Der Verein Refugee Network Göttingen und der Integrationsrat Göttingen kritisieren in hier dokumentierten Pressemitteilungen die aktuellen Pläne der Göttinger Stadtverwaltung, den Betrieb der Notunterkunft „Siekhöhe“ nochmals zu verlängern. Die Stadt plant, die ehemalige Lagerhalle bis mindestens Ende April 2019 zu nutzen. Die Nutzung der „Siekhöhe“ als Flüchtlingsunterkunft wird von vielen Organisationen und Initiativen seit ihrer Einrichtung im Frühjahr 2016 kritisiert. Auf der Kampagnen-Seite des Vereins finden sich zahlreiche Pressemitteilungen und Materialien, die zeigen, dass die abgelegene Lage, die Hallenstruktur und die fehlenden Rückzugsmöglichkeiten zu einer Isolation der Geflüchteten führen und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nachhaltig erschweren.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hatte schon im April 2017 sowie im Juni 2017 sein Unverständnis über die damalige Entscheidung der Stadt geäußert, die Notunterkunft Siekhöhe weiter bestehen zu lassen und zugleich besser ausgestattete Unterkünfte zu schließen.
Vorbild Bayern? Die Isolation von Geflüchteten bleibt Programm der Stadtverwaltung Göttingen
Pressemitteilung des Refugee Network Göttingen vom 11. April 2018
Initiativen, Geflüchtete und Unterstützer*innen in Göttingen sind empört über die Planung der Stadtverwaltung, den Betrieb der Notunterkunft Siekhöhe nochmals zu verlängern. Ende November 2017 versicherte Sozialdezernentin Broistedt auf einem Koordinator*innentreffen des Migrationszentrums, die Siekhöhe werde bis Ende 2018 geschlossen. Nun folgt die nächste Kehrtwende.
„Die Stadt kann sich nicht damit rausreden, dass ihr angeblich die Plätze zur Unterbringung fehlen“, erklärt Kristina Becker, Vorsitzende des Vereins Refugee Network Göttingen. „Die Stadt selbst hat Plätze in anderen Unterkünften abgebaut und dabei gegen jede Vernunft Einrichtungen geschlossen, die – trotz aller Nachteile von Gemeinschaftsunterkünften – weit besser für eine Unterbringung geeignet sind als die Lagerhalle am Stadtrand.“
Auch die Aufnahme weiterer Geflüchteter in Göttingen ist keine Überraschung. Die Zuweisungszahlen sind der Stadt Göttingen seit langem durch die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen bekannt. Die Unterbringung in Göttingen ist daher plan- und vorhersehbar.
Wenn die Stadtverwaltung nun den Betrieb der Halle nochmals verlängern will, lässt das nur den Schluss zu, dass die Stadtverwaltung von Anfang an geplant hatte, die Siekhöhe für mindestens fünf Jahre (die Mietdauer der Halle) zu betreiben. Eine Zwangslage behauptet die Stadt nur, weil sie genau weiß, wie hochproblematisch die Unterbringung in der Lagerhalle ist. Nur durch die wiederholte Behauptung, die Siekhöhe bestehe befristet, kann die Stadtverwaltung die politischen Entscheidungsträger*innen überhaupt noch dazu bringen, die Betriebsdauer zu verlängern. Dass sich im Frühjahr 2019 dann dasselbe Spiel wiederholen wird, ist schon jetzt offensichtlich. „Für die Stadtverwaltung gilt offenbar: Isolation in Lagern können nicht nur die Bayern. Das machen wir in Göttingen schon seit Jahren“, sagt Schatzmeisterin Lena Hennig.
Die Kritikpunkte, die die Siekhöhe seit ihrer Einrichtung begleiten, sind bekannt: Bei der Siekhöhe handelt es sich um eine Unterbringung auf Turnhallen-Niveau.1 Die Halle wurde Ende 2015 geplant, als die Balkanroute noch offen und die Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge nicht abzuschätzen war. Es handelte sich von Beginn an um eine Notunterbringung in einer Ausnahmesituation. Diese Ausnahmesituation war schon bald nicht mehr gegeben. Andernorts wurden die Turnhallen und Baumärkte so rasch wie möglich geschlossen, als die Zuweisungszahlen sanken und angemessenere Formen der Unterbringung eingerichtet werden konnten. In der Universitätsstadt Göttingen hingegen wurde diese rudimentäre Form der Unterbringung nicht nur verstetigt, sondern auch gegen jedes rationale Argument zu einem angeblichen Vorzeigemodell erhoben.
Die Bezeichnung der Siekhöhe als „Wohnanlage“2 belegt den Zynismus einer kaltherzigen Verwaltung, der es ganz offenbar an grundlegendem Vorstellungsvermögen und jeder Empathie mangelt, sich in die Lage derjenigen zu versetzen, die in dieser Halle untergebracht sind. Eine fensterlose Großraumhalle mit Mehrbettabteilen und offener Deckenstruktur, Umzäunung und Security-Überwachung ohne die Möglichkeit der Selbstversorgung ist keine „Wohnlage“, sondern ein Lager. Und in einem Flüchtlingslager wird nicht gewohnt. Denn die in den Lagern Untergebrachten haben nicht die Möglichkeit, ihr Leben und ihren Lebensmittelpunkt frei und selbstbestimmt zu gestalten. Zum Wohnen gehört ein Mindestmaß an Selbstbestimmung stets zwingend dazu. Dagegen ist die fortgesetzte Unterbringung in der Siekhöhe menschenunwürdig.
Dabei gab und gibt es Alternativen zur Siekhöhe. „Diese Alternativen, sei es die ehemalige Voigtschule oder das IWF am Nonnenstieg, sind aber von der Stadt offenbar nicht gewollt“, stellt Schriftführerin Anna Knapp fest. Und wenn es um das Wohnen in eigenen Wohnungen geht, ist keinerlei Bemühen der Stadtverwaltung erkennbar.
Beispiele, wie man es besser machen könnte, gibt es einige. Während etwa die Stadt Hannover ein Auszugsmanagement installiert hat, mit dem kommunale Sozialarbeiter*innen den Übergang in eigene Wohnungen aktiv unterstützen3, fehlen solche Ansätze in Göttingen völlig. Stattdessen legt das Wohnungsamt Geflüchteten und Unterstützer*innen immer wieder Steine in den Weg, wenn Wohnungen in Aussicht stehen. Während die Samtgemeinde Sögel (LK Emsland) eine Bürgergenossenschaft initiiert hat4, um Häuser für Geflüchtete und andere Wohnungssuchende zu bauen, gibt es in Göttingen keine vergleichbaren Schritte von Politik und Verwaltung, gemeinsam mit der Zivilgesellschaft aktiv zu werden. Im Gegenteil, es bleibt weiterhin der Eindruck, dass das Engagement der freiwilligen Unterstützer*innen nur dann gern gesehen ist, so lange es der Verwaltungslogik der Stadt nicht entgegensteht. Dies aber ist keine Entwicklung, die dem Ruf einer weltoffenen Universitätsstadt gerecht wird.
Wir als Göttinger Initiativen, Geflüchtete und Unterstützer*innen werden uns daher weiterhin für die sofortige Schließung der Notunterkunft Siekhöhe einsetzen.
Solidarität statt Ausgrenzung! Integration statt Isolation!
Die Pressemitteilung des Refugee Network Göttingen als PDF.
1 Vgl. die weiteren Pressemitteilungen hier.
2 Beschlussvorlage der Stadtverwaltung für die Sitzung des Sozialausschusses am 12. April 2018.
3 Vgl. Landeshauptstadt Hannover, Ankommen – unterstützen – miteinander leben. Flüchtlingszuwanderung nach Hannover. Zwischenbilanz und Ausblick, September 2016.
4 Siehe die Homepage der Samtgemeinde Sögel.
Verlängerung des Betreibervertrages mit dem DRK für die Flüchtlingsunterkunft Siekhöhe
Pressemitteilung des Integrationsrats Göttingen vom 11. April 2018
Der Integrationsrat lehnt eine Verlängerung des Nutzungsvertrages mit den DRK für das Lager in der Siekhöhe für die Unterbringung von Flüchtlingen ab. Die Kritikpunkte an dem Lager und den daraus resultierenden Lebensbedingungen für Flüchtlinge sind hinreichend von zahlreichen Flüchtlingsinitiativen und auch vom Integrationsrat (siehe Presseerklärungen vom 13. und 14.06.2017) kritisiert worden. Hieran hat sich nichts geändert. Nach wie vor fördert das Lager „Siekhöhe“ die Isolation der Flüchtlinge von der Stadtgesellschaft und nimmt ihnen die Möglichkeit der Privatheit und eines selbstbestimmten und autonomen Lebens.
Die nun bestehende “Zwangslage“ durch fehlende Unterbringungsplätze wurde durch den Abbau vorhandener und besser geeigneter Plätze in anderen Wohnheimen (z.B. IWF) selbst geschaffen, die die Flüchtlinge nun „ausbaden“ müssen.
Weder die Zuzugszahlen von Flüchtlingen nach Göttingen, noch die erheblichen Schwierigkeiten von Flüchtlingen Wohnungen auf dem privaten Wohnungsmarkt zu finden, sind überraschend. Hier ist nicht nur die Wohnungsnot in Göttingen ursächlich, sondern Flüchtlinge und andere Migrantinnen zählen seit Jahrzehnten zu den besonders benachteiligten Personen auf dem Wohnungsmarkt. Vor diesem Hintergrund ist auch zu befürchten, dass sich die Aufenthaltszeiten der Flüchtlinge in der Unterkunft „Siekhöhe“ immer weiter verlängern.
Ohne ein gezieltes und unterstützendes Auszugsmanagement wird sich an dieser Situation nichts ändern. Der Integrationsrat fordert daher die Einrichtung eines „Auszugsmanagement“ bei der Stadt Göttingen, mindestens zwei SachbearbeiterInnen der Stadt Göttingen sollen ausschließlich und gezielt Wohnungen für Flüchtlinge aus den Flüchtlingsunterkünften suchen.
Sollte der Betreibervertrag mit dem DRK für das Lager Siekhöhe als Flüchtlingsunterkunft trotz aller Einwände verlängert werden, halten wir eine Änderung der Konditionen für unabdingbar:
– Gerade aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen in der Siekhöhe und der großen Anzahl dort lebender Flüchtlinge ist eine professionelle Sozialarbeit notwendig. Dieser Standard, der eigentlich für alle Flüchtlingsunterkünfte gilt, soll durch die Beschäftigung von mindestens zwei Sozialarbeiterinnen sichergestellt werden,
– Menschenrechtsorganisationen (z.B. Amnesty International, Flüchtlingsräte, Women in Exile) und Flüchtlingsinitiativen müssen freien Zugang zu der Halle in der Siekhöhe erhalten,
– Flüchtlinge, die nach der EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33 zu den besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen zählen (z.B. Opfer jeglicher Gewalt, Flüchtlinge mit Traumafolgestörungen, Schwangere, Minderjährige, Alleinerziehende mit minderjährigen Kinder, Alte (ab 65 Jahre), Kranke und Flüchtlinge mit Beeinträchtigungen) sollen nicht in der Unterkunft „Siekhöhe“ untergebracht werden.
Will man der Intention der EU-Aufnahmerichtlinie folgen, die seit Juli 2015 in Deutschland umgesetzt werden muss und den Menschen besonderen Schutz gewähren, so darf man sie nicht in der Flüchtlingsunterkunft Siekhöhe unterbringen.
Die Pressemitteilung des Integrationsrats Göttingen als PDF.
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