[Januar 2018]
Auf dieser Homepage und in Broschüren wird für Formen der zentralen kommunalen Unterbringung zumeist der Begriff „Gemeinschaftsunterkunft“ verwendet, weil er in der gesellschaftlichen Debatte sowie in der kommunalen Praxis mittlerweile gängig ist. Der Begriff ist allerdings irreführend, weil mit ihm der Fokus gelegt wird auf eine unterstellte „Gemeinschaft“ der Menschen, die in diesen Unterkünften leben. Tatsächlich aber ist das Zusammenleben in den Einrichtungen und in den „Mehrbettzimmern“ unfreiwillig und fremdbestimmt. Der Begriff „Sammelunterkunft“ wäre zutreffender, wobei Politik und Verwaltung verständlicherweise den Eindruck vermeiden wollen, Menschen an einem Ort zu „sammeln“. Unabhängig von der gewählten Bezeichnung handelt es sich bei den auf kommunaler Ebene bestehenden Einrichtungen um Formen des Lagers.
Funktionen der Lager
Lager sind, fokussiert man auf die Zeit seit der Gründung der Bundesrepublik, provisorische und transitorische Orte, für die vor allem zwei Funktionen maßgebend sind:
1) die Gestaltung von Übergängen: hier werden entweder Registrierung, Erstversorgung, Weiterleitung von Menschen organisiert, die um Schutz und Aufnahme ersuchen, oder es wird ihre Abweisung und Abschiebung vorbereitet
2) die vorübergehende Unterbringung insbesondere von Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus
Merkmale der Lager
Kennzeichnend für Lager sind provisorische bauliche Umstände (Container, umgewidmete Gebäudetypen wie Hotels, Schulen oder frühere Gewerbehallen), eine Abgrenzung nach Außen (Umzäunung, Sicherheitsdienste, häufig abgelegene Lage) sowie ein unfreiwilliges Zusammenleben von Menschen auf Zeit. Lager sind zudem Orte sozialer Kontrolle, die sich aus der Unfreiwilligkeit des Zusammenlebens, der fehlende Privatsphäre, dem Vorhandensein von Sozialarbeiter:innen, Sicherheitsbediensteten und anderen Mitarbeiter:innen und den hieraus resultierenden Hierarchiegefällen ergibt.
Auf Dauer angelegt sind weder die Einrichtungen selbst noch der Aufenthalt der in ihnen Untergebrachten. In Lagern wird nicht gewohnt; die dort Untergebrachten gewöhnen sich in der Unterkunft nicht ein, weil sie wissen und, was wichtiger ist, hoffen, dass sie dort nur für eine begrenzte und überschaubare Zeit leben werden. Daher geht auch der Begriff „Wohnheim“ fehl. Wer in einem provisorischen Ort lebt, ist erkennbar noch nicht Teil der jeweiligen Gesellschaft. Es fehlt den Untergebrachten die Sicherheit, zur Gesellschaft zu gehören und sich in dieser selbstbestimmt einrichten zu können.
Dieser Text ist zuerst erschienen in der Broschüre Zufluchtsort Kommune. Gelingende Aufnahme von Geflüchteten in Niedersachsen, die der Flüchtlingsrat Niedersachsen im Rahmen des AMBA-Netzwerkprojekts herausgegeben hat.
Weiterlesen: Leben im Provisorium. Leben in „Gemeinschaftsunterkünften“.