannt, auch der Gefängniszaun wurde um 1,50 Meter erhöht und mit Nato-Draht versehen. Zusätzlich wurde die Videoüberwachung ausgeweitet und den Gefangenen der Handybesitz verboten. Die Einschlusszeit in den Zellen wurde verlängert, die Zeit des Hofgangs hingegen verkürzt. Im Abschiebungshaftgefängnis im bayerischen Eichstätt wurden in etlichen Zellen schalldämmende, abschließbare Fenster eingebaut, nachdem sich Anwohner*innen über den nächtlichen Lärm beschwert hatten. Teilweise werden auch eigene Regeln über geltendes Recht gestellt: In der UfA Büren werden Gefangene beispielsweise von 22 Uhr bis 14 Uhr in ihren Zellen eingesperrt. Nach nordrhein-westfälischem Gesetz dürften die Zellen nur bis 7 Uhr morgens verschlossen bleiben.
Hohe Fehlerquote vor Gericht
Auch die Anordnung von Abschiebungshaft erweist sich häufig als rechtswidrig. Von Anfang August 2016 bis Ende Juli 2017 haben Mitarbeitende des niedersächsischen Flüchtlingsrats über 200 Abschiebungshaftgefangene beraten und 124 Haftverfahren begleitet, von denen 39 noch offen sind. In 42 Prozent aller Verfahren (52 von 124) wurde aber bereits jetzt nach erneuter gerichtlicher Prüfung festgestellt, dass die Inhaftierung zu Unrecht erfolgte.
In mehreren Fällen gaben Amtsgerichte den Betroffenen erst Gelegenheit, sich zur Sachlage zu äußern, nachdem sie die Inhaftierung angeordnet hatten. Im Klartext: Das Urteil stand bereits vor dem Prozess fest. Dies stellt einen eklatanten Verstoß gegen den Anhörungsgrundsatz dar. In den meisten Fällen fehlten zudem konkrete Verdachtsmomente, die eine Abschiebungshaft rechtlich gerechtfertigt hätten. So wurde der Haftbeschluss gegen einen iranischen Betroffenen, der nachweislich unter multiplen psychischen Erkrankungen leidet und gemäß der Dublin-III-Verordnung nach Kroatien überstellt werden sollte, nach 14 Tagen aufgehoben und seine Entlassung angeordnet.
Auch der Verein »Hilfe für Menschen in Abschiebungshaft Büren e.V.« hat von Mai 2015 bis Dezember 2017 insgesamt 221 Abschiebungshaftverfahren begleitet, von denen bereits 119 rechtskräftig abgeschlossen sind. In 60 Prozent der Verfahren war die Inhaftierung rechtswidrig. Eine derart hohe Fehlerquote würde in anderen Bereichen des Rechts für Entsetzen sorgen und Forderungen nach einer unverzüglichen Behebung der Defizite nach sich ziehen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass rechtsstaatliche Maßstäbe nicht für Abschiebungshaftgefangene gelten.
verfasst von Muzaffer Öztürkyilmaz
Dieser Text ist zuerst erschienen im ProAsyl-Heft Tag des Flüchtlings 2018.