[Oktober 2019]
Nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist ein Flüchtling eine Person, die sich
„aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe” außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie hat oder in dem sie als Staatenloser gelebt hat und dessen Schutz vor dieser Verfolgung sie nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen der Furcht vor Verfolgung nicht in Anspruch nehmen will.“
Nicht nur staatliche Verfolgung, sondern auch die Verfolgung durch andere (zum Beispiel militante Gruppen oder Familienangehörige) kann zur Flüchtlingsanerkennung führen.
Menschen, die keinen Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten, sind aber nicht unbedingt schutzlos: Wenn sie nach Auffassung des BAMF nicht persönlich verfolgt werden, aber mit einem ernsthaften Schaden aufgrund einer menschenrechtswidrigen Behandlung rechnen müssen, können sie den sogenannten subsidiären Schutz erhalten. Das bedeutet, dass sie zwar nicht als Flüchtlinge anerkannt werden, aber dennoch als schutzwürdig gelten. Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz haben weniger Rechte als anerkannte Flüchtlinge (beispielsweise beim Familiennachzug) und müssen länger warten, bevor sie eine unbefristete Aufent-haltserlaubnis (eine sogenannte Niederlassungserlaubnis) erhalten können.
Außerdem gibt es sonstige Gründe, die eine Abschiebung als nicht möglich bzw. nicht zumutbar erscheinen lassen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn einer Person in ihrem Herkunftsland eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht, oder wenn eine Abschiebung aus rechtlichen Gründen (etwa zum Schutz der Familie) nicht vollzogen werden darf. Ein Abschiebungsverbot kann zum Beispiel für eine Person festgestellt werden, die an einer schweren Krankheit leidet, die sich im Herkunftsland nicht behandeln lässt, oder für jemanden, der/die eine solche Person pflegt.
Die Unterscheidung zwischen denjenigen, die als Flüchtlinge anerkannt werden, und denjenigen, die nur einen subsidiären oder gar keinen Schutzstatus erhalten, ist in der Praxis komplizierter als man denkt: Droht einem syrischen Kriegsdienstverweigerer politische Verfolgung, weil er bei einer Rückkehr bereits an der Grenze Gefahr liefe, als Regimegegner verdächtigt und gefoltert zu werden? Haben Afghan:innen, die in Konflikt mit den Taliban geraten sind, in Großstädten wie Kabul oder Herat eine „inländische Fluchtalternative“? Ist es Menschen, die in Pakistan aufgrund ihres Glaubens verfolgt werden, zumutbar, ihren Glauben zu verheimlichen? Ist die staatliche Gewalt gegenüber Kurd:innen in der Türkei noch Ausdruck einer legitimen „Terroristenbekämp-fung“ oder schon Ausdruck einer Gruppenverfolgung? Kann eine Tschetschenin, die vor der Gewalt ihres Mannes flieht, auf Schutzeinrichtungen in anderen Landesteilen oder den Schutz des Staates verwiesen werden? Die Antworten auf diese und andere Fragen entscheiden darüber, ob ein Flüchtling anerkannt wird oder nicht.
Deutlich wird an diesen Beispielen, dass eine Flüchtlingsanerkennung wesentlich davon abhängt, wie weit oder eng die Kriterien dafür gefasst sind. Dabei sind offenkundig auch politische Interessen im Spiel: Das signifikante Absinken der Anerkennungsquote für Geflüchtete in den letzten drei Jahren ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Genfer Flüchtlingskonvention vom BAMF restriktiver ausgelegt wird. Obwohl der Krieg in Afghanistan in den vergangenen Jahren eskaliert ist, sank die Quote der Flüchtlingsanerkennungen, vor allem weil das BAMF die Großstädte in Afghanistan für sicher genug hält. Während 2015 noch nahezu 100 % aller Flüchtlinge aus Syrien den Flüchtlingsstatus erhielten, sind es 2017 nur noch rund 30 %, weil das BAMF jetzt die Auffassung vertritt, dass das syrische Regime Flüchtlinge und Deserteure nicht mehr (zwingend) als Regime-kritiker:innen ansieht. Durch sog. „Leitsätze“ gibt das Bundesinnenministerium dem BAMF als untergeordeneter Behörde eine bestimmte Interpretation von Sachverhal-ten vor und steuert so indirekt dessen Entscheidungspraxis.
Dieser Text stammt aus der 2. Fassung der Broschüre Mal ehrlich! Flucht und Asyl in Niedersachsen, die der Flüchtlingsrat Niedersachsen gemeinsam mit der Stiftung Leben & Umwelt in erster Fassung im April 2017 und in überarbeiteter Fassung im Oktober 2019 herausgegeben hat. Vertiefende Informationen finden sich in unserem Leitfaden für Flüchtlinge.
Weiterlesen: Ablauf des Asylverfahrens